"Saarbrücker Arbeitstagung" zur "zweiten Welle" des Geschäftsprozess-Managements

Die IT fühlt sich für Prozesse verantwortlich

25.10.2002
SAARBRÜCKEN (qua) - Viele Unternehmen nutzen den Begriff Umstrukturierung als Synonym für Entlassungen. Dauerhaft Kosten spart aber nur, wer seine Prozesse tatsächlich neu entwirft. Welche Rolle die IT dabei spielt, war eines der Themen auf der "23. Saarbrücker Arbeitstagung".

"Prozessnetzwerke" - mit diesem Begriff bezeichnete Keynote-Sprecher Klaus Hardy Mühleck, CIO der Audi AG, die größte Herausforderung, die das Geschäftsprozess-Management heute meistern muss. Galt es zu Beginn der 90er Jahre nur, die unternehmensinternen Abläufe effizienter zu gestalten, so erzwingen der hohe Kostendruck, die abnehmende Fertigungstiefe und das allen Unkenrufen zum Trotz wachsende Web-Business heute die Integration der eigenen Prozesse mit denen von Zulieferern, Kunden und Konkurrenten.

Diese Feststellung zog sich denn auch als roter Faden durch die diesjährige Arbeitstagung. Der jährlich wiederkehrende Kongress, den der Saarbrücker Hochschullehrer und Unternehmensgründer August-Wilhelm Scheer vor 22 Jahren ins Leben rief, wurde heuer von der Information Multimedia Communication AG (IMC), einem Tochterunternehmen der IDS Scheer AG, Saarbrücken, ausgerichtet. Das Motto "Geschäftsprozess-Management - The 2nd Wave" (siehe Kasten "BPR - die Zweite") lockte mehr als 380 Teilnehmer auf den Campus der Universität des Saarlandes.

Zumindest gestreift wurde in den meisten Redebeiträgen das Spannungsfeld zwischen den Business-Prozessen und ihrer informationstechnischen Unterstützung. Bei Audi manifestiert sich die enge Verflechtung zwischen den Geschäftsabläufen und der IT als "Integrationstechnik" unter anderem in der Existenz eines Vorstandsausschusses für "Prozess-Management und IT" sowie in der Mitarbeiterschulung: Laut Mühleck hat der in Ingolstadt beheimatete Automobilkonzern kürzlich knapp 50000 Arbeitern und Angestellten zumindest Grundkenntnisse über Geschäftsprozesse und Informationstechnik des Konzerns vermittelt: "Alle unsere Mitarbeiter sollen die Prozessvernetzung verstehen", erläuterte der CIO.

Seine eigene Rolle bei der Gestaltung und Ausführung sieht der Chefinformatiker als die eines "Enablers": Er sei zwar kein Prozesseigner, aber er müsse eine Plattform für die Abläufe bereitstellen. "Wir IT-Manager fühlen uns für die Prozesse verantwortlich, auch wenn die Bezeichnung Chief Processing Officer bei uns noch nicht etabliert ist."

In Bezug auf konzerneinheitliche Prozesse ist Audi indes weit fortgeschritten. So wurde bereits eine durchgängige Stückliste geschaffen. Mit definierten Abläufen für die digitale Produktgestaltung beschäftigte sich das Projekt"Vipro", und für durchgängige Kundenabwicklungsprozesse steht "KAP". Um Überschneidungen zu vermeiden, hat Audi eine "Prozesslandkarte" entworfen, in der jedes Projekt seinen festen Platz erhält.

Lieferanten bestimmen die Entwicklung

Wie sich ein Prozess unternehmensübergreifend gestalten lässt, schilderte Martin Hofmann, Leiter Konzernbeschaffungsplanung und -strategie bei der Volkswagen AG, Wolfsburg. VW hat ein Internet-Portal mit Namen "Supply.com" eingerichtet, um seine Beschaffungsprozesse mit den Vertriebsprozessen der Zulieferer zu harmonisieren (siehe CW 48/01, Seite 34). Das Projekt habe dem Konzern dabei geholfen, so Hofmann, "mit den Lieferanten völlig neu umzugehen". Im Klartext: Die Zulieferer zeichnen mittlerweile für große Teile der Prozessunterstützung selbst verantwortlich. Sie pflegen nicht nur ihre Daten in der Lieferantendatenbank, sondern bestimmen auch die Weiterentwicklung des Portals.

Das war anfangs gar nicht vorgesehen, ließ Hofmann durchblicken: Im ersten Anlauf sollte Supply.com lediglich Transaktionen abbilden. Tatsächlich habe der Konzern das Portal öffentlich vorgestellt, ohne die Zulieferer in die Diskussion einzubeziehen. Doch glücklicherweise sei der Collaboration-Aspekt nachgeholt worden: "Mittlerweile stünde das System ohne die Lieferanten still," bekennt der Beschaffungs-Manager.

Einen Seitenhieb in Richtung Konkurrenz konnte sich Hofmann an dieser Stelle nicht verkneifen: Der von Daimler-Chrysler, Ford und General Motors initiierte Internet-Marktplatz Covisint sei ohne die Beteiligten entwickelt worden und deshalb "ins Stocken geraten". In diesem Eindruck bestärkte ihn auch Engelbert Wimmer, auf den Automobilsektor spezialisierter Analyst bei der Unternehmensberatung Horváth & Partners Inc. mit Hauptsitz in Berlin: Covisint bewege sich derzeit kaum, weil das Vertrauen der Zulieferer fehle: "Es reicht eben nicht, nur billig einkaufen zu wollen."

Bei VW profitieren, wie Hofmann es formuliert, auch die Lieferanten davon, "dass die Effektivität nicht an unserer Tür endet". Konkret sei beispielsweise eine Schnittstelle in Arbeit, mit der die Zulieferer Anfragen direkt in ihre SAP-Systeme übernehmen könne. Zudem plant der Automobilkonzern, digitale Kalkulationsschemata bereitzustellen, mit denen ein Lieferant während einer Online-Verhandlung unmittelbar prüfen kann, ob ein Vertrag für ihn überhaupt noch lukrativ wäre.

Hofmann machte kein Hehl daraus, dass er bei seinen Projekten die Informationstechnik als den "größten Störenfried" identifiziert hat. Angesichts der Schwierigkeiten, auf die VW mit seinem Kapazitäts-Management gestoßen ist (siehe CW 17/02, Seite 36), verwundert diese Einschätzung wenig. Abgesehen davon befindet sich die IT nach Ansicht des Linien-Managers derzeit ohnehin in einer Phase der Wandlung: Vor allem bei Business-to-Business-Prozessen werde die IT "in die Fachbereiche ausgelagert".

Die Ehrenrettung der Informationstechnik besorgte Heinz Kreuzer, CIO des Hannoveraner Tourismuskonzerns Preussag AG ("World of TUI"). Er erinnerte an die Rolle der IT als Mittel der Effizienzsteigerung: "Durch eine veränderte IT können ganze Teile der Wertschöpfungskette wegfallen." Die Aufgabe des Informations-Managers besteht derzeit vor allem darin, das heterogene Geschäft der expandierenden World of TUI abzubilden. Dabei macht er die Erfahrung, dass die konzernweite Vereinheitlichung von Prozessen und IT nicht immer einen Sinn ergibt. Beispielsweise sei es schwierig, derart unterschiedlichen Tourismusmärkten wie Deutschland und Großbritannien ein und dasselbe Modell überzustülpen.

Eine neue, sehr trendgemäße Sicht auf die Informationstechnik eröffnete Manfred Schuster schließlich dem Auditorium. Der CIO des Logistikdienstleisters Deutsche Post AG, Bonn, konstatierte: "Für uns ist IT nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Bestandteil unseres Portfolios." Da-mit ist die IT unmittelbar in die Prozessgestaltung involviert.

BPR - die Zweite

Als Michael Hammer und James Champy Anfang der 90er Jahre das Business Process Reengineering (BPR) ausriefen, horchten viele Manager auf. Doch die Revolution blieb aus. Ein Jahrzehnt später hat der Saarbrücker Wirtschaftsinformatiker und IDS-Gründer August-Wilhelm Scheer eine zweite Welle des Geschäftsprozess-Managements gesichtet. Von der ersten unterscheidet sie sich durch folgende Kriterien:

- Im Gegensatz zu damals gibt es heute nicht nur gute Ratschläge, sondern Methoden und Instrumente, um sie zu verwirklichen.

- Für die IT-Unterstützung existieren statt monolithischer ERP-Systeme heute Componentware (Web-Services!) und Integrationswerkzeuge (EAI).

- Die Prozesse schließen Kunden und Lieferanten ein.

- Für die Abbildung bieten sich inhaltliche Konzepte wie Supply-Chain- und Customer-Relationship-Management an.

- Referenzmodelle wie Supply Chain Operations Reference (Scor) oder Rosettanet erleichtern die Umsetzung eigener Konzepte.

- Durch Change-Management lassen sich Reibungsverluste beim Übergang mindern.

- Neue Möglichkeiten des Risiko-Managements machen das Abenteuer kalkulierbar.

- Der Kostendruck lastet ungleich stärker auf den Unternehmen als vor zehn Jahren. Folglich wird das Geschäftsprozess-Management endlich ernst genommen.