Nicht den Kinderschuhen entwachsen

Die Microsoft Corporation, und wie sie die Welt sieht

08.12.1989

Gelegentlich könnten Leser den Eindruck bekommen, daß Microsoft ein Unternehmen ist, dem es doch sehr an Perfektionismus fehlt. Immer wieder in der Vergangenheit hat man sich kritisch geäußert über Microsofts Firmenkultur, ihren Sprachduktus und besonders ihre Blindheit, wenn es um die Einschätzung des Marktes und seiner Trends ging.

Über dieser Kritik sollte man jedoch nicht vergessen, daß Microsoft grundsätzlich ein Unternehmen mit einer gut durchdachten - und nebenbei bemerkt: profitablen - Computing-Strategie darstellt und im Gegensatz zu Mitkonkurrenten sowohl die Entschlossenheit als auch das Durchhaltevermögen und die Ressourcen besitzt, ihre Sicht der Dinge durchzusetzen.

Allerdings gibt es ein Problem: Es dauert gelegentlich sehr lange, bis sich Microsofts Vorstellungen verwirklichen. Windows beispielsweise brauchte Jahre- bis es zu einem ernstzuehmenden Produkt wurde, was jetzt auch durch das IBM-Bekenntnis auf der Comdex in Las Vegas bekräftigt wurde.

Aber wie würde eine IS-Abteilung aussehen, richtete sie sich nach den Vorstellungen Microsofts? Eine nach Microsofts Ideen geformte Abteilung würde zwei Grundkomponenten verwirklichen: Applikationssoftware wäre eindeutig grafisch ausgerichtet, möglicherweise sogar in recht ansprechender, eleganter Ausgestaltung. Die Software wäre definitiv sehr teuer.

Die Hardware würde sich auszeichnen durch leistungsstarke 486-PCs, wobei die Multiprozessorttehnologie durchaus zum tragen kommen könnte. Echtes Multitasking hochauflösende Farbmonitore, massenhaft 32-Bit-Speicherraum und eine großzügig dimensionierte Festplatte oder ein optisches Speichermedium wären weitere Ingredienzen der Microsoft Welt.

Die Rechner würden alle unter der Presentation-Manager-Oberfläche laufen und an den SQL-Server andocken, auf dem Anwender an ihre Daten, egal ob Texte oder Bilder, ablegen könnten. Über LAN Manager wäre das alles miteinander verbunden und jeder könnte mit jedem Daten austauschen oder über das Netz Unterhaltungen führen. Eine neue Basic-Version als Superbatch- und Macro-Sprache für Multitasking-Systeme wäre ebenso implantiert.

Die Sache hat nur einen Haken: Bislang hat Microsoft seine Klientel immer in dem isolierten Anwender oder besser dem Individuum gesehen. Ein globales System jedoch zielt eindeutig auf die Welt der IS-Abteilungen. Hier sitzen die Leute, die wirklich wissen, welche Hardware es gilt effektiv einzusetzen. Und dies durchgehend gültig für das gesamte Unternehmen. Sie dürften übrigens auch die Einzigen sein, die das SQL-Konzept überhaupt verstehen.

Aber eben wegen ihrer Konzentration auf den einzelnen, isolierten PC-Anwender verfügt Microsoft nicht über alle strategischen Komponenten, die notwendig sind, wenn man in das IS-Geschäft einsteigen will. Weder hat Microsoft eine Strategie entwickelt, um die gesamte Rechnerwelt in einem Connectivity-Konzept zusammenzufassen. Noch kann man behaupten, daß Microsoft sich IBMs Officevision-Idee begeistert zu eigen gemacht hätte.

Unix, das gerade bei IS-Managern einige Bedeutung genießt, kommt in Microsofts Applikationsentwicklungs-Politik nicht vor. Und das, obwohl Microsoft sehr wohl im Unix-Geschäft involviert ist. Es gibt Leute, die dieses Vorgehen als Schatzmaßnahme für das nur schwer in Tritt kommende OS/2 interpretieren. IS-Leuten kann es jedenfalls nicht schmecken.

Befänden wir uns in einer idealen Welt, würden sich Microsofts Applikationsentwickler zusammentun mit einem Mainframer. So könnte deren Software sich nicht nur in effektiver Weise mit Hosts austauschen. Microsoft-Applikationen könnten auch Prozeßlasten übernehmen.

Um in eine solche Welt einzutauchen, müßte Microsoft erst mal ihre prinzipielle Sicht der Dinge ändern und die alleinige Konzentration auf den PC Anwender aufgeben Ändert sich an dieser Haltung nichts, könnte es zu einem sehr ungünstigen Szenario kommen: Aus Sicht des auf Microsoft konzentrierten Anwenders würde das bedeuten, daß er bei einem Computerverkäufer alle möglichen hochkomplexen Produkte kaufen könnte, ohne daß dieser Händler auch nur irgend eine Ahnung davon hat, was solche Dinge wie SQL, CICS oder eben IS überhaupt bedeuten. Dem Anwender wäre er also keine Hilfe.

Ergo: Wenn Microsoft an ihrer Weltsicht oder besser Marktsicht nicht einiges ändert, dann wird sie wohl nie einen Fuß in IS-Abteilungen setzen.

*Douglas Barney ist Chefredakteur der Amiga World, USA

Eiertanz

Wir erinnern uns noch alle daran, wie Microsoft die These vom Betriebssystem OS/2 vertrat, das dem 286-Prozessor auf den Leib geschneidert sei. Wir erinnern uns auch der Spaltertheorie des William S. Gates III: 286-Rechner seien schon allein wegen der meist geringeren Festplattenkakapazitäten vor allem für Windows, 386er-PCs mit höheren Rechenleistungen und in der Regel großvolumigeren Arbeitsspeichern für OS/2 prädestiniert. Auch mochte der Microsoft-Stathalter sich nicht vorstellen, daß die Unix-Hersteller sich einmal zusammenraufen könnten, so daß sich ein gültiger Standard entwickeln würde für das Multiuser-Betriebssystem.

Auch bei dem Stillhalteabkommen zwischen IBM und Microsoft vom Eröffnungstag der Comdex konnte man nichts zu Unix hören, nichts zur Rechnerrevolution von unten, nichts in Sachen MlS-Strategien. Microsoft versteht sich als Dienstleister für PC-Anwender.

PC-Entwicklungen, wie sie jetzt etwa bei Multiprozessor-Maschinen vorgestellt wurden, regen den PC-Software-Marktführer offensichtlich nicht zum Umdenken an. Wer das nicht versteht, versteht die Microsoft-Welt nicht.

Doch die EDV-Welt verliert zunehmend ihren Inselcharakter. Wer PC denkt, muß in Zukunft Minis im Kopf haben und Host buchstabieren können. Ob es bei Microsoft jetzt zu Weiterbildungsmaßnahmen kommen wird?