Die Internet-Wirtschaft braucht neue Leute

18.08.2009
Egal ob IT-Dienstleister, Spieleentwickler oder E-Commerce-Firma – engagierte Mitarbeiter aus der Online-Welt spüren wenig von der Krise.

Wenn Annette Illers ihren Blick schweifen lässt, wandert er durch das satte Grün eines Kölner Hinterhofs. Nicht weit von dieser Idylle tobt das Leben durch die Hohe Straße, eine der Hauptschlagadern der Stadt. Ein idealer Mix für die 32-Jährige, die vor einem halben Jahr von einem amerikanischen E-Commerce-Unternehmen zur Internet-Plattform Hotel Reservation Service (HRS) gewechselt ist.

Heute betreut die Managerin die Kooperationspartner des virtuellen Hotelbuchungsservice: Flug- und Bahngesellschaften sowie Netzwerkportale wie Xing. Ständig ist sie auf der Suche nach neuen Geschäftspartnern. Die studierte Betriebswirtschaftlerin und Germanistin liebt ihre abwechslungsreiche Arbeit – die Vielfalt der Kunden, die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen aus IT und Marketing, die Kontakte zu den Auslandsbüros in aller Welt. Und sie liebt den großen Freiraum bei HRS, das sich in wenigen Jahren von einer kleinen Kölner Firma zu einem globalen E-Commerce-Unternehmen entwickelt hat und permanent nach neuen Mitarbeitern fahndet.

Während viele Unternehmen wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Bremse treten, geht es Anbietern mit einem funktionierenden Online-Geschäftsmodell gut. "In den Bereichen Multimedia, E-Commerce, Online-Marketing, Unterhaltung und in den New-Media-Abteilungen von Industrie- und Handelsunternehmen gibt es weiterhin Personalbedarf", sagt Saskia Thurm von der Beratungsgesellschaft First Circle in Köln. Spannend für erfahrene Bewerber seien zum einen Firmen, die sich vom Startup zum Großunternehmen entwickelt haben. Dort sind häufig Jobs im Projekt-Management, in der Softwareentwicklung und im Softwaretesting zu vergeben. Auch Verkäufer, die klassische Unternehmen für den Online-Vertrieb während der Krise fit machen, sind gefragt, ebenso Controller, die den Daumen auf die Ausgaben halten und Einsparpotenziale erkennen.

Zum anderen gebe es im Online-Geschäft wieder viele Neugründungen, die Verstärkung suchen. "Wer Lust hat, Entwicklungen mitzustemmen, wenig arbeitsteilig zu arbeiten und als Generalist im Team je nach Bedarf anzupacken, ist da richtig", ist Thurm überzeugt. "Bei solchen Unternehmen sollten Bewerber allerdings genau nachhaken: Wie ist die Firma finanziert, welche Geschäftsstrategie verfolgt sie, welche Vision haben die Topleute im Kopf?", empfiehlt die Personalberaterin.

Bei HRS muss sich Annette Illers keine Gedanken machen. Das Portal hat sich längst einen Namen geschaffen. Mehr als 13.000 Unternehmen zählen zu den Kunden des Internet-Anbieters. Gerade in Zeiten der Krise brummt das Online-Geschäft, schließlich sollen Dienstreisen möglichst billig und auch Wochenendtrips bezahlbar sein. "Wir wachsen in allen Bereichen, vor allem international boomt das Geschäft", sagt Personalreferent Jochen Kootz. Erst im Februar hat HRS Büros in Rom und Istanbul eröffnet.

HRS sucht IT-Spezialisten, die Erfahrung aus der E-Commerce-Welt mitbringen, Programme für Datenbanken weiterentwickeln oder Software für die Selbstverwaltung der Hotelpartner anpassen können. Je einfacher sich die Hotels selbst mit ihren Angeboten und Fotos auf der Website präsentieren können, desto besser sind ihre Chancen, Zimmer zu vermieten. "Wir brauchen gute ITler, die sich beispielsweise hervorragend mit mobilen Anwendungen auskennen. Bei HRS können Kunden auch kurzfristig mobil über Handy oder Smartphone online buchen", berichtet Personaler Kootz. Ebenfalls sucht HRS Softwaretester und Sicherheitsexperten, die die Website vor Hackern und Viren schützen helfen. Dafür hat das Unternehmen Bewerbern einiges zu bieten: neueste Web-Technologien, anspruchsvolle Softwarearchitekturen, interdisziplinäre Projekte, Aktionsangebote zum Beispiel zu Fußballspielen, Internationalität und kurze Entscheidungswege. Kootz: "Viele IT-Profis wollen sehen, was ihre Entwicklung gebracht hat - bei uns können sie es sich ein paar Tage später auf der Website anschauen."

Euphorie in der Spielebranche

Ebenfalls im Aufwind befindet sich die Computer- und Videospielbranche. Seit fünf Jahren schnellen die Verkaufs- und Umsatzzahlen in die Höhe. Allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 55,6 Millionen Spiele für Computer, Konsolen und Handhelds verkauft. Das sind acht Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Knick ist laut Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) nicht zu befürchten. "Keine Branche versteht es derzeit so gut, neue Käuferkreise zu erschließen", so BIU-Geschäftsführer Olaf Wolters. "Die interaktive Unterhaltungsindustrie erfindet sich immer wieder neu. Das ist der Grund für ihren Erfolg – und so wie es aussieht, wird dieser auch die Krisenzeiten überdauern." Das erwartet auch die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers. Sie prognostiziert in Deutschland ein Marktvolumen von 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2010, das wäre gegenüber 2008 fast eine Verdopplung.

Einer der ganz Großen hierzulande ist Gameforge. Die Browsergame-Entwickler aus Karlsruhe verzeichnen mehr als 75 Millionen registrierte Spieler weltweit. Diese wollen die Vorherrschaft im Weltraum an sich reißen oder gegen Werwölfe und Vampire kämpfen. Gameforge stellt seit Anfang des Jahres zehn bis 15 neue Mitarbeiter pro Monat ein. 200 sind für 2009 insgesamt geplant. Wer beispielsweise Game-Development an der Hochschule Heidelberg studiert oder einen Abschluss von der Games Academy in Berlin in der Tasche hat, kann im Bewerbungsgespräch punkten.

Arbeiten ohne feste Strukturen

Auch Quereinsteiger kommen laut Personal-Managerin Anett Graf immer wieder zum Zug. "Wir wollen Leute, die Spaß daran haben, sich neue Spiele auszudenken und umzusetzen." Und: Sie müssen ins Unternehmen passen. "Leute, die feste Strukturen brauchen", so Graf, "sind bei uns fehl am Platz. Wir passen uns dem Markt schnell an, und dafür müssen wir unsere Ressourcen immer wieder neu verteilen."

Ein Rezept, mit dem auch Sapient bislang gut gefahren ist. Die Marketing- und IT-Beratung wächst nach eigenen Angaben "in beiden Bereichen – Sapient Consulting und Sapient Interactive" und sucht für 2009 europaweit 100 neue Mitarbeiter. In Deutschland, Holland, Schweden und der Schweiz ist Jasmin Martensmeier zuständig für das Recruiting. Sie kommt gleich zum Punkt: "Wir sind ein internationales Unternehmen, Englisch ist Pflicht."

Pluspunkt Beratungskompetenz

Insbesondere mit dem Mutterhaus in den USA, aber auch mit den Kollegen in England und Indien bestehe ein enger Kontakt. Reine Fachkenntnis reiche da nicht aus: "Wir suchen IT-Spezialisten, die Lust darauf haben, in multikulturellen und multidisziplinären Teams zu arbeiten." Offenheit sei dafür nötig, aber auch Führungsqualitäten. In mehreren Interviews klopft Sapient deswegen die Kandidaten nicht nur auf ihre fachliche Qualifikation ab: Ist darüber hinaus auch ihr Englisch wasserdicht, können sie Feedback geben und annehmen, Ideen treiben und dafür auch die Verantwortung übernehmen? Außerdem wichtig: Kundenorientierung. "Wir beraten Unternehmen bei der Entwicklung von Business- und IT-Strategien", so Martensmeier, "im Prozess- und Systemdesign sowie bei der Implementierung von Standardsoftware wie .NET und Java. Im Consulting-Bereich gearbeitet zu haben ist für Bewerber von Vorteil."

Auch T-Systems Multimedia Solutions sucht IT-Kräfte, die nicht nur in ihrem Fach spitze sind. Unternehmenssprecher Thomas Köplin: "Neben Fachwissen in Informatik brauchen unsere Leute Kenntnisse aus den Branchen unserer Kunden sowie Erfahrungen mit Projekt-Management, Beratung und Konzeption." Die Full-Service-Internet-Agentur aus Dresden möchte in diesem Jahr 150 neue Mitarbeiter einstellen, davon um die 90 IT-Kräfte. Damit liegt sie über dem Branchendurchschnitt.

Laut Arndt Groth, Präsident des Bundesverbands Digitale Medien (BVDW), ist die Zahl der Festangestellten bei den Full-Service-Internet-Agenturen und -Dienstleistern im Geschäftsjahr 2008 um 10,2 Prozent gestiegen. In diesem Jahr rechnet er mit einem Zuwachs von 8,4 Prozent. "2009 hat sich an der guten Beschäftigungssituation in der digitalen Wirtschaft wenig geändert. Allerdings sprechen wir nicht mehr von einem Fachkräfte-, sondern einem Talentemangel", so Groth. Einfallsreichtum und smarte Technologien – das seien die Treiber von Innovation. Clay Shirky, Professor an der New York University, brachte es auf dem Deutschen Multimedia Kongress (DMMK) in Berlin auf den Punkt: Die guten Internet-Entwickler lassen "aus kleinen Ideen Großes entstehen". (hk)

Begehrte Jobs

Der Suchmaschinen-Profi

Wer ganz oben auf die Ergebnisseiten einer Suchmaschine gelangt, hat bessere Chancen, in der digitalen Welt wahrgenommen zu werden. Deswegen sind sie heiß begehrt: Männer und Frauen, die herausfinden, nach welchen Kriterien und mit welchen Softwarealgorithmen Suchmaschinen wie Google, Yahoo oder Bing Web-Seiten sortieren. Keine leichte Aufgabe, denn die Suchdienste lassen sich hinsichtlich der verwendeten Allgorithmen nicht in die Karten schauen. Eine förmliche Ausbildung zum Suchmaschinenoptimierer, im Englischen Search Engine Optimizer (SEO) genannt, gibt es nicht. Gute Chancen haben Web-Gestalter, Web-Programmierer und Webmaster.

Online-Tester

Internet-Anwendungen müssen sicher funktionieren. Ein Web-Auftritt muss die nötigen Schnittstellen enthalten und auch dann stabil sein, wenn Tausende Benutzer gleichzeitig auf die Seite zugreifen. Softwaretester stellen deshalb die Entwicklungen systematisch auf den Prüfstand. Die Arbeit erfordert Präzision, Perfektionismus und Ausdauer. Eine offizielle Ausbildung zum Online-Tester gibt es nicht. Gute Chancen haben Informatiker und Wirtschaftsinformatiker, die selbst Erfahrungen in der Entwicklung haben und sich dann auf das Testen spezialisieren.