Thema der Woche / Mainframe-Nutzer setzen zunehmend auf heterogene DV-Plattformen

Die IBM-Krise trifft die Anwender nicht unvorbereitet

05.02.1993

Ohne Emotionen beurteilt Bernhard Menze, Leiter IV-Koordination bei der Bertelsmann Zentrale Informationsverarbeitung GmbH, die derzeitige Krise der IBM beziehungsweise der gesamten DV- Industrie. "Das wirkt sich positiv auf unsere Einkaufsbedingungen aus, bringt uns aufgrund des Preisverfalls bessere Konditionen und erhoeht die Flexibilitaet der Lieferanten."

Sein Unternehmen, das als interner DV-Dienstleister fuer den gesamten Bertelsmann-Konzern agiert, setzt im Mainframe-Bereich ausschliesslich gebrauchte Maschinen ein. "Wir haben zwar deshalb in unserem RZ nicht immer die allerneueste Technologie, erhalten dafuer aber ein guenstiges Preis-Leistungs-Verhaeltnis." Menze haelt die Abhaengigkeit von der Systemsoftware fuer wesentlich schwerwiegender als die von der Hardware: "Selbst bei der PC- Software sind wir inzwischen von Microsoft genauso abhaengig wie von der IBM im Mainframe-Sektor."

Auf die Frage nach Veraenderungen in den DV-Architekturen, antwortet der IV-Koordinator: "Bertelsmann hat heute eine dreischichtige Architektur, bestehend aus MVS-Mainframes, den Midrange-Systemen AS/400 und VM/VSE-Rechenzentren sowie einer Unix-Plattform." Im Desktop-Bereich befinden sich im "Umfeld der Redaktionen" Apple-Systeme, und im Office-Sektor sind PCs unter DOS beziehungsweise Windows im Einsatz. "Auf welchen Systemen die Anwendungen gefahren werden, haengt einzig und allein von den Projektanforderungen ab", erklaert er.

Trotz des vielbeschworenen Downsizing-Trends sieht Menze fuer die klassischen Mainframes eine Zukunft. "Grossrechner-Anwendungen werden sich verstaerkt in grossen RZs konzentrieren, was zu einer weiteren Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhaeltnisses fuehrt." Die Frage nach Downsizing und Outsourcing stellt sich seiner Auffassung nach vor allem fuer die Betreiber kleinerer und mittlerer Rechenzentren, die die notwendigen "Economies of scale" nicht erreichen.

Auch Bernd Tschapek, DV-Leiter der Union Druckerei in Frankfurt, fuehlt sich trotz der IBM-Krise sicher, obwohl die DV-Strukur seines Unternehmens zentral ausgerichtet ist. Lediglich die CPU und das Betriebssystem stammen von der IBM, saemtliche Peripherie kommt von PCMern. Auch systemnahe Software, die Datenbank, Editoren sowie die RZ-Verwaltungssoftware kommen nicht aus dem Hause IBM. "Damit leben wir ganz gut. Unsere CPU beispielsweise ist immer drei- bis fuenfmal kleiner als die vergleichbarer Konkurrenten. So konnten wir sicher einige Millionen Mark sparen", bilanziert der DV-Leiter.

Am Verhalten der Armonker stoert ihn vor allem die "Preispolitik" und der Versuch, "den Anwender durch immer neue Betriebssystem- Releases auf immer groessere Maschinen zu bringen". Fuer die Devise "Weg vom Mainframe" hat Tschapek wenig uebrig. "Bei uns gibt es keine Tendenz, Applikationen vom Grossrechner abzuziehen und auf dezentralen Systemen zu fahren - einfach deshalb, weil fuer uns zum Mainframe keine echte Alternative exisitiert." Dezentralisierung bedeute nur eine Verschiebung der Kosten hin zum Endanwender, was zu einer schlechteren Kontrollierbarkeit fuehre.

Gelassenheit herrscht angesichts der IBM-Krise auch bei der Deutschen Bundesbahn in Frankfurt. "Wir hatten nie eine Strategie, die allein auf IBM-Produkten aufbaute oder besagte, dass alles zentral ablaufen muss. Wir haben bisher alle Projekte auf der Hardwareplattform realisiert, die uns sinnvoll erschien", erklaert DV-Produktionschef Volker Kiene. Neben zentralen Anwendungen, die nicht nur auf IBM- oder PCM-Hardware, sondern auch auf Rechnern anderer Hersteller laufen, exisitieren bei der Bahn etliche Anwendungen, die dezentral ablaufen. "Wir entscheiden in jedem Einzelfall, was dezentral und was zentral gemacht werden muss." Wachstum, so der Produktionschef weiter, verzeichne man in allen Bereichen, ob im Host-, im Midrange- oder PC-Sektor. Dafuer sorge schon der DV-Nachholbedarf der Reichsbahn.

Kiene erhofft sich von der Krise der IBM sogar Vorteile: Man werde kuenftig bei allen DV-Herstellern Produkte guenstiger einkaufen koennen, frohlockt der Produktionschef. Er koenne sich nicht vorstellen, dass Big Blue eine der grossen Produktlinien einstellen werde.

"Eine gewisse Verunsicherung" der IBM-Anwender konstatiert dagegen Theo Luescher, Leiter Informatik bei der Schweizerischen Industriegesellschaft Holding AG (SIG). Der Anwender stelle sich die Frage, welche DV-Strategie er kuenftig verfolgen solle. "Bei der SIG haben wir das einigermassen beantwortet. Wir werden nur noch das zentral machen, was unbedingt notwendig ist." In diesem Zusammenhang nennt Luescher Dinge wie Transaktionsverarbeitung, Datenbanken und Sicherheitsaspekte.

Bei einigen Kollegen stelle er allerdings fest, "dass ihnen der Meinungsfuehrer IBM" fehle. Die langjaehrige Faehigkeit von Big Blue, den Kunden einen Entwurf von der DV-Zukunft zu vermitteln, habe dazu gefuehrt, dass viele IS-Verantwortliche heute nicht mehr in der Lage seien, derartige Visionen oder Ziele selbst zu formulieren.

"Wenn ich mich heute entscheide, auf Unix umzusteigen, dann kann ich das als DV-Leiter nicht in einem Zug machen, weil das Geld fehlt und weil ich eine ererbte Umgebung habe. Deshalb brauche ich einen Plan, wie ich mich meinem Ziel annaehere, und dabei kann mir die IBM nicht mehr helfen." Heute muesse der DV-Verantwortliche selbst abwaegen und seine Entscheidung der Geschaeftsfuehrung plausibel machen. Dort werde das Thema DV zuallererst unter dem Kostenaspekt gesehen.

Nach Ansicht Lueschers haben es DV-Leiter bislang versaeumt, Informationsverarbeitung projektbezogen zu betrachten. An der oft noch vorherrschenden technischen Ausrichtung, die nicht zuletzt zur Vormachtstellung der IBM beigetragen habe, seien allerdings die Fuehrungsetagen in den Unternehmen nicht schuldlos: "Die gingen davon aus, dass so hoch bezahlte Spezialisten ueber genuegend Know- how verfuegen. Das kann man ihnen auch nicht absprechen, aber es sind in erster Linie fachspezifische Kenntnisse, kein Management- Wissen", erklaert Luescher die Misere. Der IS-Verantwortliche muesse anfangen, viel mehr wie ein Manager zu denken, also nicht technische Kriterien, sondern Begriffe wie Zeit, Geld und Ressourcen in den Vordergrund ruecken. "Tut er das, dann ist IBM heute nicht mehr die erste Wahl."

"Vorhersehbar" war fuer Detlev Kruse, Hauptabteilungsleiter Org./DV bei den Stadtwerken Hannover, die Krise der IBM: "Wegen ihrer Geschaeftspolitik in den letzten Jahren, ihrem Agieren am Markt und letztendlich durch die Entwicklung der Anwendererfordernisse war das absehbar."

Bei dem kommunalen Energieversorger begann man bereits Ende der 70er Jahre, sich zumindest teilweise aus der Abhaengigkeit von der IBM zu loesen. "Damals fingen wir an, PCM-Hardware und -Peripherie einzusetzen. Parallel dazu haben wir unser Know-how in Sachen Systems Engineering systematisch ausgebaut", erzaehlt Kruse. Deshalb sei man heute

in der gluecklichen Lage, "sich nur in den seltensten Faellen auf die Software-Entwicklungsleistungen der IBM verlassen zu muessen". Im Netzbereich setzt Kruse allerdings ganz auf die IBM: "Die Investitionen in das Netz liegen in der gleichen Groessenordnung wie die in Hardware und Peripherie."

Unter Unabhaengigkeit will Kruse allerdings nicht das "Loesen von Banden" verstanden wissen. "Wir wollen die IBM als Partner nicht verlieren. Das gilt uebrigens auch fuer die SAP. Wir lehnen es nur ab, uns hinsichtlich unserer eigenen Entwicklung fremdbestimmen zu lassen."

Das Abhaengigkeitsargument reicht auch fuer Norbert

Pezcynski, Hauptabteilungsleiter Informationsverarbeitung beim ADAC in Muenchen, nicht aus, um komplett auf den Mainframe zu verzichten. Gerade bei grossen Anwendungen wie der Verwaltung des Mitgliederbestandes und dem Management des weit verzweigten DFUe- Netzes sei der Grossrechner unverzichtbar. In den Parallelrechner- Architekturen sieht der ADAC-Mann noch keine Alternative. "Denkbar ist so etwas, aber konkrete Ansaetze, die unsere Arbeit betreffen, kann ich noch nicht erkennen."

Bei den Applikationen, die in den Geschaeftstellen des ADAC benoetigt werden, setzt der Automobilclub dennoch bereits seit zwei Jahren auf dezentrale Systeme. "Die Krise der IBM hat auf uns keine konkreten Auswirkungen, weil wir nie ein reiner IBM-Anwender gewesen sind."

Auch amerikanische Anwender, das ergab eine Umfrage der CW-Schwesterpublikation "Computerworld", zeigen sich vom jaehen Absturz der IBM nicht sonderlich beeindruckt. Hier richten sich die Sorgen eher auf die Vertriebsstrategie des Marktfuehrers. So wird befuerchtet, dass Big Blue in einigen der neu gegruendeten Tochtergesellschaften - aehnlich wie schon in den 70er Jahren - eigenstaendige Vertriebseinheiten aufbauen koennte. Schon damals war bei IBM-Anwendern grosse Unzufriedenheit entstanden, weil sich ploetzlich die Repraesentanten der unterschiedlichen Vertriebseinheiten beim Kunden die Tuerklinken in die Hand gaben.

Da US-Analysten aber fest damit rechnen, dass die IBM-Spitze damit fortfahren wird, den Konzern in unabhaengig wirtschaftende Einheiten zu unterteilen, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, wann diese Geschaeftseinheiten den Markt mit einer eigenen Vertriebsmannschaft angehen. "Die Filialen sind auf eine eigene Sales-force angewiesen", betont etwa James Cassell von der Gartner Group Inc. Der Analyst rechnet damit, dass Big Blue entsprechende Konsequenzen bis spaetestens zum

1. Januar naechsten Jahres ziehen wird.

Diesen Prognosen steht allerdings die eindeutige Aussage von IBM- Executive Robert LaBant gegenueber, nach der Big Blue aufgrund schlechter Erfahrungen Abstand von der Einrichtung verschiedener Vertriebseinheiten nehmen werde. Trotzdem sind die Kunden besorgt, zumal Marktbeobachter prognostizieren, dass der IBM gar keine andere Wahl bleiben werde, als von der "One-face-to-the-customer- Strategie" Abstand zu nehmen. Ein Generalanbieter IBM habe einfach geringere Chancen, Produkte glaubwuerdig anzubieten, als ein Spezialist, der nur fuer ein bestimmtes Produktspektrum verantwortlich zeichne.