Was 3D-CAD heute leisten kann:

Die Natur kennt auch nur Freiformflächen

21.09.1984

Von CW-Mitarbeiter Egon Schmidt

MÜNCHEN - Dreidimensionale CAD-Modelle haben inzwischen einen Reifegrad erreicht, der sie schon heute für viele (Konstruktions-)Zwecke nahezu unentbehrlich macht. Obwohl einfachere (und deutlich billigere) 2D-Systeme in vielen Fällen auch ihren Job tun, werden langfristig immer mehr Entwürfe direkt in 3D erfolgen. Wirklich optimale Konstruktionen, wie sie uns beispielsweise die Natur vorführt, bauen sich eben aus komplizierten Freiformflächen auf.

Bisher bevorzugten die CAD-Entwickler einfacher zu handhabende Regelflächen wie Kreis, Kugel oder Rechteck. Für die Darstellung der zwar komplexeren, aber realitätsnahen Freiformflächen benötigt man nun deutlich leistungsfähigere Hard- und Software, denn mit der Verfeinerung eines Modells steigt der mathematische Aufwand überproportional an.

3D-CAD begann vor Jahren mit den berühmten "Glashäusern", also klassischen Drahtmodellen, durch die man gewissermaßen hindurchschauen konnte, da auch verdeckte Kanten sichtbar blieben. Jene Ur-Entwicklungen - die früher derartigen 3D-Systeme ("AD 2000" etwa) sind um 1977 herum erstmalig kommerziell verfügbar gewesen - stießen aber bald an ihre Grenzen, vor allem, wenn es um komplexere Konstruktionen ging. So läßt sich beispielsweise die Durchdringungslinie Quader - Zylinder im Drahtmodell nicht darstellen.

Die Entwickler von CAD-Systemen gingen daher bald dazu über, rechenintern nicht mehr allein Vektoren mit ihren Anfangspunkten oder einfache Ellipsen darzustellen, sondern gleich ganze Regelflächen (Kreisflächen, Dreiecke etc.). Diese Flächen können auch einfach gekrümmt sein. Damit gab es dann gleich eine Basis, von der aus es relativ einfach war, verdeckte Linien im Schrägriß ("isometrische Darstellung") auszublenden: Die Darstellung wurde natürlicher und überschaubarer. Das sogenannte "Flächenmodell" war geboren.

Durchdringungslinien aus dem Rechner

Damit sind Drahtmodelle nun nicht völlig überflüssig geworden; sie haben in vielen Fällen noch ihre Berechtigung. Aber die Flächenmodelle machen es möglich, gleich auch alle für den Konstrukteur überaus wichtigen Durchdringungslinien von Regelflächen automatisch erzeugen zu lassen. Denn der Computer "weiß" ja beim Flächenmodell, dank dessen spezieller interner Darstellung, ob ein beliebiger Punkt auf einer Fläche liegt oder nicht. Anzumerken ist hier, daß es softwaretechnisch eine ganze Reihe verschiedener Möglichkeiten gibt, Flächenmodelle zu speichern und zu bearbeiten.

Als nächsten Schritt in der 3D-Evolution gelang es, auch reine Freiformflächen, also Flächen, für die es keine exakte mathematische Beschreibung gibt, darzustellen. Dazu gehört beispielsweise die Form eines Kotflügels am Auto. Für die Beschreibung derartiger Flächen gibt es grundlegende Darstellungsweisen: Zum einen die nach "Bezier" und zum anderen die "Bispline"-Art. Statt der seinerzeit eher verfolgten Bezier-Darstellung wählte beispielsweise das US-Unternehmen Intergraph, Huntsville/Alabama, die Bispline-Methode und entwickelte diese zum sogenannten "rationalen Bispline" weiter. Dabei werden innerhalb dieser Darstellung auftretende Regelformen (Quader, Kreise etc.) rechnerintern sofort wieder geometrisch exakt gespeichert und behandelt, wodurch sich die reine Bispline-Näherung dann allein auf Freiformgestalt beschränkt.

Inzwischen ist die vorderste Linie der CAD-Kunst dadurch gekennzeichnet, daß es Algorithmen zu: Glätten der Bispline-Flächen gibt. In diesem Zusammenhang verdient auch eine Technik Interesse, die von Manfred Siebert, Geschäftsführer der deutschen Intergraph, als "non-uniform rational bisplines" bezeichnet wird und die man als erneute Weiterentwicklung der derzeitigen Systeme ins allgemeinere apostrophieren könnte: Denn "non-uniform" heißt hier, daß die Bispline-Meßpunkte nun nicht mehr alle gleiche Abstände voneinander haben müssen. Diese Systeme könnten, wenn sie einsatzreif sein werden, derzeit die Speerspitze der CAD-Entwicklung markieren.

Bei dieser Entwicklung kooperiert deren geistiger Urheber, Intergraph-Mitarbeiter Attilio Rimoldi, relativ eng mit deutschen Fachleuten, speziell aus den Räumen Braunschweig und Stuttgart. Mitunter fließt da auch ein durchaus befruchtender Gedankenaustausch in Ost-West-Richtung.

Zur derzeitigen 3D-Gegenwart gehören auch Algorithmen - an denen Daimler-Benz-Leute mitentwickelt haben -, bei denen der Rechner einen Scheinwerfer mit polarisiertem Licht simuliert beziehungsweise vielmehr jene Situation, in der etwa ein Autodach von polarisiertem Licht beleuchtet wird und man dann an der Reflexion sofort sieht, ob die Fläche wirklich gleichmäßig geformt ist.

Damit wird überprüft, ob im CAD-Kalkulationsmodell die errechneten Dach-Punkte trotz Bispline vielleicht doch eine ungewollte "Delle" oder, was Konstrukteure noch mehr fürchten, gar eine flache Stelle repräsentieren. Heute prüft man die Qualität der Kalkulationen tatsächlich noch mit der sehr aufwendigen Scheinwerfer-Methode an einem silberpapierbeklebten Modell des späteren Autos.

Die 3D-CAD-Leute kennen jedoch auch noch ein anderes, fast schon wieder "klassisches" Verfahren, die Güte ihrer Kalkulationen zu testen: Sie lassen sich vom Rechner Höhenlinien-Schnitte durch ihre Konstruktion legen und schauen die dann an. Nur wenn die Schnitte laufen, also kontinuierliche, elegante Krümmungen ohne Knicke und Stöße zeigen, dürfte auch die CAD-Darstellung fehlerfrei sein.

Netzwerk-Datenbank

Bei der Abspeicherung der Daten der jeweiligen Konstruktionen ist es günstig, mit einer einheitlichen Datenbank für alles, was da so zu speichern ist, zu arbeiten; beispielsweise mit einer Netzwerk-Datenbank oder in der Zukunft auch mit dem Konzept einer rein relationalen Datenbank. Aber für die letztere warten die Experten noch auf innovative Hardware, die schnell genug ist, den dabei nötigen hohen Zugriffsaufwand zu leisten.

Eine einheitliche Datendarstellung im Rechner hat auch den Vorteil, daß damit Bearbeitungsprinzipien, die beispielsweise im Vermessungswesen entwickelt worden sein mögen, leichter auf den Automobilbau zum Beispiel oder auch auf die Leiterplatten-Entwicklung übertragen werden können. Ideen lassen sich so auch weit jenseits ihres Ursprungsortes nutzbringend umsetzen.

Am Rande dieser Diskussion taucht jetzt ein Gesichtspunkt auf, der nochmals die Bedeutung der rationalen und der non-uniformbispline-Freiformflächen-Verfahren unterstreicht: Jene Verfahren kommen nämlich mit Matrizen geringerer Ordnung (also mit "kleineren" Matrizen) aus als Bezier- oder Standard-Bispline-Techniken. Das reduziert die Rechenzeit erheblich, was dann, je nach Anforderungsschwerpunkt, Hardware-Kosten oder eben Zeit einzusparen hilft.

Auf jeden Fall rechenzeitintensiv aber ist die Krönung des 3D-CAD, nämlich das "Solids Modelling" beziehungsweise die volumenorientierte Konstruktion. Ein Verfahren, bei dem nun mit Booleschen Operationen ganze Körperelemente (Kugeln, Quader etc.) addiert oder voneinander subtrahiert werden und für das man wiederum zwei Techniker der Realisierung kennt: die schnelleren, aber weniger genauen "Facetten-Modelle" (bei denen es manchmal so große Punktmengen zu behandeln gibt, daß schließlich Zeitprobleme mit dem Handling der Daten auftreten) und das numerisch korrektere, aber auch aufwendigere analytische Modell. Rechner, die das letztgenannte Modell verwenden, sind in der Regel mit einem besonderen Array-Prozessor ausgestattet, der das jeweils darzustellende Bild (zwanzigmal schneller als ohne ihn) auf den Bildschirm bringt.

Bei den Volumenmodellen, wo es ja auch gleich noch die Schattierungen einer Ansicht durchzurechnen gilt, wenn wirklich eine naturgetreue Abbildung entstehen soll, geht die Entwicklung dahin, eines Tages dem Konstrukteur Systeme an die Hand geben zu können, die ihm ein "schnelles", interaktives Arbeiten und damit ein Durchspielen vielerlei attraktiver Konstruktionsvarianten ermöglicht. Wunschvorstellung ist, die Freiform-Möglichkeiten mit denen der Solids kombinieren zu können. Die mathematischen Probleme dabei sind jedoch außerordentlich groß.

Bei dem 3D-CAD von heute wird in den einschlägigen Diskussionen häufig vergessen, daß diese Systeme nicht nur schöne, bunte räumliche Bilder liefern, sondern auch Volumen oder Masse errechnen.

Durchaus nicht trivial ist die Anfertigung einer 2D-Zeichnung aus einem 3D-Modell. Das System muß dabei nämlich über Funktionen verfügen, die die 3D-Darstellung einer Schraube beispielsweise nicht nur einfach auf 2D umprojiziert, sondern die an den betreffenden Stellen aus einer attributiven Datenbank das passende 2D-Zeichnungssymbol der Schraube heraussucht und in die Zeichnung einfügt.

Nicht nur im Gehirn

Weg von den Regelflächen und Körpern: 3D-Systeme - und hier kommen wir auf den Nutzen derartiger Entwicklungen zu sprechen gestatten es, die möglichen Varianten einer Konzeption nicht nur abstrakt im Gehirn durchzuspielen, sondern auf dem Bildschirm direkt anzuschauen; denn der Rechner simuliert sie in realistischer Weise. Dies kann zu einer Senkung der Erstellungskosten von Modellen und Prototypen führen und eine intensivere Verfeinerung des Objekts über mehr Zwischenschritte erlauben. Außerdem ist es ohnedies in vielen Fällen nur mit einem 3D-System möglich, die simulierten Endprodukte auch noch intensiven Analysen nach der Finite-Elemente-Methode zu unterziehen.

Die Möglichkeit, Freiformflächen zu berechnen, kann auch zu einfacheren Konstruktionen führen. Alte Brücken beispielsweise bestehen entweder allein aus Regelflächen, oder aber man hat sie sicherheitshalber stark überdimensionieren müssen. Jetzt aber sieht man, daß moderne Konstruktionen immer elegantere Formen aufweisen - und damit den Produkten der Natur, den Optimierungen der Evolution zu ähneln beginnen. Der Mensch weist schließlich auch keine Regelflächen auf.