Die neuen Spielregeln der Arbeit

13.03.2006
Ambivalente Nachrichten vom IT-Arbeitsmarkt: Die Unternehmen stellen wieder ein, fordern von den Mitarbeitern aber mehr Einsatz, ohne eine sichere Perspektive bieten zu können.

Gestiegene Umsätze sind nicht immer ein Garant für viele neue Arbeitsplätze. So erwirtschaftete die deutsche IT- und TK-Branche im vergangenen Jahr mit 137,4 Milliarden Euro um 2,4 Prozent mehr als 2004, schuf umgerechnet aber nur 4000 zusätzliche Arbeitsplätze. Damit blieben die Unternehmen weit hinter den Erwartungen ihres Branchenverbandes Bitkom zurück, der 10 000 neue Stellen vorhergesagt hatte. Auf der CeBIT erklärte Bitkom-Vizepräsident Jörg Menno Harms diese Kluft mit dem anhaltenden Stellenabbau in den Sparten Hardware und Festnetz. Mit Prognosen ist der Bitkom darum vorsichtig geworden, so rechnet Harms in diesem Jahr mit keinen zusätzlichen Arbeitsplätzen.

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Berater suchen im großen Stil

Noch suchen vor allem Softwarehäuser und IT-Dienstleister Personal im großen Stil. Accenture will in diesem Jahr 1000 neue Mitarbeiter an Bord holen, bei Capgemini sind es 500 neue Berater, IT-Dienstleister Computacenter hat 150 Vakanzen. Allerdings haben viele Beratungen auch eine hohe Fluktuation. Oft verlassen die Mitarbeiter nach drei bis vier Jahren das Unternehmen wieder, weil sie entweder die hohen Anforderungen nicht erfüllen können oder im Beraterdasein mit hoher Arbeitsbelastung und ständigem Reisen keine Perspektive für sich sehen. Die Hoffnung auf langfristige, sichere Arbeitsplätze mag die Branche trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht wecken. Microsoft-Personalchef Rom de Vries sagte bei der Diskussion über die "Zukunft der Arbeit" auf dem CeBIT-Karrierezentrum der computerwoche: "Die Erwartung, 20 Jahre bei einer Firma arbeiten zu können, ist nicht mehr realistisch." Nicht nur vom Streben nach Sicherheit müssen sich IT-Profis in Zukunft verabschieden. Die Unternehmen erwarten deutlich mehr Flexibilität von ihrer Belegschaft, etwa was Arbeitszeit und -orte betrifft. Wenn es der Kunde verlangt, sollten IT-Profis auch am Wochenende arbeiten können, so die Forderung. SAP-Personalvorstand Claus Heinrich kritisierte die veralteten Gesetze: "Wir brauchen mehr Ausnahmegesetze. Während Spargelstecher am Wochenende arbeiten dürfen, ist es für Berater nicht erlaubt."

Für HP-Geschäftsführerin Regine Stachelhaus ist es selbstverständlich, dass die Mitarbeiter sich selbst ihre Chancen suchen: "Wer auch in Zukunft Jobchancen haben will, darf nicht auf seiner Grundausbildung sitzen bleiben, sondern muss ständig dazulernen." HP versuche immer wieder, Mitarbeiter in Bereiche zu bringen, die nicht ihrer Ausbildung entsprächen. Die gelernte Juristin hat selbst den Wechsel in den Vertrieb gewagt und leitet heute die HP-Sparte Drucker und Bildbearbeitung.

Auch für kleine Firmen wie die Kölner KI AG ist die Veränderungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter überlebensnotwendig. Dirk Buschmann, Vorstand des auf Mobile Business spezialisierten Dienstleisters, sucht Kandidaten, die über ein fundiertes Programmier- und IT-Wissen verfügen: "Wir als Berater müssen immer vorne mitschwimmen, egal welche Buzzword-Welle gerade kommt." Als Chef von derzeit 41 Mitarbeitern kann sich Buschmann keine Fehler in der Personalauswahl leisten, da sich Leistung und Schwächen des Einzelnen viel stärker auf das ganze Unternehmen auswirkten, als das in einem Konzern der Fall sei.

Fundiertes technisches Know-how gepaart mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und Prozesswissen - auf diese Formel bringen derzeit viele Personalchefs ihre fachlichen Anforderungen an Bewerber. SAP-Vorstand Heinrich wünscht sich zudem mehr Begeisterungsfähigkeit: "Die hiesigen Programmierer brauchen die gleiche Motivation wie ihre Kollegen in Bangalore. Wir sollten wieder mehr sportlichen Wettbewerb haben, anstatt andauernd über die schlechte Lage zu jammern." SAP will in diesem Jahr weltweit 3500 neue Stellen schaffen, davon 700 in Deutschland und etwa 1000 in Bangalore. In den Augen Heinrichs ist diese Personalpolitik kein Beispiel für verstärktes Offshoring, zumal der Softwarehersteller auch hierzulande noch viele Stellen schaffe. Allerdings verständen manche SAP-Mitarbeiter nicht, dass die indischen Kollegen auch zum Erhalt der deutschen Arbeitsplätze beitrügen.

Unsichere Programmierjobs

Für reine Programmiertätigkeiten sehen viele IT-Unternehmen mittelfristig keine Perspektive mehr am Standort Deutschland, da diese Jobs billiger und in gleicher Qualität in Osteuropa oder Indien erledigt werden können. Dafür bauen Konzerne wie Microsoft und HP den Servicebereich weiter aus und suchen Mitarbeiter mit technischem und betriebswirtschaftlichem Grundlagenwissen, die die Anforderungen des Kunden übersetzen.

Auf die Vermittlung von Grundlagenwissen bauen auch die Hochschulen. Christian Scholz, Professor für Personal-Management an der Universität Saarbrücken, will aber seinen Studenten darüber hinaus einen realistischen Blick auf die Arbeitswelt vermitteln: "Es exis-tiert oft eine große Kluft zwischen den großen Versprechungen einer Stellenanzeige und den tatsächlichen Bedingungen in den Unternehmen. Die Firmen müssen die veränderten Spielregeln der Arbeit klar kommunizieren und auch intern danach handeln."

Die Forderung der Firmen nach dem "Mitarbeiter als Unternehmer" berücksichtige nur eine Seite. Zwar soll der Beschäftigte eigenverantwortlich arbeiten, aber nicht egoistisch agieren. "Wenn der Mitarbeiter aber als Unternehmer handelt, muss er zwangsläufig an seine Interessen denken und egoistischer werden," warnt Scholz.