Die Informatik der Informatiker

09.06.1978

Man möchte annehmen, daß in den USA - angesichts. des jahrelangen Vorsprungs in der Entwicklung der Datenverarbeitung - das Problem einer praxisnahen Ausbildung der DV-Nachwuchskräfte gelöst sei. "Computer Science" ist eben dort eine viel langer etablierte Disziplin als hierzulande die "lnformatik". Aber auch jenseits des Atlantik wird massive Kritik an den Lehrplänen für die Computer-Science-Programme der Hochschulen laut. Eine großangelegte Untersuchung des "Department of Accounting and Computer Science" der Southwest-Texas-State-University" ergab - so die Auswertung der das Projekt leitenden Professoren - , daß die meisten US-Universitäten - und nahezu jeder DV-Eleve besucht ein College - ihre Informatik-Studenten nicht mit den Kenntnissen entlassen, die in der Alltagspraxis kommerzieller Datenverarbeitung benötigt werden. Die Anfang Mai veröffentlichten Umfrage-Ergebnisse zeigen, daß DV-Anwender bei hochschulfrischen Informatik-Absolventen insbesondere die Fähigkeiten vermissen, die Datenverarbeitung für Aufgaben der Entscheidungsfindung, der Kontrolle und der Planung tatsächlich auch nutzbar zu machen.

Cobol genügt nicht

Selbst wenn das Codieren in einer gängigen Programmiersprache beherrscht würde, sei das noch kein Indiz für Einsetzbarkeit bei Praxis-Problemen, denn zur Computer-Science-Ausbildung gehört überwiegend nicht, ausreichende Fähigkeiten in den Bereichen Anwendungs-Planung, System-Analyse, Strukturierung und Dokumentation zu vermitteln. Bezeichnenderweise hatte die Wunschliste der etwa 500 befragten DV-Anwender hinsichtlich der Fähigkeiten von Nachwuchskräften folgende Rangfolge der für die Praxis erforderlich erachteten Kenntnisse:

1. Systemdesign

2. Filedesign

3. Slowcharting

4. Documentation

5. Programming

Auf den letzten Plätzen rangierten: Information-Systems Theory und Operations Research Gerade dergleichen aber ist Hauptarbeitsgebiet der Computer-Science. Zwischen den Zeilen des Untersuchungs-Berichtes steht deutlich zu lesen daß es Augenwischerei ist, vorzugeben, man bilde für die DV-Praxis befähigte Absolventen aus, nur weil denen das Codieren in Cobol gelehrt wurde.

Elitäre Theoretiker

Solche Argumente sind sicherlich Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die auch hierzulande so zahlreich die Informatik-Ausbildung an hiesigen Universitäten als praxisfremd kritisieren. Indes, folgendes ist zu unterscheiden: Die zitierte US-Kritik wendet sich gegen die Gesamtheit aller amerikanischen Universitäten und Colleges. Dergleichen Vorwürfe sind deutschen Fachhochschulen und Fachschulen wohl nicht in gleichem Maße zu machen, zumal sie ja auch gar nicht den Anspruch erheben, "Computer-Science lehren zu wollen.

Bleibt die Kritik an den Informatik-Lehrplänen der Universitäten. Wer als DV-Praktiker von Diplom-lnformatikern unmittelbare Einsetzbarkeit bei Alltags-Routine-Problemen verlangt und sich oft arrogant darüber mokiert, daß die "Herren Akademiker" nur in "Höheren Regionen" bewandert seien, übersieht, daß Datenverarbeitung und Informatik sich so unterscheiden wie das Maurerhandwerk und die Architektur. Wissenschaft ist eben etwas anderes als angewandte Technologie.

Sollen doch die akademischen Informatiker forschen und theoretisieren, in Frage stellen und Trends aufzeigen, vor allem Konzepte für Übermorgen entwickeln. Mögen sie dabei wissen, daß ihr Tun als verdienstvoll und sinnvoll erachtet wird, jedoch nicht für den Praxis-Einsatz in der kommerziellen Datenverarbeitung qualifiziert. Möchten doch endlich die Praktiker aufhören, jeden zu diffamieren, der mehr kann und sich nicht unmittelbar einer verschulten Berufsausbildung widmet.

Die Aufgabe der Universitäten ist nicht, der Wirtschaft ein Ausbildungsproblem abzunehmen. Schließlich gibt es ja noch andere Institute zur Vermittlung praxisorientierten DV-Wissens. Die allerdings sollten sich nicht Im falschen Ehrgeiz - es den "richtigen "Professoren gleichzutun - an den elitären Theoretikern orientieren.