CW-Hintergrundgespräch mit CEO und CTO Erwin Königs

Die neuen Wege der Software AG

19.01.2001
MÜNCHEN (ls) - Auf die guten Geschäfte mit der eingeführten Datenbank "Adabas" und der Entwicklungsumgebung "Natural" hat sich die Software AG nicht verlassen. Vielmehr sind sie die finanzielle Basis einer konsequenten Produktausrichtung auf die Extensible Markup Language (XML) und auf den jüngsten Geschäftszweig Mobile Commerce.

Imageprobleme zu beheben braucht Jahre, und die Software AG hatte Mitte der 90er Jahre nicht nur das Problem, als betulich zu gelten. Als Erwin Königs 1996 neuer Chef wurde, ging es dem Darmstädter Softwarehaus schlecht. Das Kerngeschäft mit den Umsatzträgern Adabas und Natural war rückläufig.

Die Anfang 1997 begonnene interne Debatte um die künftige Produktstrategie führte im April des folgenden Jahres zum Beschluss, zu allen Produkten eine Parallellinie auf Basis neuer Techniken aufzubauen. Neben Natural trat das Java-Tool "Bolero", "Entire-X" ist als Message-based Middleware positioniert. Die Überraschung aber war die Präsentation der weltweit ersten reinen XML-Datenbank "Tamino", auf dem Markt seit Anfang 2000.

Nicht nur der Börsengang verhalf den Darmstädtern zum nötigen Kapital für die Entwicklungsarbeiten. Neue Versionen von Adabas und Natural waren plötzlich gefragt, um alte Umgebungen vor dem Jahr-2000-Crash zu bewahren, ihr Umsatz stieg 1999 um 20 Prozent und brachte damals 70 Prozent der Einnahmen aus dem Lizenzgeschäft.

Damit ist es aber vorbei. Die Nachfrage nach Natural ist heute, so Königs, "flau", eine Besserung kaum in Sicht. "Der Markt für Tools geht zurück. Das ist ein weltweiter Trend. Nur bei Data-Management und Application-Integration gibt es noch eine rege Nachfrage." Wenn diese Entwicklung anhält, so darf man folgern, könnte von den traditionellen drei Säulen des SAG-Geschäfts - Datenbanken, Tools, Middleware - in nicht allzu ferner Zukunft die mittlere fehlen.

Denn Bolero hat daran wenig ändern können. Die laut Königs "größte Java-Applikation, die jemals geschrieben wurde", bringt gerade fünf Prozent der Lizenzeinnahmen. Gleichwohl ist Bolero ein Hoffnungsträger. Zwar habe Java noch nicht das, was es für große transaktionsorientierte Anwendungen brauche, "aber es ist der einzige Kandidat mit Zukunft", meint Königs. "Java ist aufgrund der Power seiner Förderer, wegen seiner Verbreitung, seiner Konzeption und wegen des großen Interesses der Programmierer die einzige Sprache, die eine Chance hat, in Zukunft dominierend zu werden."

Leider habe bisher eine unglückliche, vielerorts als restriktiv empfundene Politik von Sun einen größeren Erfolg verhindert. Daran könnte sich, so Königs, etwas ändern: "Einfach, weil es so verbreitet ist, besteht die Möglichkeit, dass Java über Sun hinauswächst, deren Kontrolle entgleitet, vielleicht von einem Industriekonsortium ähnlich dem W3C bestimmt wird."

Aus seiner Sympathie für dieses Web-Konsortium macht der Physiker, der sich als einer der deutschen Unix-Pioniere nur allzu gut an die Unix-Kriege und Kämpfe in der X/Open erinnert, keinen Hehl: "Das W3C ist das erste Konsortium, das es geschafft hat, alle Industrie-Player in Sachen XML so zu domestizieren, dass sie nicht versuchen, eine Technik durch Eigeninteressen zu verschlimmbessern. Microsoft hat schon an allem gedreht, aber bei XML haben sie das nicht gewagt."

Das Lob ist nachvollziehbar, gibt Stabilität an der XML-Front der Software AG doch Entwicklungssicherheit - und Anwender, die nicht durch scheinbar technische Debatten verunsichert sind. Ein Ergebnis: Im SAG-Geschäft "spielt Middleware eine sehr laute Geige", sagt Königs, "zu meiner eigenen Überraschung". Die Umsätze mit Entire-X wachsen zurzeit um mehr als 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr. "Middleware ist unser zweitwichtigstes Geschäft geworden. Im nächsten Jahr werden wir fast ein Drittel der Lizenzeinnahmen mit Entire-X machen."

Mittelfristig aber heißt der größte Hoffnungsträger Tamino. Die neue XML-Datenbank findet reißenden Absatz, im dritten Quartal des Geschäftsjahres (gleich Kalenderjahr) 2000 brachte sie bereits 14 Prozent der Lizenzeinnahmen. Die traditionellen Produkte wie Adabas und Natural bringen "stabile Basiseinnahmen", Entire-X und Tamino sollen die Umsatz- und Profitzuwächse beitragen, die Anleger sehen wollen.

Bei solchen Erwartungen stützt sich die Software AG auf eine umfangreiche Analyse von IDC zum XML-Datenbankmarkt. Anthony Picardi, Senior Vice President Global Software bei IDC, fasst das Ergebnis so zusammen: "Wir erwarten, dass dieses junge Marktsegment explosionsartig zunehmen wird, und rechnen mit einem Wachstum des Marktvolumens von zwölf Millionen Dollar 1999 auf mehr als 700 Millionen Dollar in vier Jahren. Das bedeutet bis 2004 eine jährliche Steigerungsrate von etwa 130 Prozent."

Gegenwärtig befinde man sich bei XML, so Picardi, "in der Phase der Early Adopters", allerdings kenne schon jeder die Technik und wisse um ihre Bedeutung. "Die Missionierung hat somit bereits stattgefunden, die Überzeugungsarbeit ist geleistet. Die Zahl der Anwender wird bald deutlich zunehmen."

Tamino stehe nicht in einem Verdrängungswettbewerb mit eingeführten relationalen Datenbanken, so Picardi: "Die XML-Technologie ergänzt das bestehende Angebot, wird aber andere nicht vollständig aus dem Markt drängen. Jede Technologie hat ihre Berechtigung. Daher ist mit einer stärkeren Segmentierung des Marktes zu rechnen."

Technisch funktioniert das etwa so: Eine Art Eingangskontrolle analysiert die Art der eingehenden Anfragen und leitet SQL-Queries direkt an eine beliebige relationale Datenbank. Nur XML-Anfragen gehen an die Tamino-Engine weiter.

Es ist mithin nicht verwunderlich, dass rund die Hälfte der Tamino-Verkäufe in die "installed base" bei SAG-Kunden gehen. Bei diesen Anwendern handelt es sich in erster Linie um große bis sehr große Unternehmen, die Tamino für Web-Applikationen nutzen. Auch die Neukunden haben eine klare Anwendungspräferenz: E-Commerce.

Tamino zeige inzwischen auch da Wirkung, wo die Software AG neuen Schwung braucht. Königs: "Wir müssen möglichst viele Neukunden gewinnen." Der bisher in erster Linie verfolgte Direktvertrieb sei dazu nicht geeignet. Deswegen ist das Unternehmen dabei, neue Vertriebskanäle über ISVs, OEMs und andere Partner aufzubauen. Die sollen mit eigenen Anwendungen und Services für die XML-Datenbank deren Marktposition weiter verbessern. "Möglichst viele Partner!" fordert Königs. "Und das geht vor allem mit Tamino."

Um die Marktentwicklung auch international zu beschleunigen, haben die Darmstädter die Einnahmen aus ihrem Börsengang vom April 1999 dafür aufgewendet, Firmen in Frankreich, Belgien, Irland und Australien zu kaufen. Um die größte Sorge der Aktionäre, die fehlende Präsenz in den USA, zu beheben, wurde die Firma CPL in San Franzisko gekauft. Als auch das nicht reichte, erwarb Königs kürzlich Saga, er hatte die US-Tochter - noch unter dem Namen SAG North America - im März 1997 zur Zeit größter Finanznöte verkauft.

Durch den Rückerwerb ist die Software AG nicht nur in den USA, wo man nun Zugang zu fast 1600 Kunden hat, wesentlich besser vertreten. Denn Saga hatte sich inzwischen auch Präsenzen in Lateinamerika, Israel und vor allem Japan aufgebaut. Probleme bereitet laut Königs auch diese Übernahme, allerdings nicht so schwerwiegende. Erleichternd sei, dass sich viele Mitarbeiter von früher kennen, Saga Adabas und Natural vertrieben habe sowie die Finanzsysteme kompatibel sind. Die US-Mitarbeiter werden seit Mitte Dezember auf XML und die neuen SAG-Produkte umgeschult.

Gleichwohl sollen die Folgekosten der Übernahme nicht das Ergebnis drücken. Königs: "Die Software AG wird durch die Saga-Akquisition im nächsten Jahr über 50 Prozent mehr Umsatz machen. Und wir wollen das Ergebnis um etwa 40 Prozent wachsen lassen."

So nebenbei arbeiten die Darmstädter, von der Öffentlichkeit bisher kaum bemerkt, an WAP-Lösungen. Königs: "Der nächste Trend nach dem Internet wird Mobile Commerce heißen. Nicht als Pionier dabei zu sein, halte ich für einen großen Fehler." Es bietet sich für "The XML Company" SAG an. Denn die WAP-Sprache Wireless Markup Language (WML) ist ein Subset von XML, und man muss noch viele Applikationen WAP-fähig machen. Entire-X läßt grüßen, und für die Datenbanken gibt es Tamino.

Derzeit laufen eine Reihe Projekte bei Kunden, die auf WAP-Anwendungen zielen. Davon wird bald mehr zu hören sein, so Königs: "Wir werden 2001 eine kleine Tochtergesellschaft gründen, die nur an WAP-Lösungen arbeiten wird."

Open Source kein Thema?Ist Open Source schon deshalb der Trend der Softwareindustrie, weil nicht mehr mit Lizenzen, sondern mit Services das Geschäft zu machen ist? Bei der Software AG sieht es danach nicht aus. Hier sind die Lizenzeinnahmen zuletzt um 26 Prozent gewachsen, während der Gesamtumsatz um 16 Prozent zulegte. Prompt erklärt CEO und CTO Erwin Königs: "Services sind ein elementarer Teil unseres Geschäfts. Aber am stärksten wollen wir im Lizenzgeschäft wachsen."

Ist Open Source ergo für die SAG kein Thema? Ganz so ist es nicht. Ein altes Produkt des Hauses erscheint in diesen Monaten als quelloffene Version: Adabas D. Allerdings ist der Wohltäter die SAP, die das vor Jahren von der Software AG gekaufte Produkt unter dem Namen SAP-DB vertrieben hatte. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine andere Version der SAG-Datenbank Adabas C, sondern um eine von der damaligen Siemens-Nixdorf gekaufte eigenständige und "blödsinnigerweise" (Königs) in Adabas D umgetaufte Datenbank.

Gleichwohl gibt es auch bei der Software AG Diskussionen um eine Open-Source-Strategie. "Wir haben überlegt, das mit Bolero zu machen", räumt Königs ein. "Wir wären immer noch bereit, es mit bestimmten Open-Source-Lizenzen zu tun." Aber nicht im florierenden Kerngeschäft: "Bei unseren Datenbanken und unserer Middleware lassen wir uns nicht darauf ein." Entwicklungs-Tools wie Natural und Bolero aber tragen immer weniger zum Umsatz der SAG bei. Das könnte die Entscheidung einfacher machen.

Königs glaubt nicht, dass das serviceorientierte Business-Modell von Open Source aufgeht. "Die Anbieter können es nicht wollen, weil das ihre Einnahmen senkt. Und als Anwender würde ich niemals eine geschäftskritische Software einsetzen, für deren Weiterentwicklung und Service nicht ein Anbieter geradesteht."

Immerhin ist die Software AG auf den Trend zu Linux eingegangen. Alle Produkte gibt es als Linux-fähige Versionen, seit neuestem auch ein Tamino für SuseLinux auf IBMs /390-Mainframes. In wirtschaftlicher Hinsicht spielen die Linux-Versionen bisher keine Rolle. Das Problem bestehe darin, meint Königs, dass die derzeitige Linux-Anwenderschaft quasi voraussetze, dass sämtliche Software nichts oder nur sehr wenig kosten darf. Vielleicht ändere die aktuelle Orientierung von IBM, in deren Kundschaft die Software AG zahlreiche Anwender hat, ja was daran.