US-Marktuntersuchungen dürften Anbieter aufhorchen lassen

Die Hoffnungen und Leiden der Open-Source-Anwender

14.04.2000
MÜNCHEN (ls) - Die Stimmung in der Anwenderschaft geht unverändert pro Linux. Allerdings zeigen US-amerikanische Umfragen auch, worüber IT-Profis im Umgang mit Open-Source-Programmen unzufrieden sind. Die Defizite weisen auf Marktchancen für DV-Anbieter hin.

Die Forschungsgruppe von Evans Marketing Services, Santa Cruz (www.Evansmarketing.com), hat in jüngster Zeit eine Serie von Anwenderbefragungen vorgestellt, die zum Thema Open Source aufschlussreiche Daten enthalten. Das geht weit über die schon zu erwartende Feststellung hinaus, dass Linux immer mehr Verbreitung findet.

Die Entwickler sind von der Open-Source-Zukunft überzeugt. 39 Prozent sind der Ansicht, es noch im Jahr 2000 mit Linux zu tun zu bekommen. Und zwei Drittel vertreten inzwischen sogar die Meinung, eine kommerzielle Softwarefirma dürfte im Linux-Markt erfolgreich Geschäfte machen können.

Der Grund für diese bemerkenswerte Einschätzung zeigt sich sogleich. Softwareentwickler, die auf Linux setzen, sind alles andere als fanatische Gläubige, die sich alles gefallen lassen, solange ihnen nur die richtigen Stichworte vorgebetet werden. Im Gegenteil, sie halten mit Kritik nicht hinterm Berg, Unzufriedenheit findet deutlichen Ausdruck, zum Beispiel in einer Evans-Umfrage, an der sich 300 Linux-Entwickler beteiligt haben.

Die Kritik betrifft vor allem zwei Defizite. Zwei Drittel der Befragten beklagen einen Mangel an Treibern für IT-Komponenten, 55 Prozent vermissen gute Entwicklungs-Tools. Die Treiber-Kritik lässt einen Schluss zu: Die professionelle Open-Source-Anwenderschaft geht inzwischen weit über den Kreis der traditionellen Linuxer hinaus, die sich früher bei Fehlen von Treibern eben darangemacht hätten, diese selbst zu schreiben. Die heutigen Anwender verlangen, dass ein Komponentenhersteller die Treiber auch für Linux-Releases mitliefert. Die Kritik an den Programmierwerkzeugen ist differenziert und aufschlussreich. Nur zwei Tool-Kategorien, den Compilern und den Editoren, erteilen drei Viertel der Linux-Entwickler ausgezeichnete bis gute No-ten. Mit Debuggern, Profilern, Modeling-Werkzeugen, Fehlersuche-Tools, GUI-Frameworks, Testing- und Code-Management-Hilfen sind nur zehn bis weniger als 50 Prozent zufrieden. Entsprechend funktioniert die tägliche Arbeit, mehr als die Hälfte der Befragten nämlich arbeiten überwiegend auf Ebene von Kommandozeilen oder mit einfachen Utilities.

Evans-Analyst Janel Garvin sieht in dem Befund ein alarmierendes Zeichen: "Bisher hat Linux zwar ein schnelles Wachstum gezeigt, aber Entwicklungswerkzeuge sind ein bedeutsamer strategischer Faktor für ein Betriebssystem. Es gibt einen schreienden Bedarf an Tools, wenn Linux überleben soll."

Das sollte eigentlich reichen, kommerzielle Softwareanbieter aufhorchen zu lassen. Ein Evans-Befund jedoch dürfte die Cleveren von ihnen schlagartig auf die Beine bringen: 87 Prozent der Linux-Entwickler ist es völlig egal, ob die Tools Open Source oder proprietär sind. Hauptsache, sie sind gut.

Die Kritik an den Tools zeigt in einem Punkt in dieselbe Richtung wie die an den Treibern: Es sind nicht mehr alles Hardcore-Linuxer, sondern immer mehr Durchschnittsanwender. Zwei Drittel der Befragten ist es wichtiger, nur den Code sehen zu können, als die Freiheit zu haben, die Bytes umzulackieren und mit der so entstandenen neuen Version die Welt zu beglücken.

Der Grund liegt einfach in einer pragmatischen Einstellung der Profis gegenüber ihren Arbeitsmitteln. 55 Prozent entwickeln für Linux, weil es die überlegene Architektur und Performance habe, während nur 22 Prozent ausdrücklich die Offenheit des Codes als Grund anführen. 72 Prozent erklären, Linux laufe einfach schneller als Windows NT. Dass das offene Betriebssystem trotzdem nicht mehr Verbreitung gegenüber der Konkurrenz hat, führt fast jeder fünfte Entwickler schlicht auf die Trägheit seines Unternehmens zurück.

Daran könnte sich etwas ändern, wenn Softwarefirmen ihre Chance begreifen. Die Analyse der Evans-Daten ergibt einen weiteren Hinweis auf Bedarf an Open-Source-Systemen. Linux ist - anders als die Unterstellung "Studenten-OS" vermuten lässt - bisher in kommerziellen Umgebungen ein Backend-Betriebssystem. Das verrät jedenfalls die Verteilung der Entwicklertätigkeiten (Mehrfachnennungen möglich).

Fast zwei Drittel der Entwickler in Linux-Umgebungen schreiben Server-orientiert, nämlich Datenbanken und zugehörige Anwendungen, die Hälfte ist mit Websites beschäftigt. Aber nur jeder siebte Entwickler hat auch mit Office-Applikationen oder Grafik- und Multimedia-Anwendungen auf der Client-Seite zu tun. Gut die Häfte der befragten Pogrammierer prophezeien, dass sich in absehbarer Zukunft nichts an der einseitigen Konzentration auf Server ändern werde.

Das kann daran liegen, dass es einfach als wichtiger erachtet wird, zuerst die unternehmenskritischen Applikationen auf das bekannt betriebssichere Linux zu bringen. Der zweite Grund ist sicher, dass dieses System nicht gerade eine Geschichte als einigermaßen für Endanwender geeignetes System hat. Benutzeroberflächen wie "KDE" und "Gnome" sind noch recht neu. Im Wechselspiel mit ihnen dürften sich Softwarefirmen für Client-Anwendungen weitere Marktchancen eröffnen.