Marketing-Offensive der deutschen Cept-Gruppe auf der "Videotex":

Die Nase vorn mit Multitels und Anwendungen

05.07.1985

Von Brigitte Kammerer-Jöbgest, Hamburg, ist Diplomsoziologin.

NEW YORK - Die wenigen Kenner der internationalen Messe-Szene rund um Videotex-Systeme waren sich letztes Jahr einig: Es darf nicht länger angehen, daß das "beste Videotex-System der Welt" auf solchen internationalen Anlässen am schlechtesten oder gar nicht in Erscheinung tritt. Und so fand sich unter der Regie der Bildschirmtext-Anbieter-Vereinigung neben der Bundespost rasch eine stolze Zahl von 20 Hardware-Herstellern und Anbietern zusammen, um den ersten großen Gemeinschaftsauftritt auf der Videotex '85 in New York zu finanzieren und vorzubereiten.

Die Bundespost mietete eine Satellitenleitung, damit die Messebesucher Life-Zugriff auf eine Deutsche Btx-Zentrale hatten, und die AMK Berlin wurde beauftragt, einen Messestand zu entwerfen, der amerikanischen Standards entsprach.

Doch was nützt die beste Planung wenn äußere Einflüsse alles ändern: Kaum waren die Standbauer und Techniker aus Deutschland eingeflogen, begann für sie eine lange Kette von Improvisationen. Ein Streik des New Yorker Hotelpersonals verhinderte die Ausstellung im New Yorker Hilton und zwang zur Übersiedlung in das Colisseum. Und was der Satellit an Btx-Informationen störungsfrei und flimmerfrei über den großen Teich auf die Btx-Terminals im Hilton übertrug, mußte via Kupferkabel die letzten 200 Meter in die neuen Hallen transportiert werden. Ein Unterfangen, das die Post-Techniker und ihre New Yorker Kollegen tagelang in Atem hielt und auch als Unstern über dem ersten Ausstellungstag stand. "Bildschirmtext made in Germany", für eine halbe Million Mark in New York aufgebaut, konnte zunächst nur von Disketten besichtigt oder in Ausführungen der Aussteller erklärt werden. Später klappte dann doch noch alles.

Dennoch zeigte man sich auf diesem großzügigen deutschen Gemeinschaftsstand (der neben dem von der amerikanischen AT&T der größte war) zufrieden. Die deutsche Ausprägung von Videotex, also "Bildschirmtext", lockte selbst am ersten, dem System-Krisentag, eine Reihe von neugierigen und fachkundigen Besuchern an, und der Strom riß bis zum Ende der Ausstellung nicht ab. Er wuchs, als man alle technischen Konfigurationen dann tatsächlich life erproben konnte: so beispielsweise die Multitels von Siemens und Nixdorf, die Bildplatten-Btx-Kombinationen von Sony und IBM oder das öffentliche Terminal von SEL. Auch Panasonic präsentierte ein öffentliches Videotex-Terminal. Allerdings erwies es sich bei Nachfrage als noch nicht verkäuflich und in den anvisierten Preisvorstellungen (zirka 15 000 Dollar) als wenig attraktiv.

Auffallendes Interesse von amerikanischen Messebesuchern verzeichneten die Dresdner Bank, die Bayerische Hypo-Bank und die Bayerische Vereinsbank, die auf den Konfigurationen deutsche Versionen des Electronic Banking präsentierten.

Technisch bot dieser Gemeinschaftsstand genauso wenig Neues wie die internationalen Wettbewerber auch. Einige deutsche Aussteller bezeichneten das Niveau des Präsentierten als "erschreckend niedrig", einschließlich Kongreßprogramm.

Auffälliges tat sich aber neben der Messe: So meldeten die TV-Stationen und Zeitungen das IBM-joint-venture mit MCI und zeigte, daß die Orientierung dieses Computerherstellers eindeutig in Richtung Telekommunikation geht. Die deutsche IBM-Crew, die für das deutsche Zentralen-System von Btx verantwortlich ist, erfuhr von schwedischen Journalisten, daß Schweden das Cept-System übernehmen wird; wer der zweite europäische Staat sein wird, der dieses Geschäft eingeht, wollten die IBM-Leute nicht sagen. (Bestätigt wurden von der IBM Deutschland entsprechende "Diskussionen" zwischen der Schwedischen Post und der Schwedischen IBM. Anmerkung der Redaktion). "Es wird Zeit, daß die Deutsche Bundespost - wie ihrerseits die britische Post - ihre Telekommunikationsdienste zu einer Company formen, die aktives Marketing betreibt", meinte einer der amerikanischen Standbesucher, die von den deutschen Ausstellern als erstaunlich kompetent und interessiert bezeichnet wurden.

Amerikanische Giganten wie AT&T, Bank of America, Chemical Bank und Time kündigte auf der Videotex die Gründung von "Covidea" an, einer neuen Gesellschaft die gegründet wurde, um nationale Videotex-Dienste für Privathaushalte und Klein-Gewerbliche zu entwickeln und zu vermarkten. Schwerpunkt der Dienste sollen Office-Banking und Börsendienste sein. Dabei sollen die mehr als 40 000 Teilnehmer der separaten Bankdienste von Chemical Bank ("Pronto") und der Bank of America die Basis für den Teilnehmerstamm liefern. Videodata Corporation of America (VCA) kündigte auf der Videotex '85 für Herbst '85 eine Vereinbarung mit der Northwestern Bell Information Technologies an, den Viewtron-Videotex-Dienst auf Minneapolis und St. Paul, Minnesota, auszudehnen. Da Viewtron noch mehr als bisher auf den Mikro-Markt abzielt, erwartet man sich von dieser Neuorientierung eine rasche - eventuell nationale - Steigerung der Teilnehmer-Zahlen.

Das Interesse der Deutschen Btx-Experten wurde lediglich geweckt durch "Teleguide USA", ein lokales öffentliches Videotex-System, das von Videotex Mexiko (Infomart und Time Mirror) in Lizenz an die Tageszeitung "San Francisco Cronicle" verkauft wurde und auf 140 Geräten im Stadtgebiet touristische und Standort-Informationen (etwa in Ladenpassagen) verbreitet. Man spricht von 350 000 Nutzern monatlich, die bis zu drei Millionen Seitenabrufe tätigen. Besonders die zielgruppenspezifische Menuesteuerung dieses Systems, das bald an andere amerikanische Städte verkauft werden soll, erregte die Aufmerksamkeit der Deutschen.

Schließlich fand das Picture-Prestel, für das British Telecom und Tribune Cable auf der Messe einen Versuch angekündigt haben, viel Beachtung, auch bei den Ausstellern aus Deutschland.

Als einen wichtigen Nebeneffekt dieses ersten deutschen Gemeinschaftsstandes werteten manche Aussteller, daß man durch die lange Vorbereitung und die gemeinsame New-York-Zeit Berührungsängste unter den Wettbewerbern abbauen und manche Kooperationsperspektive vorskizzieren konnte. Wie dringend nötig diese internationale deutsche Cept-Präsentation war, zeigte eine Durchsicht ausländischer Fachdienste und Magazine: So häufig Prestel (englischer Standard), NAPLPS (amerikanischer Standard), Captains (Japanischer Standard) oder Antiope (Frankreich) erwähnt, verglichen und beschrieben werden, so auffallend ist das Fehlen entsprechender Cept-Würdigungen.

Dabei wurde schon 1981 bei einer Konferenz der europäischen Postverwaltungen Cept als "europäischer" Standard verabschiedet und selbst England, das derzeit zirka 50 000 Prestel-Teilnehmer verzeichnet, plant den Cept-Start für 1987, dann allerdings zunächst parallel zu der eingeführten Prestel-Norm. Wann Frankreich Cept im vollen Umfang übernimmt, ist offen. Vorerst präsentieren sie stolz ihre bald 800 000 Minitel-Besitzer (elektronisches "Telefonbuch") von denen aber nur 3000 an Videotex-Versuchen teilnehmen, und berufen sich auf das Abkommen zwischen ihrem Regierungschef Mitterand und dem deutschen Kanzler, auf der Funkausstellung '85 den Gateway für die Verbindung zwischen Antiope und Cept zu öffnen.

Ungeachtet der unterschiedlichen Systeme und Standards in denen Videotex in verschiedenen Ländern realisiert wird, verdichtete die Präsentation von 60 international Ausstellern auf der Videotex '85 den Eindruck, daß weltweit gilt, was die amerikanische Fachzeitschrift, allerdings auf die USA bezogen, schrieb: "These are trying times for videotex apologists."

Die Deutschen klotzten

Zum erstenmal auf einer internationalen Videotex-Ausstellung "klotzten" die Deutschen mit der Präsentation ihres Videotex-Systems "Bildschirmtext". Ein Drittel der Aussteller im New Yorker Colisseum kamen aus der Bundesrepublik. Eine Aktion der Anbietervereinigung komprimierte 20 große und kleine Hersteller, samt IBM und Bundespost, sowie Btx-Anbieter auf einem nationalen Stand. Nur US-Konkurrent AT&T hielt, was die Quadratmeterzahl anlangte eine gleich starke Position. Weder technische Neuheiten des internationalen Mitbewerbs noch der Informationswert des Kongreßbegleitprogramms konnten die deutschen Teilnehmer beeindrucken, zu sehr sehen sich die an Btx Interessierten in der Rolle der Besten. bi