Werbung um Investoren aus Europa

Die Nasdaq fürchtet Europas junge High-Tech-Börsen

17.07.1998

So ganz ihr Tag war der Mittwoch vergangener Woche für die Nasdaq-Verantwortlichen nicht. Die Deutsche Börse AG stahl den US-Amerikanern die Schlagzeilen in den internationalen Wirtschafts-Gazetten: Zusammen mit der London Stock Exchange (LSE) wollen die Frankfurter die wichtigsten britischen und deutschen Aktientitel harmonisieren. Eine am Vortag unterzeichnete gemeinsame Absichtserklärung sieht die Bildung einer strategischen Allianz zwischen den Börsen in Frankfurt und London vor; an beiden Handelsplätzen sollen später bis zu 300 der größten europäischen Standardaktien notiert werden. Zudem ist an die Etablierung einer gemeinsamen elektronischen Handelsplattform gedacht.

Just an besagtem Mittwoch wollte eigentlich auch Nasdaq-President John Wall vor der deutschen Wirtschaftspresse erste Details einer geplanten Kooperation mit der Deutschen Börse AG bekanntgeben. Statt dessen mußte der für den Bereich strategische Entwicklung und internationales Marketing zuständige Nasdaq-Vorstand gute Miene zum bösen Spiel machen. Er finde die Tatsache, daß hier mittelfristig ein paneuropäischer Aktienmarkt entsteht, eine "spannende Sache". Einen Kommentar zum Verhandlungsstand mit den Frankfurtern lehnte er ab. Die Gespräche mit der Deutschen Börse AG laufen weiter, hieß es lediglich.

Daß das Nasdaq-Management über die deutsch-britische Börsenallianz alles andere als glücklich ist, hat seinen Grund. Der Neue Markt in Frankfurt, entsprechende Pendants in London und Paris sowie die Easdaq in Brüssel machen Europa für institutionelle wie private Anleger interessant. Immer mehr kapitalhungrige und renditeversprechende junge Wachstumsfirmen im High-Tech-Sektor locken die Inve- storen an. Die Nasdaq will deshalb, so Experten, den Anfängen wehren.

Eine zunächst exklusive Kooperation mit der Deutschen Börse AG hätte den Verantwortlichen in zweierlei Hinsicht ins Konzept gepaßt: Zum einen wäre es gelungen, sich das in Deutschland grassierende Aktienfieber zunutze zu machen, also deutsche Anleger verstärkt für in New York notierte Titel zu interessieren. Zum anderen hätte ein Deal mit den Frankfurtern den sich jetzt abzeichnenden ersten Schritt zu einer Europa-Börse zumindest zeitlich aufgehalten.

Doch dafür dürfte es jetzt zu spät sein. Wall machte dennoch kein Hehl daraus, daß die europäischen Investoren für seine Gesellschaft immer wichtiger werden. Man sei derzeit "auf Roadshow", gab der Nasdaq-President unumwunden zu. Schon seit Monaten laufe eine entsprechende Marketing-Kampagne in Großbritannien. Nächster "Zielmarkt" sei Deutschland, Frankreich und die Schweiz sollen in absehbarer Zeit folgen. In Imageanzeigen wolle man die Nasdaq als "weltweit anerkannte Handelsplattform für kapitalsuchende Firmen sowie interessierte Anleger" herausstellen. Darüber hinaus haben die US-Amerikaner auf ihrer Europa-Tour eine Reihe von bereits an der Nasdaq notierten High-Tech-Startups als Vorzeigekandidaten im Gepäck, die man ausgewählten Investoren präsentieren will.

Den überwiegenden Teil seiner deutschen Pressekonferenz widmete der Nasdaq-Chef der Werbung in eigener Sache. So sei die Nasdaq - nach der immer noch als das Maß aller Dinge geltenden New York Stock Exchange (NYSE) - der hinsichtlich des US-Dollar-Handelsvolumens weltweit zweitgrößte Aktienmarkt. Mit rund 5500 notierten Unternehmen habe man die NYSE (etwas mehr als 3000 gehandelte Firmen) sogar überflügelt. Und die Nasdaq liste derzeit mit knapp 500 Nicht-US-Companies mehr ausländische Aktien als die NYSE und der dritte Wallstreet-Handelsplatz, die American Stock Exchange (Amex), zusammen, betonte Wall die globale Ausrichtung seiner Gesellschaft.

Besonders bemüht war der Nasdaq-President, die Effizienz des eigenen elektronischen Handelssystems hervorzuheben. 40 Prozent des täglichen Aktienhandels an der Nasdaq (durchschnittlicher Tagesumsatz 1997: 646 Millionen Aktien) werden seinen Ausführungen zufolge während der ersten 15 Minuten eines Handelstages abgewickelt. Dies setze "ein stabiles System voraus". Zudem liefen auch 15 Prozent aller NYSE-Transaktionen über das Nasdaq-System - weil "wir preisgünstiger und effizienter arbeiten", zeigte sich Wall stolz.

Der Nasdaq-Manager ging in diesem Zusammenhang auch auf die vor einigen Wochen angekündigte und inzwischen von den Gremien beider Gesellschaften abgesegnete Fusion mit der Amex ein. So soll die 1911 gegründete Amex als formal unabhängige Tochter der rund 60 Jahre jüngeren Technologiebörse Nasdaq weitergeführt werden - allerdings unter dem Dach einer gemeinsamen Holding. Die Nasdaq ihrerseits wird zunächst 110 Millionen Dollar in die Modernisierung der technischen Infrastruktur der Amex stecken. Beide Börsen sollen - auch wenn an der Amex die Prinzipien des klassischen Parketthandels, also die Kursfestsetzung aufgrund von Angebot und Nachfrage, beibehalten werden - zudem in absehbarer Zeit mit einem einheitlichen Handelssystem operieren. Überdies habe man den US-Carrier Worldcom-MCI mit der Konzeption eines Intranet für die Kommunikation mit Analysten und Brokern beauftragt. Auftragsvolumen: Rund 600 Millionen Dollar.

Stichwort Intranet/Internet: Daß nicht nur der an Popularität gewinnende Börsenplatz Europa, sondern auch die immer zahlreicher werdenden Online-Broker ala Fidelity Investments oder Charles Schwab den Nasdaq-Verantwortlichen Kummer bereiten, deutete Wall an. Man müsse sich auch an der Nasdaq mit dem teilweise um 20 Prozent kostengünstigeren Aktienhandel via Internet auseinandersetzen, obgleich die US-Börsenaufsichtsbehörde Stock Exchange Commission (SEC) hierzu noch nicht das letzte Wort gesprochen hat. Bisher hat die SEC nur Vorschläge zur Einbindung der Web-Broker in die strengen Zulassungsbestimmungen des US-Aktienhandels präsentiert. Die vergleichsweise noch geringen Umsätze der Online-Broker werden deshalb, wie Wall milde ausführte, "momentan im rechtsfreien Raum" erzielt.