Der Anwender wartet weiter auf neue Services wie Kabel-Telefonie

Die Milliardenträume im TV-Kabelmarkt sind geplatzt

12.01.2001
MÜNCHEN (hi) - Viele sahen noch vor zwei Jahren im TV-Kabelnetz die Breitbandzukunft. Doch Services wie Telefonie, Fast Internet oder Digitales Fernsehen sucht der Anwender heute vergebens. Angesichts knappen Geldes und neuer Techniken wie DSL sind die Perspektiven für Kabel-TV-Netze inzwischen eher mäßig.

Die Versprechungen im Sommer 1999 klangen phantastisch: TV-Kabelnetze sollten den Weg aus der Bandbreitenwüste in das gelobte Land der schnellen Internet-Zugänge weisen. Angesichts von Umsatzperspektiven im Milliardenbereich ließen sich Investoren gerne locken. Nützlicher Nebeneffekt: Dank Aufrüstung der Netze sollte der Privatanwender oder der Kunde aus Kleinbetrieben mit Kabel-Telefonie und Fast Internet nicht länger auf das Ortsnetz der Telekom angewiesen sein. Heute, Anfang 2001, sucht der Anwender das breitbandige TV-Kabel-Schlaraffenland noch immer vergeblich, und die einst lautstarken Investoren sind verdächtig ruhig. Ihnen hat eine Entwicklung die Suppe versalzen, die Telekom-Sprecher Winfried Gentz als ein Technikgeschenk bezeichnet, "das den zweiten Frühling für die alten Telefonkupferkabel einläutete." Die Rede ist von DSL, das unter dem Markennamen T-DSL von der Telekom bis Ende 2000 an 600000 Haushalte vermarktet wurde.

Leidtragende sind die großen Kabelgesellschaften, die sich erst im letzten Jahr mit Milliardenbeträgen in die TV-Kabelnetze der Telekom eingekauft hatten. Sie haben nun zwangsweise in dem Carrier einen stimmberechtigten Anteilseigner, der kaum Interesse hat, mit einem forcierten TV-Kabelgeschäft die lukrativen DSL-Einnahmen zu gefährden. Zumal die sowohl im TV-Kabelgeschäft als auch im DSL-Business erforderlichen Milliardeninvestitionen aus Sicht der Telekom besser in attraktiven DSL-Services angelegt sind, da dem Carrier mittlerweile auch im lukrativen Ortsnetz auf der letzen Meile Konkurrenz droht. Wie die Telekom in diese Position geriet, zeigt ein Blick zurück.

Der Ursprung für den Goldrausch in Sachen TV-Kabelnetze liegt in Brüssel. Im Zuge der europäischen TK-Liberalisierung hatte die EU-Kommission 1999 in ihrer als "Kabelrichtlinie" bekannten Verordnung die rechtliche Trennung von öffentlichen Telefonnetzen und TV-Kabelnetzen gefordert. Eine Vorschrift, die hierzulande vor allem die Telekom traf. Von den rund 22 Millionen an das Kabelnetz angeschlossenen Haushalten versorgte der ehemalige Staatsmonopolist auf Netzebene 3 ( siehe Kasten TV-Netzstruktur) allein rund 80 Prozent. Von diesem Netz sollte sich die Telekom nach Vorstellung der Eurokraten trennen.

Der Bonner Carrier gliederte darauf seine Kabel-Aktivitäten in neun Regionalgesellschaften aus, für die er neue Anteilseigner suchte.

In der Folge begleitete den Verkauf des TV-Kabelnetzes ein Milliardenpoker, gegen den die Intrigen aus Dallas und Denver-Clan wie Omas Kaffeekränzchen wirken. Die Phantasie beflügelten dabei vor allem Analystenprognosen, die das Umsatzpotenzial eines aufgerüsteten TV-Netzes auf 15 bis 30 Milliarden Mark pro Jahr taxierten. Im Jahr 1998 hatte die Telekom auf diesem Sektor bei einem Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Mark einen Verlust von 635 Millionen Mark erwirtschaftet. Cash-cow im ausgebauten Netz sollten vor allem Dienste wie Digital-TV, Fast Internet, Kabel-Telefonie sowie Digitales Fernsehen und Video on Demand sein. Einziger Schönheitsfehler: Um die interaktiven Dienste zu offerieren, war ein Umbau der ursprünglich als Verteilnetz mit Einbahnstraßencharakter konzipierten Infrastruktur erforderlich. Der Investitionsbedarf hierfür wurde auf fünf bis zehn Milliarden Mark geschätzt.

Angesichts dieser Kosten kamen als Käufer nur potente Investoren in Frage, womit die meist mittelständischen, deutschen Kabelnetzbetreiber der Netzebene 4 ausschieden. Bisher wurden lediglich drei von neun Regionen verkauft. Um diese zankten sich vier Player, unter anderem die United Pan Europe Communications (UPC), die rechtlich zwar als niederländisches Unternehmen mit Sitz in Amsterdam firmiert, doch die Fäden hält Mark Schneider, Filius des US-Kabel-Moguls Gene Schneider aus Denver in der Hand. Zu den weiteren Interessenten gehörten Callahan Associates, die Klesch Ltd. sowie die Deutsche Bank. Diese gehörte nur bedingt zu Kreis der ernsthaften Bieter, da die Banker die TV-Netze hauptsächlich als Spekulationsobjekt betrachteten.

Im Milliardenpoker um die drei Regionalgesellschaften hatte UPC keinen Erfolg. Während Callahan Associates, ebenfalls Sitz in Denver, beim Netzverkauf in Nordrhein-Westfalen (für eine 55-prozentige Beteiligung wurden rund 3,5 Milliarden Mark bezahlt) und Baden Württemberg (ebenfalls 55 Prozent) zum Zuge kam, gelang UPC nur der Einstieg bei Kabelgesellschaften wie der Augsburger EWT/TSS und der Mainzer Primacom. In Hessen, der dritten bisher verkauften Region, hatte die britische Investorengruppe Klesch Ltd. den Zuschlag erhalten. Hinter dieser steckt der amerikanische Investor Gary Klesch, der laut "Spiegel" den wenig schmeichelhaften Ruf "eines windigen Finanzexperten" genießt.

Noch zu haben sind dagegen die Kabelnetze in den Regionen Rheinland-Pfalz/Saarland, Bayern, Niedersachsen/Bremen, Hamburg/Schleswig-Holstein/Mecklenburg-Vorpommern sowie Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen. Offiziell verhandelt die Telekom dabei mit UPC, Klesch und dem US/französischen Unternehmen NTL. Allerdings rechnet in Finanzkreisen niemand mehr mit einem baldigen Abschluss der Verhandlungen. Die potenziellen Käufer, die ihre bisherige Expansion mit der Ausgabe hoch verzinslicher Anleihen finanzierten, haben nämlich Probleme, am Kapitalmarkt neues Geld zu bekommen, seit die Euphorie für TK- und TV-Kabel-Firmen verflogen ist. Möglicherweise ist auch der Callahan-Deal in Baden Württemberg noch nicht in trockenen Tüchern, da die Amerikaner, so die Gerüchteküche, Schwierigkeiten haben, den geschätzten Kaufpreis von drei bis vier Milliarden Mark aufzubringen. Offiziell rechnet Callahan eigenen Angaben zufolge mit einem Abschluss im Frühjahr. Ursprünglich war aber der 1. Januar 2001 als Zahlungstermin vorgesehen.

Die angespannte Finanzlage der Unternehmen könnte denn auch einer der Gründe dafür sein, warum vom Fast Internet via Kabelnetz hierzulande noch nichts zu sehen ist - von einzelnen Insellösungen einmal abgesehen. Branchenkenner schätzen nämlich, dass die Betreiber pro Haushalt rund 1000 Mark investieren müssten, um im Netz den erforderlichen Rückkanal zu implementieren und die Bandbreite zu erhöhen. Sollten die Betreiber wegen leerer Kassen in Sachen breitbandigem Internet-Zugang nicht vorankommen, wäre das prekär. Experten wie Ralf Keim, Geschäftsführer beim TK-Consultant Litcom GmbH in Neu-Isenburg, räumen den TV-Netzbetreibern nur noch ein Zeitfenster von einem halben bis einem Jahr ein, um ihre Netze fit zu machen. "In dieser Zeit rüstet die Telekom massiv in Sachen DSL auf und die Energieversorger stehen mit Powerline in den Startlöchern", begründet Keim seine kritische Einschätzung der Situation. Zudem verweist der Consultant noch auf ein technisches Problem der TV-Netze: "Weil das TV-Netz als Shared Medium angelegt ist, muss sich der Anwender die Bandbreite von 2 Mbit/s mit allen anderen Teilnehmern teilen, während der DSL-Kunde dediziert über seine Bandbreite verfügt." Außerdem sei der TV-Kabel-Rückkanal im Vergleich mit DSL zu schmalbandig.

Und die Bandbreite könnte bei T-DSL, wenn sich die Gerüchte bewahrheiten, selbst für Privatkunden bald bei 1,5 Mbit/s liegen, statt der heute üblichen 768 Kbit/s. Sollte die Telekom diese Verdoppelung realisieren, dann verlören die TV-Netzbetreiber vermutlich eines ihre letzten Zugpferde: Video on Demand wäre auch mit T-DSL realisierbar. Insider wollen wissen, dass die Telekom bereits Kopfprämien an Videotheken bezahlt, um an die Adressen der Ausleiher zu kommen. Diese wären nämlich die ideale Klientel für künftige T-DSL-Services wie Video on Demand.

Eine Einschätzung, die Peter Charissé, Geschäftsführer der Anga, dem Verband Privater Kabelnetzbetreiber in Bonn, nicht teilt. Für Charissé, dessen Verband über 130 Unternehmen vertritt, die hauptsächlich auf der Netzebene 4 aktiv sind, bleibt die Verteilung bewegter Bilder wie etwa Video on Demand eine Domäne der TV-Kabelnetze. Allerdings bestätigt auch er, "die Stimmung unter den Kabelnetzbetreibern ist nüchterner geworden". Zwar seien die Anga-Mitglieder fest entschlossen, das TV-Netz auszubauen, doch auf der Netzebene 3 sind die Mitgliedsfirmen machtlos und vom Ausbauwillen der neuen Mehrheitseigentümer wie Callahan oder Klesch abhängig. "Und dieser Wille ist im moment nicht sichtbar", beschreibt Charissé enttäuscht die Situation. So warte man etwa in Nordrhein-Westfalen immer noch auf den zum Jahresbeginn 2001 von Callahan versprochenen Ausbau des TV-Netzes für 100000 bis 110000 Haushalte in Düsseldorf.

Desillusioniert über den Ausbau der Regionalnetze diskutieren die Anga-Mitglieder bereits eine mögliche Abkoppelung von der Netzebene 3, die sich in der Hand der Regionalgesellschaften befindet. So kann sich Charissé vorstellen, dass die Unternehmen in Zukunft die Zuführung zu ihren Netzen der Ebene 4 in eigener Regie abwickeln. Als Transportmedium könnten dabei unter anderem Satelliten dienen.

Der Ausbau der Infrastruktur ist jedoch nur ein Problem, mit dem die TV-Netzbetreiber zu kämpfen haben. Auch auf politischer Seite weht ihnen mittlerweile ein härterer Wind entgegen, nachdem sich Primacom/UPC in Leipzig einen üblen Fauxpas erlaubte. Das Unternehmen nahm Pro 7 aus dem normalen Programmpaket, so dass der Sender nur bei Bestellung eines teuren Zusatzpakets (30 Mark pro Monat) zu empfangen war. "Seitdem hören wir auf Veranstaltungen immer wieder, wir wollten das Free-TV aus dem Kabelprogramm schmeißen", zeigt sich Charissé verärgert.

Neben den hausgemachten Problemen droht den Kabelnetzbetreibern noch von einer ganz anderen Seite Gefahr. Kleinbetriebe, für die ein Kabelanschluss als Internet-Zugang interessant wäre, können sich aufgrund des rapiden Preisverfalls mittlerweile auch eine 2-Mbit/s-Standleitung leisten. Dabei, so berichten Anwender aus der Praxis, sind bei geschickter Verhandlung bei Internet-Providern wie Uunet durchaus Preisnachlässe von 50 bis 70 Prozent gegenüber den offiziellen Preislisten drin.

TV-Netzstruktur

Im internationalen Vergleich wartet der deutsche TV-Kabelmarkt mit einer Besonderheit auf: Nur hierzulande ist das Breitbandnetz in vier Netzebenen aufgeteilt.

Netzebene 1: Die erste Ebene, auch als überregionales Verbindungsnetz bezeichnet, umfasst die Produktion der Inhalte sowie die Studiotechnik bis hin zu den Schaltstellen der Telekom.

Netzebene 2: Auf dieser Ebene erfolgt die Übertragung der Signale vom Produktionsort zum Sender (terrestrisch oder via Satellit) und von dort weiter zur Kabelkopfstelle der eigentlichen Breitbandkabelnetze vor Ort.

Netzebene 3: Sie spielt in der Diskussion um die Zukunft der Kabelnetze in Deutschland die entscheidende Rolle, da sie das regionale beziehungsweise örtliche Teilnetz, auch als Zuführungsnetz bekannt, definiert. Die NE 3 (NE = Netzebene) verläuft von der Kopfstation zu den einzelnen Häusern und Wohnanlagen. Vereinfacht ausgedrückt ist sie mit dem Ortsnetzbereich bei der Telefonie vergleichbar.

Netzebene 4: Die vierte Ebene charakterisiert die Verkabelung in den Häusern (Inhouse-Verkabelung) vom Übergabepunkt bis hinzu den Anschlussdosen für Fernseher, Radio etc. Auf dieser Ebene bestand schon seit längerem Wettbewerb und die Telekom verbuchte hier lediglich einen Marktanteil von 26 Prozent, während die vorwiegend mittelständischen Anbieter auf 74 Prozent kommen.

Abb.1: TV-Regionalgesellschaften

Noch sucht die Telekom Käufer für fünf Regionalgesellschaften. Quelle: Pricewaterhouse Coopers-Research

Abb.2: Netzebenen des TV-Netzes

Quelle: Pricewaterhouse Coopers-Research