Rückzug in lukrative Nischen

Die harte Landung der Web-Agenturen

05.09.2003
MÜNCHEN (ajf) - Der Lack ist endgültig ab von den einst glänzenden Multimedia-, Web- und Internet-Agenturen. Die Überlebenden setzen auf den Klang ihrer Namen, suchen ihr Heil in vermeintlich lukrativen Nischen und decken Kundenwünsche notgedrungen über Partnerschaften ab.

Was wurde nicht alles berichtet über die Szene der Multimedia-, Web- oder E-Business-Agenturen in Deutschland, wie sie ihre Mitarbeiter pflegten und umhegten mit frischem Obst bei kostenfreien Massagen am Arbeitsplatz. Alles, aber auch wirklich alles (Wirtschaft, Gesellschaft, Sexualität, Fußball) werde sich durch das Internet ändern, hatte es damals geheißen, so dass selbst Berufskritiker irgendwann in die Jubelarien einstimmten. Inzwischen ist das Internet Alltag geworden, jeder bastelt sich mit einfachen Tools die Website, die er haben möchte.

Kleiner Markt, was tun?

In der IT-Branche spielt das einst gefeierte Segment Multimedia nur noch eine untergeordnete Rolle. Marktführer im vergangenen Jahr war laut "New Media Ranking" die Dresdner Firma T-Systems Multimedia Solutions (MMS). Die Tochter einer Tochter der Telekom verzeichnete 2002 einen Honorarumsatz von 31 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Muttergesellschaft T-Systems setzte im Geschäftsjahr 2002 rund 10,5 Milliarden Euro mit IT-Dienstleistungen um. Insgesamt schätzen Beobachter den deutschen Markt der Internet-Agenturen auf ein Volumen von 500 Millionen Euro.

Andere Branchenvertreter wie Sinnerschrader, Die Argonauten oder Divine kämpfen derweil mit der Umsatzschwelle von zehn Millionen Euro - und vor allem darum, nicht noch weiter zu schrumpfen. Im einstelligen Millionenbereich tummelt sich hingegen die überwiegende Masse der Frontend-Designer. Die Namhafteren zehren, wenn sie es noch können, von den Reserven, die nach dem Börsengang nicht direkt verbrannt worden sind. Und sie zehren von ihren Bestandskunden, die ihnen über Jahre die Treue gehalten haben. Von der einst positiven Aufbruchstimmung, der Andersartigkeit und dem frischen Wind, ist weit und breit nichts mehr zu spüren.

Bunt statt Backend

Andere Konstanten im Markt wurden in der Vergangenheit ebenfalls im Handstreich weggefegt. Galt die Schwarzwälder GFT Technologies AG einst als finanziell stabil, wegen der technischen Kompetenz der Belegschaft in der Szene aber als unspektakulär, macht das Unternehmen inzwischen Verluste und hat sich mit Pixelpark-Gründer Paulus Neef einen Paradiesvogel als Berater ins Boot geholt.

Neefs ehemalige Firma Pixelpark geht derweil in die Offensive: Ihr aktueller Vorstandschef Michael Riese vernahm unlängst den "nach wie vor guten Klang" des Namens Pixelpark bei potenziellen Kunden: "Pixelpark nutzt alten Mythos für neuen Anfang", hieß es dazu in der "Financial Times Deutschland". Das erste Halbjahr brachte den Berlinern einen Umsatz von 6,5 Millionen Euro, im gleichen Vorjahreszeitraum waren es noch 25,9 Millionen Euro gewesen. Immerhin konnte der Nettoverlust von 21,2 Millionen auf 4,4 Millionen Euro reduziert werden.

Ende Juni beschäftigte Pixelpark 200 Mitarbeiter, im Frühjahr 2001 waren rund 1500 Angestellte für die Company tätig gewesen. Im Jahr zuvor hatte Pixelpark den Sprung in die "Europe''s 50 Hottest Tech Firms" des renommierten "Time Magazine" geschafft - mit Intershop und Brokat. Nun interessiert sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für das Unternehmen, die Beschlüsse der vergangenen Hauptversammlung sind unter Umständen ungültig, und Pixelpark hat den eigenen Großaktionär Neef auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf der Schweizer ZLU-Gruppe im Jahr 2000 verklagt.

Doch während sich einige Unternehmen immer noch dagegen sträuben, die veränderte Realität zu akzeptieren, suchen andere nach Auswegen aus der verfahrenen Situation. Vorigen Monat ging etwa die Hamburger Divine GmbH an den Neustart, die sich per Management-Buyout die Reste der bankrotten Vorgängergesellschaft sichern konnte. "Wir sind mit den Füßen auf dem Boden angekommen", sagt Geschäftsführer Thomas Notemann. Vom Softwaregeschäft hat sich Divine gelöst, künftig sollen Dienstleistungen im Bereich Content-Management für Umsätze sorgen.

"Nur implementieren reicht heute nicht mehr", sagt auch Joachim Brettschneider, Vorstandschef der Framfab Deutschland AG. Die hiesige Niederlassung einer ehemals führenden Web-Agentur aus Schweden hat sich notgedrungen auf Veränderungen einlassen müssen. Schwerpunkt der Kölner sind nun Beratungsleistungen für Vertriebsprozesse. Der klassische Ansatz, mittels der Marketing-Abteilung nach außen zu kommunizieren, sei nur noch ein Teilaspekt der Arbeit. Für Großkunden wickelt Framfab nun auch Projekte ab, bei denen es sich nicht mehr um das Internet dreht: "Es geht den Kunden", sagt Brettschneider, "nicht mehr um bunte Bilder, sondern darum, wie sie Geld verdienen und Kosten sparen."

Damit unterscheiden sich die heutigen Auftraggeber deutlich von der einstigen Attitüde der Multimedia-Agenturen, denen die wirtschaftlichen Grundlagen vielfach als Buch mit sieben Siegeln galten. "Oft hatten die Companies keine Ahnung von Projektplanung, Forecasts und von ihren Kosten", sagt Forrester-Analyst Pascal Matzke. Solange man nach Aufwand abrechnen konnte, war das kein Problem. Mussten Experten aus Übersee eingeflogen werden, weil es die Kompetenzen hierzulande nicht gab, wurden die Spesen und Reisekosten einfach den Kunden in Rechnung gestellt. Dass diese so verprellt wurden, nahm man in Kauf.

Doch die goldenen Zeiten sind vorbei: Festpreise sind an der Tagesordnung, die Tagessätze sowieso im Keller. Auf der Ebene der Senior-Berater und Partner hätten sich die Tagespreise halbiert, berichtet Matzke, während sie im mittleren Beratungsfeld um rund 20 Prozent eingebrochen seien. Zudem gibt es jetzt die Vorprojektarbeit wie etwa Assessment-Workshops kostenfrei dazu. Das finanzielle Risiko hat die Seiten gewechselt.

Strategische Partner gefragt

Die Chancen, Aufträge direkt mit großen Unternehmen zu verhandeln, werden zudem immer seltener. Konzerne sichten ihr Portfolio von Service-Providern und konsolidieren die Zahl ihrer Geschäftsbeziehungen auf wenige, dafür aber strategische Partnerschaften: "Kleine Nischenanbieter fallen immer häufiger unter den Tisch", hat Forrester-Analyst Matzke beobachtet. Natürlich können die Spezialisten weiterhin Geschäfte mit schwergewichtigen Kunden machen, dann aber in der Regel als Subunternehmer eines anderen Dienstleistungskonzerns.

Die Erkenntnis, dass kleine Gemischtwarenläden Krisen selten unbeschadet überstehen, ist alt - sie spricht sich aber anscheinend nur langsam herum. So will Pixelpark, offiziell ein Full-Service-Dienstleister, künftig neben dem Agenturgeschäft IBM-Rechner und -Speicher verkaufen. Framfab-Chef Brettschneider hat sich von einer derartigen Diversifizierung verabschiedet: "Kein Kunde nimmt Ihnen die Beratungskompetenz ab, wenn Sie behaupten, Sie können alles." Die Besinnung etwa auf eine Branche sei für die Agenturen "zwingend notwendig".

Techies oder Werber

Dass durch den Zwang zur Spezialisierung die Geschäftsfelder der einschlägigen Szenevertreter auseinderdriften, hat auch Christian Glas festgestellt. Der Analyst von Pierre Audoin Consultants (PAC) sieht bei der Veränderung zwei Hauptrichtungen: Während ein Teil der Web-Spezialisten auf die technologische Kompetenz setze, orientiere sich die andere Gruppe an der Werbebranche. Beide Wege sind steinig, denn während hüben die klassischen Systemhäuser auf die neue Konkurrenz warten, steht drüben die Front der Agenturnetzwerke.

Für die Multimedia-Experten sprechen laut Glas ihre schlanken Strukturen nach der Krise, da sie nur noch einen kleinen Verwaltungsapparat finanzieren müssen: "Sie haben einen Kostenvorteil." Nach Einschätzung des PAC-Analysten ist dies aber auch schon das einzige Pfund, mit dem die Web-Agenturen wuchern können. "Auf Dauer wird das nicht ausreichen", sagt Glas. Auf die etablierten Kundenbeziehungen zu vertrauen, "das kann funktionieren." Wenn aber einer der Auftraggeber wegfällt, haben die Spezialisten ein Problem.

Pixelpark profitierte einst von Bertelsmann-Verträgen, GFT vom Beziehungsgeflecht zu den Großaktionären Deutsche Post und Deutsche Bank. Kaum drosselten die Konzerne ihre Nachfrage, gerieten die Companies in Schwierigkeiten. Neue Auftraggeber sind jedoch in Krisenzeiten selten geworden, darüber hinaus wildern die großen Beratungskonzerne im Revier der Spezialisten, weil diese selbst nicht ausgelastet sind.

Gleichzeitig ist das Volumen der Beratungsaufträge deutlich geschrumpft. "Man kriegt heute keine großen Consulting-Projekte mehr", sagt Forrester-Analyst Matzke. Statt dessen sollte der Fokus auf kleine Schritte gelegt werden, die einen nachweislichen Nutzen erbringen können. "Consulting muss standardisiert vordefiniert werden, damit es die Kunden leichter und kostengünstiger abrufen können", fordert Matzke.

Die Momentaufnahme der Branche fällt insgesamt wenig schmeichelhaft aus: Einige Unternehmer unternehmen etwas, andere stecken noch mitten in der Phase der Vergangenheitsbewältigung fest. "Bertelsmanns peinliche Altlast" titelte vergangene Woche die "Süddeutsche Zeitung" am Tag nach der Pixelpark-Hauptversammlung. Die Veranstaltung war von einer Nicht-Entlastung Neefs sowie anhaltenden Querelen über die Stimmrechte der Anteilseigner gekennzeichnet. Die Branche der Web-Agenturen bewegt sich tatsächlich Anno 2003 irgendwo zwischen altem Glanz und alter Last.