IBM-Manager Christian Hildebrandt zum Outsourcing-Markt

"Die hohen Erwartungen waren falsch"

07.05.2004
MÜNCHEN (wh) - Der Trend zum Offshore-Outsourcing lässt sich nicht aufhalten, doch er bietet auch Chancen, sagt Christian Hildebrandt, Vice President Strategic Outsourcing für Zentraleuropa bei IBM. Im klassischen Outsourcing-Geschäft hofft er verstärkt auf Kunden aus dem Mittelstand.

CW: Jede Woche gehen in Deutschland rund 10000 Arbeitsplätze durch Offshoring verloren, sagt Bitkom-Vizepräsident Jörg Menno Harms. Wie steht IBM zu dieser Problematik?

HILDEBRANDT: Für uns ist der Trend, dass Unternehmen ihre global verteilten Ressourcen optimal verwerten, kein neues Phänomen. Wir nennen das Global Resourcing. IBM beispielsweise ist seit über 50 Jahren in Indien vertreten und betreibt seit Jahrzehnten Geschäfte in China. Wir haben schon immer darauf geachtet, unsere IT-Kapazitäten und unser Know-how rund um den Globus bestmöglich zu nutzen. Offshoring ist also ein ganz normaler Geschäftsbestandteil, der nicht dazu führt, dass wir Mitarbeiter von A nach B bewegen.

CW: In den USA ist eine hitzige Debatte über die Folgen der Auslagerung in Niedriglohnländer entbrannt, Ähnliches zeichnet sich auch hierzulande ab. Wie bewerten Sie die Diskussion?

HILDEBRANDT: Es erinnert mich an die Zeit, als man die Fertigung von Elektronik, etwa von Videorekordern oder Kameras, ins Ausland verlegte. Wir sollten nicht den gleichen Fehler machen wie damals und glauben, solche globalen Trends ließen sich verhindern. Für die IT-Branche gilt das in besonderem Maße. Es geht vielmehr darum, dies als Möglichkeit zu sehen und Offshoring als Chance zu betrachten, sowohl uns selbst als auch anderen Ländern neues Marktpotenzial zu erschließen.

CW: Die großen Offshore-Anbieter wie Tata oder Infosys bauen Brückenköpfe in Deutschland und wollen auch in den klassischen IT-Servicemarkt eindringen. Für Dienstleister wie IBM Global Services wächst damit der Kostendruck. Wie reagieren Sie darauf?

HILDEBRANDT: Wir passen uns der Marktentwicklung an. Die Offshoring-Anbieter kreieren ja keine Highend-Systeme wie etwa neue Börsenanwendungen. Sie konzentrieren sich eher auf Services wie Personalwirtschaft oder SAP-Buchhaltung für ihre Kunden. Solche Aufgaben erledigen sie gut. Für uns heißt das, dass wir das Portfolio entsprechend anpassen und Mitarbeiter aus diesen Bereichen für andere Felder schulen.

CW: Sie wollen einfachere Aufgaben wie Application-Management oder Wartung den Offshore-Konkurrenten überlassen?

HILDEBRANDT: Nein. Das heißt, wir werden nach wie vor unsere weltweiten Kapazitäten und Ressourcen bestmöglich nutzen und Aufgaben an die Länder verteilen, in denen wir die besten Bedingungen antreffen. Man muss dafür nicht unbedingt nach Indien gehen. Wir verfügen über sehr gute Spezialisten mit exzellentem Know-how bei IBM in Ungarn oder auch Polen. Diese Länder haben ein hohes Ausbildungsniveau; sie haben sehr stark in den Ausbau ihrer Infrastruktur investiert, und die wirtschaftliche Situation dort hat sich während der letzten Jahre gebessert. Durch die Erweiterung der EU ergeben sich hier sowohl für uns als auch für diese Länder neue Möglichkeiten. Wenn jeder sich auf das konzentriert, was er am besten kann, funktioniert die globale Wirtschaft.

CW: Wo sehen sie Wachstumsfelder im deutschen IT-Servicemarkt?

HILDEBRANDT: Das große Thema ist nach wie vor Outsourcing. In Deutschland sind wir diesbezüglich noch lange nicht auf dem Niveau von Großbritannien oder den USA, wo die Nutzung solcher Betriebsdienste zum Alltag gehört. Die Nachfrage steigt, insbesondere auch im Mittelstand, der hierzulande die Hälfte des Marktes ausmacht.

CW: Gerade Mittelständler sind oft schwer davon zu überzeugen, die Kontrolle über ihre IT aus der Hand zu geben.

HILDEBRANDT: Ein mittelständischer Firmeninhaber will natürlich auf andere Weise überzeugt werden als etwa der Vorstand einer Großbank. Wir registrieren aber, dass eine wachsende Zahl von Mittelständlern sich des Themas annimmt. Mit der IBM Mittelstand Systeme GmbH, hervorgegangen aus der Rheinmetall Informationssysteme GmbH, haben wir eine gute Basis dafür geschaffen, dieses Kundensegment auf Augenhöhe zu adressieren.

CW: Nach einigen großen Outsourcing-Deals im vergangenen Jahr haben viele Experten von einer Signalwirkung für die Branche gesprochen. Der erwartete Durchbruch blieb dann aber weitgehend aus. Gerade in Großprojekten gibt es immer wieder Probleme. Es hat den Anschein, als seien IT-Manager eher wieder vorsichtiger geworden und würden sich zunächst auf die Auslagerung von Teilaufgaben (Outtasking) beschränken.

HILDEBRANDT: Man darf keinen Boom erwarten. Outsourcing ist kein einfaches Geschäft, es funktioniert anders als etwa der Verkauf von Hardware. Man muss mit Betriebsräten verhandeln, mit Gewerkschaftern und den Vorständen. Bei solchen Verträgen, die ein Unternehmen für sieben, acht oder zehn Jahre binden, wollen verschiedene Interessengruppen mitreden. Das saubere Austarieren dieser Interessen braucht seine Zeit. Die hohen Erwartungen bezüglich Outsourcing als eines schnellen Heilmittels für ungelöste Geschäftsprobleme waren aus meiner Sicht falsch.

CW: Die Hoffnungen der Kunden wurden doch vor allem von den Serviceanbietern geschürt. Sie versprachen zum Teil erhebliche Einsparungen, die sich dann oft nicht realisieren ließen. Trotzdem heißt der wichtigste Grund für Outsourcing-Vorhaben noch immer Kostensenkung.

HILDEBRANDT: Aus meiner Sicht sind die Kosten nur der Einstiegsgrund dafür, dass sich Unternehmen überhaupt mit dem Thema beschäftigen. In den Gesprächen mit dem Dienstleister kommt es in der Folge häufig zu einer qualitativen Diskussion. Dann geht es etwa darum, wie sich die Aufwendungen zusammensetzen oder wo versteckte Kosten liegen. Daraus entsteht häufig erst der Bedarf, Kosten etwa auch in den Fachabteilungen zu erheben und Transparenz zu schaffen. Aber auch das reicht nicht. Ein Outsourcer geht in der Analyse viel tiefer, denn er muss sich später darauf festlegen, welche Kosten in den nächsten zehn Jahren anfallen. Das bedeutet, ein Vorstand bekommt beim Outsourcing-Angebot wirklich die Wahrheit über die Kostenstrukturen im Unternehmen gesagt. Das alleine ist schon ein guter Grund für die Auslagerung.

CW: Angenommen, ein Unternehmen hat seine Hausaufgaben in puncto Kostentransparenz und Standardisierung in dieser Phase gemacht. Wozu dann noch ein Outsourcing-Partner?

HILDEBRANDT: Selbst ein perfekter CIO oder IT-Leiter kann keine so guten Konditionen schaffen wie die IBM. Dazu fehlen ihm die Skalierungsmöglichkeiten.