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Gute Stimmung auf der Etre 2003 in Berlin

Die Optimisten sind zurück

24.10.2003
Auf der European Technology Roundtable Exhibition (Etre) in Berlin gaben bedeutende Branchenvertreter optimistische und angriffslustige Prognosen ab.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Phase des Heulens und Zähneklapperns im Markt für Informations- und Kommunikationstechnik scheint zu Ende zu gehen. Darauf zumindest deuten die optimistischen und angriffslustigen Prognosen bedeutender Branchenvertreter hin, die sich auf der European Technology Roundtable Exhibition (Etre) in Berlin trafen.

Quirlig, dynamisch, eloquent - diese Attribute treffen wohl am besten zu auf Alex Vieux, den Veranstalter der Etre. Zum 14. Mal lud der Gründer und Chef des Ausrichters Dasar zum europäischen Hightech-Gipfel, zum 14. Mal lag ihm die Prominenz der Branche zu Füßen. Ob Bill Gates, Peoplesofts Craig Conway, Brian Halla von National Semiconductor oder British-Telecom-Mastermind Ben Verwaayen - alle kamen sie nach Berlin und ließen sich von Alex "grillen".

Craig Conway (l.) auf dem "heißen Stuhl". Im Zwiegespräch mit Interviewer Alex Vieux schilderte der Peoplesoft-Chef seine Gefühle für Oracle-CEO Larry Ellison. Fazit: Es gibt sie nicht. Foto: Dasar
Craig Conway (l.) auf dem "heißen Stuhl". Im Zwiegespräch mit Interviewer Alex Vieux schilderte der Peoplesoft-Chef seine Gefühle für Oracle-CEO Larry Ellison. Fazit: Es gibt sie nicht. Foto: Dasar

Diesen Begriff wählte Vieux für die unterhaltsamen Interviews, die er im Anschluss an die teils visionären, teils hausbacken werblichen Keynotes der IT-Vorderen veranstaltete. Mit Conway etwa sprach Vieux über den Versuch Oracles, sein Unternehmen zu schlucken. "Ich habe Oracle 1992 verlassen, seitdem hatte ich keinen Kontakt mehr zu Larry Ellison", sagte der Peoplesoft-Chef. "Ich hasse ihn nicht, ich liebe ihn nicht - ich habe keine Gefühle", ließ sich der Peoplesoft-Gründer unter dem Gelächter der mehr als 400 Zuhörer entlocken.

Im Plauderton berichtete Conway, wie er am 17. Juni 2003 im Auto nach Rotterdam unterwegs war, als er telefonisch von Oracles Versuch der feindlichen Übernahme hörte. Wenig später habe er dann im Hotel staunend die Pressemitteilung des Konkurrenten in Händen gehalten. Immerhin seien seit diesem Tag im Durchschnitt 150 Zeitungsbeiträge täglich über Peoplesoft erschienen. Den Geschäften sei das gut bekommen, für das dritte und das laufende vierte Quartal habe er die Prognosen hochsetzen können.

Auch Sanjay Kumar, Chairman und Chief Executive Officer (CEO) von Computer Associates (CA), begab sich auf den heißen Stuhl und bekam dort gleich die richtigen Fragen gestellt: Ist dem einstigen Hai der IT-Branche etwa der Appetit vergangen? "Seit drei Jahren, acht Monaten und einem Tag haben wir kein Unternehmen mehr gekauft", bestätigte Kumar. Das werde aber nicht so bleiben, so der CA-Chef: "Akquisitionen liegen in der DNA der Company."

Kumar gab sich aggressiv, der Konzentrationsprozess in der IT-Branche komme in großen Schritten voran. Es werde noch viel mehr feindliche Übernahmen geben, so seine Prophezeiung. CA selbst interessiere sich diesbezüglich vor allem für das Security-Geschäft, das weiter kräftig boomen werde. "Eine Akquisition würde ich nicht ausschließen", sagte Kumar, der Sicherheitslösungen anders als die Antivirensoftware-Spezialisten vor allem für das Backend anbieten möchte.

Kumar prophezeite generell eine Konzentration im Markt zugunsten der großen Player, kleine Anbieter haben es seiner Ansicht nach immer schwerer. "Auch die IT-Branche kann sich den Gesetzen der Schwerkraft nicht entziehen", kommentierte der CA-Chef den Reifungsprozess im IT-Markt. Ähnliches habe man in der Autoindustrie und bei den Fluglinien erlebt.

Zehn starke Gründe für einen Aufschwung

Der IT-Markt gesättigt? Vieux, der offenkundig mit den meisten CEOs in engem Kontakt steht - so eng, dass er viele von ihnen liebevoll in die Arme schloss -, wollte davon nichts wissen. Er nannte zehn Gründe, warum der IT-Markt vor einer kräftigen Erholung stehe. Positiv würden sich etwa die für nächstes Jahr geplanten höheren Kapitalausgaben in nahezu allen größeren Unternehmen auswirken oder die Tatsache, dass die TK-Konzerne weltweit in einem internen Erneuerungsprozess nahezu sämtlich ihr teilweise mittelmäßiges Führungspersonal ausgetauscht hätten.

Optimistisch stimmten ihn ferner die Lebenszeichen aus dem PC-Markt, wo die Austauschzyklen nun in Gang kämen, oder die Expansion der breitbandigen Netzwerke. Starke Impulse sendeten die Märkte für Consumer Electronics und Wireless Technologies aus, durch die hohe Akzeptanz von Online-Spielen und neuen Handys werde dieser Trend verstärkt. Vieux stellte dabei fest, dass nicht allein die USA, sondern auch Asien und Europa diese Entwicklung trügen, da hier das Wireless-Geschäft besonders ausgeprägt sei.

Der nächste Goldrausch kommt bestimmt

Mit Joe Schoendorf, General Partner des Venture-Capital-Gebers Accel Partners, hatte der Veranstalter einen erfahrenen Marktveteranen eingeladen, der ihn in der positiven Prognose voll und ganz bestätigte. "Wir werden einen zweiten Goldrausch erleben", prophezeite der Kapitalgeber in einer launigen Rede. "Es wird sogar mehr Gold als beim ersten Mal geben, aber es wird schwieriger sein, dran zu kommen", so seine Vorhersage.

Den Ausführungen Schoendorfs zufolge stehen viele Weltkonzerne derzeit mit einem inflexiblen und unzeitgemäßen IuK-Equipment da. "Fast alles, was heute installiert ist, ist veraltet", so seine provokante These. Wer die Vorteile neuer Errungenschaften wie Open Systems, Service-orientierte Architekturen, Blades etc. genießen wolle, werde seine Infrastruktur komplett auf den Kopf stellen müssen. Als Beispiel einer modernen und den Geschäftserfordernissen angepassten IT-Umgebung nannte er Ebay, als Gegenbeispiel die Deutsche Bank, die das Problem aber inzwischen erkannt habe und nun dabei sei, ihre IT auszumisten.

Schoendorf hatte zur Freude seiner Zuhörer noch mehr Provokationen parat. In den westlichen Industrienationen, so seine These, werden große IuK-Unternehmen in Zukunft nur noch Stellen abbauen und keine neuen Arbeitsplätze generieren. "Alle neuen Jobs, die in den nächsten 20 Jahren in der IT-Branche entstehen, werden von Startups geschaffen, ich wiederhole: alle!", tönte der Accel-Manager. Große Konzerne stellten auf absehbare Zeit gar nicht oder nur in Billiglohnländern ein.

Schoendorfs Ausführungen zufolge werden es auch die kleinen, wendigen Neugründungen sein, die im Markt für Innovationen sorgen. Große Konzerne würden sich mit ihresgleichen um vorhandene reife Märkte streiten. "Den Schritt nach vorne werden aber die Kleinen machen." Durch Partnerschaften und Übernahmen würden sich dann die Riesen das Know-how der findigen Zwerge sichern.

Angesichts dieses Entwurfs sieht der Accel-Mann ein "goldenes Zeitalter für Venture Capital". Themen, um die herum sich künftig Hightech-Unternehmen gruppierten, seien Breitband, Pervasive Computing, Home-Entertainment, Mobilgeräte, E-Commerce und Web-Services.

Nicht unerwartet kam Schoendorf auch auf China zu sprechen, das gelobte Land der IuK-Branche - an dieser Einschätzung ließ auf der Etre niemand irgendeinen Zweifel. "Shanghai or die", lautet die Parole des RisikokapitalGebers. Von ihm bekomme kein Jungunternehmer Geld, der sich nicht in der chinesischen Metropole umgesehen habe. Kein Business-Plan bleibe nach dieser Erfahrung so, wie er war.

"Joe hat den China-Schock", kommentierte Vieux augenzwinkernd die lebhaften Ausführungen des Redners. Doch das ging offensichtlich auch anderen so. "Das Interesse an China und Indien ist keine Modeerscheinung mehr", sagte beispielsweise Eric Benhamou, Chairman von 3Com und Palm. Über kurz oder lang seien dies die größten Märkte der Welt. Ohne eine Strategie, die diese Entwicklung berücksichtigt, habe heute kein Unternehmer eine Chance. China sei nicht nur wegen der billigeren Produktionsmöglichkeiten interessant, sondern auch als künftiger Absatzmarkt.

"Ich habe noch nie so eine technologische Revolution gesehen wie die gegenwärtige in China", sagte auch Brian Halla, CEO und Chairman von National Semiconductor. Das Land biete unglaubliche Chancen, berge aber auch Risiken - "vor allem dann, wenn man dort nicht präsent ist". Der Unterschied zum Japan-Boom vergangener Jahre sei die Tatsache, dass die Chinesen einen gigantischen Binnenmarkt besitzen und damit den Westen als Absatzregion vorerst nicht benötigen, so Halla.

In das gleiche Horn blies Bernard Charlès, President und CEO des "Catia"-Anbieters Dassault Systèmes. Man dürfe nicht den Fehler machen, China nur als Region für Billigproduktion zu betrachten - zuvor hatte Schoendorf China als "Factory of the World" bezeichnet. Demgegenüber betonte Charlès, die Chinesen wollten nicht nur verlängerte Werkbank sein, "sie wollen mittanzen auf der Party".

Nahezu alle Redner auf der Etre zeigten sich überzeugt, dass sich die Welt in einem radikalen Wandel befindet, deren Motor die Informations- und Kommunikationstechnik ist. Ben Verwaayen, CEO von British Telecom, machte die breitbandige Vernetzung als Grundlage für den Veränderungsprozess aus, dessen Folgen noch kaum absehbar seien - weder für vorhandene IT- und TK-Strukturen, noch für die Art und Weise, wie künftig Geschäfte getätigt werden, und schon gar nicht für die Gesellschaft.

"Wir haben jede Woche 35000 neue Breitbandkunden", freute sich Verwaayen. "Ich sehe Tonnen von Laptops und Blackberrys", orakelte der BT-Chef, der nicht nur Impulse für das Gesundheitswesen und Behörden erwartet, sondern von völlig neuen "Interaktionsstrukturen" zwischen Unternehmen und ihren Kunden spricht. Entscheidend sei nun, dass die Carrier enger mit der Content-Industrie zusammenarbeiteten. "Highspeed-Internet ist langweilig, wenn die Angebote nicht stimmen", sagte Verwaayen. Von den Business- und Servicemodellen der Content-Industrie hänge der künftige Erfolg aller ab. (hv)