RZ-Leiter: Vom Gehilfen zum Partner im Informationsmanagement

Die Musik der DV-technischen Zukunft spielt in der Service-Fabrik Rechenzentrum

13.10.1989

Rascher Wandel auf den Märkten bedeutet gerade für Informationsdienstleister, entsprechend flexibel sein zu müssen. Dem Rechenzentrums(RZ)-Management fällt die Aufgabe zu, die Arbeitsabläufe im RZ zu optimieren. Von "handgestrickter" zu "computergesteuerter" DV-Produktion führt dabei der Weg. Doch einer Integration der unterstützenden Software mit dem Ziel, die Benutzerzufriedenheit zu erhöhen, stehen erhebliche Hemmnisse entgegen. Welche Qualitäten gehören dazu, damit das "Herz der zentralen DV" in die vorderste Reihe des Informationsmanagements aufrücken kann? Diese Fragestellung erörterten Bernhard Koblischeck, Leonberger Bausparkasse AG in Leonberg, und Heinz G. Hain, Wüstenrot GmbH in Ludwigsburg, in einer CSE-Gesprächsrunde* mit Wolf-Dietrich Lorenz.

CW: Auf welche Weise können Automatisierungstools das Rechenzentrumsmanagement wandeln?

Koblischeck: So, wie sich die Datenverarbeitung hin zur Informationsverarbeitung wandelt, verändert sich auch das bisherige Aufgabenspektrum des RZ-Managements. Die Steuerung komplexer Automatisierungssoftware, zunehmend gezielter Einsatz immer intelligenterer Hardware-Komponenten und Betreiben von Lokal- und Remote-Vernetzungen rücken hierbei in den Vordergrund.

Hain: Zu den neuen, in vielen Fällen ungewohnten Herausforderungen, zählt auch der Aspekt "Qualifikation": Es gilt vor allem, die bestehenden Qualifikationsengpässe zu überwinden. Dies erfordert gezielte, massive Aus- und Weiterbildungsanstrengungen, die schließlich in das Aufstellen von Personalentwicklungsplänen einmünden müssen. Führung und Motivation einer deutlich höher qualifizierten Mannschaft verlangen nämlich, bisher praktizierte Arbeits- und Führungsstile zu überdenken.

CW: Und wie nimmt sich der Wandel des Technikmanagements aus?

Hain: Der Funktionsumfang der Automatisierungstools bringt eine erhöhte technische und operationelle Komplexität mit sich. Herkömmliche Instrumente zur Führung und Steuerung des Rechenzentrums aber reichen künftig nicht mehr aus. Was folgt daraus? Zwangsläufig bedingt die Integration der Automatisierungstools in die RZ-Abläufe über eine - wohlgemerkt permanente - Anpassung der Zuständigkeiten hinaus auch, die Organisationsstruktur des Rechenzentrums zu verändern.

Koblischeck: An erster Stelle steht, sich mit der Integration der komplexen Automatisierungssoftware auseinanderzusetzen. Dazu müssen Schnittstellen zwischen Anwendungsentwicklung, Fachbereich und Produktion organisatorisch erarbeitet und funktional eindeutig abgegrenzt werden. Das Technik-Management hat von Beginn an - und im eigenen Interesse - dafür zu sorgen, daß der spätere Produktiveinsatz neuer Systeme und Verfahren reibungslos vor sich gehen kann. Dies ist ja auch Voraussetzung für eine spätere breite Akzeptanz unterstützender Automatisierungstools. Denn, um in der Zukunft nicht mit dem Rücken zur Wand zu stehen, wird der erfolgreiche RZ-Manager auf ihren Einsatz angewiesen sein.

CW: Wo sehen Sie bei diesem Integrationsprozeß das größte Problem?

Koblischeck: Ein schwerwiegendes Problem ist mit Sicherheit die Implementierung der unterstützenden Software. Ihre Anschaffung allein genügt nicht. Die Implementierung erfordert, nach Projektmanagement-Gesichtspunkten vorzugehen. Hier muß sich das RZ-Management umstellen und von der engen Sichtweise befreien, Projektmanagement sei eine reine Angelegenheit der Anwendungsentwicklung.

Hain: Da stimme ich zu. Die größte Gefahr bei der Implementation von Automatisierungstools liegt tatsächlich in der zu einseitigen, technischen Betrachtungsweise dieses Themas. Dabei wird bislang der notwendige Wandel des Umfelds ebenso übersehen wie die steigende Abhängigkeit des Rechenzentrums von eben diesen Tools unterschätzt wird. Im Normalfall führen zwar die eingesetzten Werkzeuge dazu, den Betriebsablauf zu vereinfachen und die Sicherheit zu erhöhen - im Einzelfall kann es aber zu ungleich schwereren Störungen kommen.

CW: Läßt der Stand der technischen Entwicklung von Automatisierungswerkzeugen noch zu wünschen übrig?

Koblischeck: Die zur Verfügung stehenden Automatisierungswerkzeuge weisen im allgemeinen einen technisch guten Entwicklungsstand auf.

Hain: Damit ist ein Anfang gemacht, mehr aber auch nicht. Für die Konzepte einer RZ-Automatisierung, die ja so neu nicht sind, entstanden in den letzten Jahren Hilfsmittel und Werkzeuge, die es nun erlauben, mit der Umsetzung dieser Konzepte in die Praxis zu beginnen. Denn zum einen decken die wenigsten Tools bislang eine RZ-Disziplin funktionell

vollständig ab, zum anderen ist für viele Tätigkeitsfelder eine Automatisierungsunterstützung überhaupt erst ins Ansatz erkennbar. Erschwerend kommt hinzu, daß sich auf vielen Gebieten allgemein verbindliche Standards und Konventionen eben noch nicht durchgesetzt haben.

Koblischeck: Deshalb erscheint es auch bei der Auswahl geraten, den Softwarehersteller näher zu betrachten. Automatisieren heißt nämlich, sich in eine gewisse Abhängigkeit zu begeben. Aus diesem Grund sind die Infrastruktur des Herstellers, seine Entwicklungsmannschaft und seine technischen Support-Möglichkeiten im Problemfall mit Sicherheit wichtiger als vielleicht die eine oder andere Report-Erstellung des Produktes. Zudem bieten die Werkzeuge meistens keine organisatorischen Lösungen zur Integration im Unternehmen an. Unternehmen selbst sind also stark gefordert, organisatorische Vorgehensweisen zu erarbeiten.

CW: Automation in den Kinderschuhen: Ist da die Frage nach dem Verhältnis von Kosten und Nutzen der automatisierten RZ-Produktion bereits zu beantworten?

Koblischeck: Früher wurden Jobs manuell, sequentiell gestartet, heute geht es automatisch, parallel. Die Bedienung der peripheren Kassettenstationen erfolgte bisweilen manuell, heute unter Robotereinsatz maschinell. Band- und Plattenplatzverwaltungssysteme arbeiten mit einer manuell nie zu erreichenden Effizienz.

CW: Die Aufzählung könnte man sicher noch fortsetzen ...

Koblischeck: Ja, und bei allem liegt der Nutzen eindeutig über den Kosten.

Hain: Hier möchte ich doch ein wenig relativieren. Die Frage der Kosten/Nutzen-Relation ist, je nach Installation und Environment, sehr unterschiedlich zu beantworten. Den teilweise kostspieligen Einzelinvestitionen steht sicher nicht immer ein kurzfristiger "Return of Investment" gegenüber. Es darf aber nicht verkannt werden, daß auf der Nutzenseite nicht nur die Reduzierung, zumindest aber die Begrenzung der Personalkosten steht. Vielmehr bilden eine Reihe von Automationsschriften eine unabdingbare Voraussetzung, um künftige RZ-Aufgaben zu bewältigen.

CW: Und welche Tendenzen zeichnen sich für die Zukunft ab?

Hain: Noch wird mit den vorhandenen Tools mehr an den Symptomen kuriert als den Ursachen wirklich auf den Grund gegangen. Ein Beispiel dafür ist das "Konsol-Management". Trotz Message-Filtering, dem Einsatz von PS/2-Systemen zur Systemüberwachung und -Steuerung sowie einer Unterstützung durch diverse CLIST-Prozeduren wird an der Konsole noch wie in den 60er Jahren im "line-mode" gearbeitet.

In der künftigen Entwicklung haben Expertensysteme ihren festen Platz. Sie korrigieren automatisch die Mehrzahl der im Betriebsablauf vorhandenen Situationen - Stichwort: "Artificial Intelligence" -, melden nur noch außergewöhnliche Situationen dem Operator Stichwort: "Exception Management" - und unterstützen ihn dann bei den zu treffenden Entscheidungen - Stichwort: "Decision Support System".

Koblischeck: Anwendungen können heute ja in fast allen Variationen entwickelt werden. In Zukunft liegt die Priorität gerade deshalb eindeutig bei der Informationsverfügbarkeit: Informationen zentral und dezentral, national und international bereitzustellen, und das unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten an sieben Tagen in der Woche und an 24 Stunden je Tag.

Hain: Dazu tragen Automatisierungsvorhaben bei. Dennoch bleibt ein "dark data center" noch ferne Zukunft. Allerdings werden sich die bedienerlosen RZ-Betriebszeiten ausdehnen, die unbeaufsichtigten sich verkürzen. Die Musik der Zukunft spielt im DV-technischen Bereich im Rechenzentrum.

CW: Damit verändern sich die Qualifikationen und Tätigkeitsbereiche der RZ-Mitarbeiter doch erheblich.

Koblischeck: Automatisierungstools stellen hohe Qualifikationsansprüche an den RZ-Mitarbeiter. Sie entlasten ihn von Routinetätigkeiten, fordern dafür jedoch sein gesamtes Wissen in Ausnahmesituationen ein. Ich könnte den Vergleich mit dem Überwachungspersonal eines Kernkraftwerkes ziehen, welches im Störfall sein ganzes Können entfalten muß, um Katastrophen zu verhindern.

Hain: Der Arbeitsplatz des RZ-Mitarbeiters von morgen wird mit Blick auf Qualifikationspotential, notwendigen Skill, angebotenen Tätigkeitsprofilen und den Verantwortlichkeiten nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem haben, was in der Vergangenheit üblich war. Sein Berufsbild wird sich in allen Belangen dem eines Anwendungsentwicklers oder Systemprogrammierers völlig angleichen.

Koblischeck: Begriffe wie "Arbeitsvorbereitung" oder "Operating" gehören in Kürze der Vergangenheit an. Beide Bereiche verschmelzen und ihre Mitarbeiter sind als Spezialisten gemeinsam für die Steuerung komplexer Systeme verantwortlich.

Hain: Und bereits in nächster Zukunft werden so ausgebildete und mit den Kenntnissen von Automatisierungstools ausgestattete Mitarbeiter am Markt schwerer zu bekommen sein, als beispielsweise Organisationsprogrammierer normaler Couleur.

CW: Welche Faktoren wirken sich besonders auf die Aufgaben des RZ-Verantwortlichen aus?

Hain: Für die Verantwortlichen im Rechenzentrum wird es kein leichtes Unterfangen sein, die Konzepte der RZ-Automation zu initiieren und dabei die Geschwindigkeit des Vorgehens zu bestimmen, die Rahmenbedingungen der Vorgehensweise abzuklären, Standards und Konventionen festzulegen sowie die erforderlichen Ressourcen und den Skill der Mitarbeiter bereitzustellen. Dieser Prozeß wird aber nicht nur von Sach-, sondern auch von Personalfaktoren getragen. Überzeugungsarbeit an den verschiedensten Stellen, auch außerhalb des Rechenzentrums, ist daher erforderlich.

Koblischeck: Der RZ-Verantwortliche muß sich und seine Mannschaft positionieren. Er muß seinen Mitarbeitern klar aufzeigen, was auf sie zukommt. Bereits heute muß er strategisch Vorsorge treffen, daß Spezialwissen nicht an einzelnen Personen aufhängt ist, sondern möglichst auf einer breiten Basis steht. Im Vorfeld auf neue Aufgaben vorbereiten, um agieren zu können: Dies wird eine der wichtigsten Aufgaben des RZ-Managers sein.

Hain: Denn schließlich darf nicht vergessen werden, daß der Einsatz von Automatisierungstools nicht an irgendwelchen Randgebieten, sondern im Herzen des operativen Bereiches vonstatten geht.

CW: Wo findet der RZ-Leiter im Rahmen des Informationsmanagement künftig keinen Platz?

Koblischeck: An der Schnittstelle zwischen der Realisierung neuer Anwendungen und den vorhandenen technischen Möglichkeiten.

Noch vor Jahren war die Trennung von DV-Anwendungsentwicklung und DV-Produktion überschaubar. Auf beiden Seiten wurde sie in der letzten Zeit zunehmend aufgehoben. Optimale Informationsverarbeitung ist künftig ja nur effektiv, wenn der Entwickler weiß, welche technischen Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen. In diesem Schnittstellenbereich wird der RZ-Leiter seinen künftigen Platz finden.

Hain: Die Konsequenzen des Einsatzes von Automatisierungstools beschränken sich nicht nur auf den RZ-Betrieb, sie erfordern auch ein nicht unerhebliches Umdenken in der Anwendungsentwicklung und der Systemprogrammierung. Diese Trends haben das RZ von der Rolle des Ausführenden zu einem Partner bei der Gestaltung von IS-Funktionen werden lassen. Hierzu rechne ich unbedingt auch das Aufgabenspektrum des Rechenzentrums, das sich generell ändert: In ihm steht nicht mehr allein eine effiziente Ressourcensteuerung im Vordergrund. Vielmehr ist die erhöhte Benutzerzufriedenheit herausragendes Merkmal.

Ist dieser Schritt vollzogen, dann kann der Platz des RZ-Leiters nur in der vordersten Reihe des Informationsmanagements sein.

*CSE, Conferences, Seminars, Education ist der Kongreßveranstalter der IDG Communications Verlag AG. Die Leitung hat Wolf-Dietrich Lorenz.

Fachleute benoten Automatisierung

Heinz G. Hain und Bernhard Koblischeck sind Referenten auf dem CSE-Anwender-Kongresses "RZ-Management und DV-Organisation" am 15. und 16. November 1989 in München. Auf dieser herstellerneutralen Veranstaltung erörtern RZ-Führungs- und Fachkräfte, wie sie mit Automatisierungslösungen Ressourcenmanagement und organisatorische Integration erfolgreich betreiben.

Informationen: CSE, Conferences, Seminars, Education, IDG Communications Verlag AG, Rheinstraße 28, 8000 München 40, Telefon: 0 89/3 60 86-1 69.