Interview

"Die IT muß durch Einfluß statt Kontrolle wirken"

24.07.1998

CW: Sie fordern, ein IT-Manager müsse sich wie ein Risikokapitalgeber verhalten. Wie ist das zu verstehen?

Gilmour: Damit will ich sagen, daß einige Züge in der Mentalität und der Verhaltensweise eines Venture-Capital-Gebers ein nützliches Vorbild für die IT-Leute abgeben. Sie haben sich bisher bemüht, die Projekte auf ihrer Liste möglichst fehlerfrei abzuarbeiten. Ein Risikokapitalgeber hingegen ist an den Gedanken gewöhnt, ein Projekt-Portfolio zu verwalten, das auch Risiken einschließt; die meisten seiner Investitionen schlagen fehl, aber einige sind extrem erfolgreich und sorgen dafür, daß sich die gesamte Unternehmung auszahlt.

CW: Wollen Sie den Chief Information Officer ermuntern, das IT-Budget seines Unternehmens in Mißerfolge zu investieren?

Gilmour: Nein, so weit gehe ich nicht. Was ich vorschlage, ist zweierlei: Der CIO sollte die Idee des "Operations Management" durch die des "Portfolio Management" austauschen, und er sollte den indirekten Erfolg statt des direkten suchen.

CW: Was ist indirekter Erfolg, und wie erreicht man ihn?

Gilmour: Die IT-Mitarbeiter können nicht jede Initiative kontrollieren. Deshalb müssen sie durch andere Leute wirken: durch Anwender, durch Outsourcing-Anbieter etc. Beispielsweise sollte der CIO nicht selbst die Unternehmensstandards setzen, sondern den Prozeß betreuen, mit dem andere die Standards definieren. Ein Venture-Capital-Geber geht in das Startup-Unternehmen hinein und versucht, Richtung und Grenzen der Aktivitäten zu beeinflussen, aber er macht nicht den Job des Geschäftsführers.

CW: Heißt das, der CIO soll keine Entscheidungen mehr treffen?

Gilmour: Der CIO kann überhaupt nichts entscheiden, denn er hat keine Kontrolle über die Ressourcen. Dazu ist die DV mittlerweile viel zu weit über das gesamte Unternehmen verteilt. Also muß die IT-Abteilung durch Einfluß statt durch Kontrolle wirken.

CW: Aber wer trifft dann die Entscheidungen?

Gilmour: Viele Unternehmen lösen dieses Problem durch ein heterogen besetztes Organisa- tionskomitee. Ich kenne beispielsweise einen französischen CIO, der, als er eine schwierige Entscheidung zu fällen hatte, eine Handvoll sehr unterschiedlicher Mitarbeiter einlud, gemeinsam eine Empfehlung zu erarbeiten. Am Ende setzte jeder einzelne seine Unterschrift darunter. Für den CIO war das wie eine Versicherungspolice: Wenn das Projekt fehlschlägt, verteilt sich die Verantwortung auf viele Schultern.

CW: Offenbar spiegeln sich die vernetzten Strukturen der Informationstechnik mit Verzögerung auch im IT-Management wider.

Gilmour: Das ist eine Möglichkeit, diese Entwicklung zu beschreiben. Eine andere ist diese: Ganz am Anfang war die IT für die Anwender unsichtbar, nur etwas für die Spezialisten. In dem Maße, wie sie an Umfang zunahm, trat sie allmählich in den Vordergrund. Aber wenn etwas sehr groß wird, dann verschwindet es wieder aus dem Bewußtsein. Nehmen Sie den Werkstoff Stahl: Er ist überall im Unternehmen, aber deswegen gibt es noch lange keine Stahlabteilung.

CW: Die IT-Abteilung ist also Ihrer Ansicht nach überflüssig?

Gilmour: Nein, aber diese Leute sollten nicht die Arbeit machen, sondern Ideen, Konzepte und Pläne entwickeln. Dazu müssen sie Erfahrung und Intelligenz, aber keine Technikausbildung mitbringen. Das technische Know-how darf nicht in einer geschlossenen Gruppe gebündelt werden, denn die Technik ist überall.

CW: Hat der CIO in dieser Umgebung überhaupt eine Zukunft?

Gilmour: Ja, sicher - gesetzt den Fall, er ist fähig, den Rollenwechsel bewußt voranzutreiben. Aber er sollte gewarnt sein: In einigen Unternehmen gibt es bereits die Funktion eines Chief Knowledge Officer oder CKO.

CW: Wo überschneidet sich dessen Zuständigkeit mit der des CIO?

Gilmour: Die IT bildet ein breites Spektrum mit der Hardware am einen und den Menschen am anderen Ende. Der Schwerpunkt hat sich beständig auf das menschliche Wissen zu bewegt. Immer mehr Unternehmen bemerken, daß sie ein Content-Management-Problem haben. Und der CIO muß darauf reagieren, indem er Kompetenz in puncto Wissensinhalte, Geschäftspolitik und menschliche Beziehungen erwirbt.