Neue Darstellungsart für Programme

Die HIPOS kommen Gefahr für Flußdiagramme

25.07.1975

STUTTGART - Aus der IBM-Küche, genauer gesagt, aus dem Entwicklungslabor in Poughkeepesie kommt eine neue Beschreibungsmethode für Programme. Sie heißt "HIPO" für "Hierarchie, Input, Prozeß, Output". "HIPO" soll die Effektivität der Programmentwicklung verdoppeln und die in traditioneller Weise zwischen EDV und Management klaffende Verständnislücke besser überbrücken helfen, als die üblichen Block- und Flußdiagramme. Das neue Verfahren wurde von der IBM weltweit in ihren Program Poduct Development Centers - den Software-Fabriken für Lizenz-Pakete - eingesetzt. Eingeweihte IBMer berichten in der Regel recht begeistert über ihre HlPO-Erfahrungen.

HIPO ähnelt der Darstellungsweise von Hardwareabläufen, - wie sie in der Verfahrenstechnik schon seit Jahrzehnten in Anwendung ist. Hierbei wird die Funktion von Geräten oder Komponenten und ihre Einwirkurg auf einen Prozeß beschrieben, - und dadurch wird indirekt auch der Prozeß definiert. Im Gegensatz dazu beschreibt ein Flußdiagramm unabhängig von den zur Verfügung stehenden Resourcen nur den in kleinen Schritten ablaufenden "Programmprozeß". Schwerpunkt der Darstellung im HlPO-Diagramm ist die Beschreibung der Funktionen - und nicht die Festlegung über die Umsetzung von bestimmten Verarbeitungsschritten in Programmcode.

Diese Darstellung in Funktionsblöcken beschreibt den Datenfluß, nicht aber den dynamischen Ablauf des Programms. Ähnlich könnte man den Veredelungsprozeß eines chemischen Produkts darstellen.

Links Eingabe, Rechts Ausgabe

Der Entwurf eines Programms unter Verwendung dieser Methode setzt sich aus sechs Komponenten zusammen:

- verbale Einführung

- Programmorganisation

- Übersichtsdiagramme

- Detaildiagramme

- erweiterte Beschreibung

- Datenbeschreibung

Während die Programmorganisation im Sinne eines Blockdiagramms die Zusammenhänge präsentiert, sind die Übersichtsdiagramme das eigentlich neue an HIPO. Ein HlPO-Diagramm wird für Jeden in der Programmorganisation festgelegten Baustein erstellt (Bild 1).

Zur Verwendung innerhalb dieser Diagramme wurden neue Symbole vereinbart (Bild 2). In den Diagrammen sind alle Daten repräsentiert, die in diesem Bereich bearbeitet werden, links Eingabedaten, rechts Ausgabedaten. Im mittleren Kasten sind die einzelnen Verarbeitungsschritte erkennbar. Eine Schleife, die sich auf alle Datensätze bezieht, ist als alle Bearbeitungskästen umschließender Rahmen eingetragen. An diesem Rahmen endet der aus dem Eingabebereich kommende Pfeil, der das Einlesen der Eingabedatensätze bezeichnet.

Da die "erweiterte Beschreibung" die einzelnen Felder und ihre Funktionen beschreibt, sind Kommentare im Diagramm selbst entbehrlich. Das erhöht die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit dieser Dokumentation.

Dokumentation nicht im Nachhinein

Das HlPO-Diagramm soll dem Flußdiagramm überlegen sein:

- Datenströme werden im HlPO-Diagramm sofort sichtbar, nicht so im Flußdiagramm.

- Da alle Teilfunktionen als Schritte dargestellt werden, erscheinen sie deutlich im HlPO-Diagramm. Dagegen müssen sie im Flußdiagramm durch Analyse des erklärenden Textes gefunden werden.

- Die meisten Änderungen im Programm beziehen sich auf den dynamischen Ablauf nicht aber auf die Programmfunktion. Diese Änderungen wirken sich bei HlPO-Diagrammen nur in der erweiterten Beschreibung aus, während sie bei Ablaufdigrammen zu umfangreicher Änderung der Struktur führen. Sind allerdings funktionale Änderungen notwendig, so zeigt sich das HlPO-Diagramm etwas störrisch. Es empfiehlt sich die Neuzeichnung für den betreffenden Teilbereich.

- Die Dokumentation erfolgt bei Flußdiagrammlösungen meist erst im Nachhinein und bildet den realisierten Code sozusagen 1:1 ab.

Hilfsmittel für die Projektkontrolle

HIPO kommt den modernen Programmiermethoden sehr entgegen. Insbesondere der strukturierten Programmierung und dem "Top Down-Design". Charakteristisch für "Top Down" ist die Schaffung eines ablauffähigen Rahmenprogramms in dem die verschiedenen Funktionen als Programmodule "eingehängt sind". Diese Struktur wird in HIPO sofort sichtbar, während im Ablaufdiagramm mühsames Durchlaufen der Verzweigungen und Schleifen notwendig ist.

Auch das Schnittstellenproblem, nämlich die Frage, wie Daten und funktionale Steuerung von Baustein zu Baustein übergeben werden, ist mit HIPO leicht zu handhaben, denn an jeder Übergabestelle wird sofort klar, daß Datenformat und Struktur festgelegt werden müssen. In Flußdiagrammen ist das häufig eine fehlende Information. Sich möglicherweise daraus ergebende Probleme werden erst bei der Codierung erkannt.

Auch die Kommunikation mit dem Management ist besser

Der Beweis, daß ein in HIPO dargestellter Programmentwurf vollständig und eindeutig ist, läßt sich nicht erbringen. Trotzdem war bei den ersten Projekten im Hause IBM die Produktivität mehr als doppelt so groß wie bisher üblich. An der Erstellung des Entwurfs nicht beteiligte Personen können die Entwürfe leicht verstehen und beurteilen, weil HlPO-Diagramme mit geringem Zeitaufwand lesbar sind. Die Beteiligten haben höheres Vertrauen in die Richtigkeit des Entwurfs. Die Codierung konnte unmittelbar von den Diagrammen her geschehen.

_AU:Chr. Heitz