Die großen Herausforderungen

18.03.2008
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Was beschäftigt die IT-Chefs in diesem Jahr? Drei Top-ClOs plauderten anlässlich eines COMPUTERWOCHE-Roundtables aus dem sprichwörtlichen Nähkästchen.

Marktstudien vermitteln nur Durchschnittswerte; ihre Ergebnisse nivellieren die Unterschiede. Die COMPUTEWOCHE wollte wissen, was ausgewählte ClOs konkret umtreibt, welche Hauptaufgaben sie für sich definiert haben, was sie im laufenden Jahr planen, wie sie die Beziehung zwischen Business und IT sehen, ob unter Kostendruck noch Innovationen möglich sind und welche Herausforderungen sie für die nächsten Jahre annehmen wollen.

Der lebenslange Kampf des CIO

Für Hans-Joachim Popp, Chief Information Officer (CIO) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) besteht eine der "lebenslangen" Herausforderungen für den IT-Verantworlichen darin, die Vielschichtigkeit der Systeme in den Griff zu bekommen. "Die Infrastruktur ist ohnehin schon komplex genug", konstatierte er, "gleichzeitig fordern die Geschäftsbereiche - teilweise in Unkenntnis der Konsequenzen - immer wieder Erweiterungen und die aktuellsten Komponenten." Dadurch steige die Komplexität in der Regel noch an, weil die laufenden Systeme schwer "auszuphasen" seien: "Selbstverständlich sollten wir immer auf dem höchstmöglichen Level bleiben, aber ich muss unterscheiden, welche Techniken sich in die Infrastruktur dauerhaft einfügen lassen und welche nicht." Zu den wichtigsten Fähigkeiten des CIO gehöre es deshalb, auch einmal "nein" zu sagen.

Peter Sany, Chief Information Officer (CTO), der Deutsche Telekom AG, machen vor allem die unterschiedlichen "Leadtimes" von IT und Business zu schaffen: "Unsere Hauptherausforderung als CIO-Team ist es, die Rhythmen des vom Wettbewerb getriebenen Business auf der einen Seite und der oft langsameren IT- und Prozessarchitektur auf der anderen Seite zu synchronisieren." Den Marktauftritt zu ändern sei "sicher keine einfache Sache", aber das lasse sich innerhalb weniger Monate auf die Reihe bringen. Hingegen seien drei Jahre notwendig, um das CRM-System grundlegend zu verändern oder neu aufzubauen. Mit dieser Diskrepanz habe ein CIO zu leben: "Wir müssen einen Weg finden, die Investitionen zu schützen, die finanziellen Rahmenbedingungen einzuhalten und gleichzeitig den Ansprüchen des Business betreffend Time-to-Market und neuer Funktionen zu genügen."

Ähnliche Herausforderungen sieht Gerhard Thomas, Geschäftsführer von Burda Digital Systems, einem Profit-Center des Medienhauses Burda: "Manche Einheiten möchten eine neue Anwendung in wenigen Monaten haben, aber wir können sie frühestens in sechs bis zwölf Monaten liefern", beschreibt er das Dilemma.

Eine andere Herausforderungen sieht Thomas darin, die beiden Mitarbeiterwelten zusammenzubringen, die sich in seinem Unternehmen gebildet haben - hier die "traditionelle" IT, beispielsweise die Abap-Programmierung, da die "aktuelle" IT mit Stichworten wie Ruby on Rails, PHP oder Java. "Unsere Aufgabe ist es, diese unterschiedlichen Organisationen zusammenzubringen, so dass die SAP-Leute von den Internet-Leuten lernen und umgekehrt", erläuterte der Digital-Systems-Geschäftsführer. Eine mögliche Lösung sei die Verwendung neuer SAP-Technologien, beispielsweise "WebDynPro for Abap": "Daraus ergibt sich quasi ein Vater-Sohn-Arbeitsmodell, das ganz gut funktioniert - zumindest in 70 bis 80 Prozent der Fälle. Bei den restlichen 20 Prozent ist eine Veränderung ohnehin schwierig".

Last, but not least bereitet auch das Thema "Return on Innovation" Thomas Kopfzerbrechen: "Inwieweit brauchen wir eine bestimmte Innovation? Wird sie sich auszahlen? Diese Fragen muss man sich stellen - gerade in der Medienindustrie, wo Hypes sehr schnell entstehen und wieder verschwinden."

Erst die KPIs, dann die Innovation

Dass das Thema Innovation überhaupt wieder auf der Agenda der ClOs zu finden ist, gilt schon als Fortschritt. In den vergangenen Jahren stand es im Schatten der Kostendiskussion. Dazu Sany: "Wir haben zwei Jahre hinter uns, in denen wir viel Basisarbeit geleistet haben. Wir haben eine gemeinsame Prozessarchitektur entwickelt und scharfe Kosteneinschnitte in der IT vorgenommen."

Das CIO-Team der Telekom habe jedoch nachgewiesen, dass es seine Kosten und sein Geschäft im Griff habe, berichtete Sany: "Wir haben uns Vertrauen erarbeitet, indem wir unsere Zielsetzungen und KPIs (Key Performance Indicators, Anm. d. Red.) erreicht oder sogar übertroffen haben." Dadurch sei es gelungen, die Diskussion "auf eine höhere Ebene zu heben", also über die Betriebskosten des Business zu sprechen statt nur über die IT-Kosten. Dieses Vertrauen gelte es nun aber jedes Quartal aufs Neue zu verdienen - durch Erfüllen der operativen Service Levels.

"Bevor wir uns als so genannte Berater des Business präsentieren können, müssen wir erst einmal Geld verdienen", pflichtete Thomas dem Telekom-CTO bei. Nichtsdesoweniger hätten sein Team und er in den vergangenen drei Jahren hart daran gearbeitet, die Kunden und ihr Business zu verstehen: "Und wir haben nach Möglichkeiten gesucht, wo Technik helfen kann, das Business zu verändern."

Aus Sicht von DLR-Manager Popp ist das Abwägen zwischen Business-Enabling und Kostenreduzierung müßig: "Ich mag diese strikte Trennung nicht so sehr." Um seinen Standpunkt zu untermauern, führte er ein Beispiel aus seinem Umfeld an, in dem es meist um komplexe Simulationen geht: "Wenn es uns gelingt, die Laufzeit des Codes zu halbieren, klingt das zunächst wie eine reine Effizienzverbesserung. Für die Forscher ist es aber eine Möglichkeit, sich an die Spitze des Wettbewerbs zu setzen, wenn sie für dasselbe Geld eine doppelt so hohe Auflösung berechnen können. Hier treffen sich Business-Innovation und Kostenersparnis. Man muss bisweilen sehr innovativ sein, um Kosten sparen zu können."

Mehr IT-Kosten für mehr Profit

Sany hingegen betonte in diesem Zusammenhang noch einmal den Aspekt, den er eigenen Angaben zufolge erst durch Fleißarbeit überhaupt in das Unternehmen tragen konnte: Unter dem Strich ergebe es mehr Sinn, die Effizienz des gesamten Betriebs zu betrachten. IT sei für ein Dienstleistungsunternehmen schließlich kein Selbstzweck: "Auch wenn wir ein extrem technologieorientiertes Unternehmen sind, verkaufen wir unseren Kunden weder SOA noch IP, sondern einen Service." Die IT sei dabei nicht nur ein Kostenfaktor, sondern ein "Business-Enabler". Und deshalb gehe es weniger darum, die IT-Kosten zu senken als gesamte Unternehmen effizienter zu machen - mit der IT als Mittel, um die "Cost of Doing Business" zu senken. Sanys Fazit: "Man kann durchaus die IT-Kosten erhöhen, wenn dadurch die Gesamtkosten des Business sinken."

Die Frage der Innovationskosten sollte "dynamisch" betrachtet werden, forderte der Telekom-CTO: "Wir müssen die weißen Flecken auf der Innovationslandkarte adressieren, also neue Ideen verfolgen, neue Business-Modelle entwerfen, die Dinge auf eine neue Art und Weise tun. Das wirkt sich auch auf den Umsatz aus." Der Erste in einem neuen Markt habe gegenüber den Wettbewerbern einen Vorteil, der Zweite hingegen immer ein Problem: Er müsse dasselbe besser, billiger oder anders machen und diese Differenzierung koste Geld. Unangenehmerweise würden die Innovationszyklen immer kürzer, mahnte Sany: "Was heute noch innovativ ist, ist übermorgen schon Commodity. Man muss also entweder ständig innovativ sein oder aber eine Management-Strategie entwickeln, die darauf abgestimmt ist, der Zweite oder Dritte zu sein."

Wie Sany erläuterte, gibt es auch in der IT "Non-Discretionary-Bereiche" wie Buchführung oder Controlling: "Hier zählt nur, wie billig und effizient Ihre Prozesse sind. Dafür sollten wir also nicht allzu viel Geld ausgeben, denn damit können wir uns nicht differenzieren." Was den "Discretionary-Bereich" angehe, habe ein Unternehmen meist nur ein einziges Mal die Chance, eine bestimmte Sache anzugehen: "Danach ist dieses Window of Opportunity geschlossen, und die Angelegenheit wird non-disrectionary."

Als Beispiel dafür nannte der Telekom-CTO das iPhone von Apple, das die Telekom in Deutschland anbietet: "Anfang des vergangenen Jahres hatte das noch niemand auf der Rechnung. Unsere Herausforderung war es, dieses Produkt und seinen innovativen Service schnell verfügbar zu machen", erinnerte sich der CTO. "In diesem Jahr heißt es hingegen: Wie effizient können wir es zum Kunden bringen und weiterentwickeln?"

Wechselbeziehung von Technik und Business

Dass Technik und Geschäft in enger Wechseibeziehung stehen, ist das Credo aller ClOs. "Es gibt kein neues Business ohne Technologie", bestätigte Thomas: "Also müssen Vorstände auch immer wieder über Technik diskutieren. Dieses Thema kann nicht einfach delegiert werden." Je mehr ein Unternehmen von der technologischen Entwicklung verstehe, desto besser seien die getroffenen Entscheidungen.

Beispiele dafür, wie die Technik das Business unterstützen kann, kennt Thomas zuhauf: "Beispielsweise benötigen wir eine Netzinfrastruktur, mit der wir auf neue Kommunikationsservices zugreifen können, auf Collaboration-Werkzeuge, Whiteboarding etc. Wir möchten, dass sich Leute aus Moskau mit Leuten aus Offenburg austauschen können, ohne dass sie reisen müssen." In der Diskussion mit Vorständen und Fachbereichen sollten die IT-Leute allerdings nicht die Technik beschreiben, sondern die Vorteile für das Business herausstellen.

Ähnliches gelte für die SAP-Welt: "Wenn wir Veränderungen mit unseren Kunden diskutieren, zielen wir auf Effizienz- und Effektivitätsverbesserungen ab", führte Thomas aus, "dabei geht es nicht um die Technologie, sondern um neue Abläufe und inhaltliche Zuständigkeiten."

Last, but not least sei der Aufbau der Burda-Communities ("BeQueen" und "BonGusto") ebenfalls nur zum Teil technologiegetrieben. Einer der Schwerpunkte liege auf der Schaffung der Organisation mit Community- und Marketing-Managern etc.

IT der nächsten Generation

In erster Linie um die Unterstützung des Business geht es auch beim Programm "Next Generation IT", für das die Telekom gerade den Startschuss abgefeuert hat. Das Programm beginne mit einem gedanklichen Sprung um fünf Jahre in die Zukunft, berichtete Sany: "Wir überlegen, wie unser Business, unsere Produkte und die Beziehungen zu unseren Kunden dann gestaltet sein werden." Davon abgeleitet würden die Entscheidungen, welche Prozesse mit welcher unterstützenden IT-Architektur, welchen Anwendungen und Systemen dieses Business ermöglichen sollen. Für die IT gelte es, die zentralen Fragen zu stellen und eine mit den Business-Anforderungen abgestimmte "Roadmap" für die Umsetzung zu erarbeiten. Selbstverständlich müsse dieser Plan während der Implementierung in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Als Beispiel für eine der Top-Ten-Fragen der IT nannte Sany die der Produkt- und Datenstruktur: "Welche Rolle spielen Stücklisten und modulare Produktionsketten für ein Dienstleistungsunternehmen?" Die Antwort lieferte der Telekom-CTO gleich hinterhet: "Konvergenz beispielsweise ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern vor allem eine der Bündelung von physischen Produkten, Services und Tarifen, Diese Komponenten müssen geordnet zur Verfügung stehen. Sonst ist das Unternehmen bei der Anpassung an veränderte Marktbedingungen nicht effizient und agil genug."

Die tradierte Alternative zu dieser Struktur sei eine vertikale Integration mit fertigen Produkten zu einem bestimmten Preis, stellte Sany klar. Hier seien die Produkte inklusive ihrer Preise in allen Prozessen und im Sourcecode der IT-Systeme definiert und codiert: "Wenn Sie in einem solchen System einen Tarif ändern wollen, müssen Sie quasi eine Operation am offenen Herzen vornehmen", warnte der CTO. Wer hingegen die Servicekomponenten in Stücklisten organisiere und die entsprechenden Prozesse definiere, sei wesentlich anpassungsfähiger und besser gerüstet für den Wettbewerb und künftige, neue Produkte.

Integration heterogener Informationsquellen

Die DLR hingegen schlägt sich momentan mit einem ganz anderen Problem herum: "Auf meiner aktuellen Agenda steht die Integration sehr heterogener Informationsquellen", verriet Popp. "Wir sind durch Vorgaben der Bundesregierung aufgefordert, alle zu einem Forschungsprojekte gehörenden Daten in geordneter Form zu integrieren und zu archivieren. Außerdem müssen wir diese Daten mit dem daraus abgeleiteten Wissen in Beziehung setzen."

Das klingt einfacher als es ist. Beispielsweise seien, so der CIO, einige der früher eher "peripheren" Datenquellen, beispielsweise E-Mails, nahezu unbemerkt immer wichtiger geworden: "Hier tauschen die Wissenschaftler wichtige Informationen aus, ohne strukturierte Datenbanken zu nutzen. Wir müssen einen Weg finden, wie wir das handhaben können."

Diese Aufgabe habe die IT der DLR in den kommenden ein bis zwei Jahren zu lösen, so Popp: "Das Schwierigste daran ist, die Informationen überhaupt zu lokalisieren." Und dann müsse von Fall zu Fall entschieden werden, ob ein per Hochleistungsrechner ermitteltes Zwischenergebnis, beispielsweise ein 3-D-Modell mit speziellem Rendering, so abgespeichert werde, wie es ist (was selbstverständlich viel Speicherlatz koste), oder ob es möglicherweise billiger sei, es beim nächsten Zugriff neu zu berechnen. "Hierauf gibt es keine pauschalen Antworten", bekannte der CIO.

Gleiches Risiko für Dienstleister und Kunde

In einem weiteren wichtigen Projekt - wenn auch nicht in derselben Größenordnung - beschäftigt sich Popp mit dem Thema Optimierung der Service-Level-Agreements. (SLAs). "Wir möchten, dass das Bonus- beziehungsweise Pönalensystem, das wir mit unserem Partner T-Systems heute leben, unsere unternehmerischen Risiken künftig besser widerspiegelt als bisher", schilderte der CIO seine Absichten.

Die heutigen SLAs orientieren sich am Umsatz, den der Partner mit dem jeweiligen Service erzielt "Nun gibt es aber Services, die relativ preiswert zu erbringen und doch enorm wichtig für uns sind", machte Popp deutlich: "Ein Beispiel dafür ist unser Netz. Ein Netzausfall in einer Niederlassung bedeutet unter Umständen, dass 1000 Leute so gut wie nicht mehr arbeiten können." Die Folgen für die DLR seien erheblich gravierender als beispielsweise der Ausfall des E-Mail-Systems: "Deshalb brauchen wir Boni und Vertragsstrafen, die unser geschäftliches Risiko reflektieren - unabhängig davon, was der Service kostet." Im Endeffekt müsse der Dienstleister die Bedingungen für Monitoring und Wiederherstellung jeweils der "Kritikalität" einer Komponente anpassen, ohne dass sich der Kunde darum kümmern müsse.

Was kommt als nächstes?

Seine nächste Herausforderung sieht Popp darin, die Mobilität der Mitarbeiter mit den hohen Sicherheitsanforderungen der DLR in Einklang zu bringen:" Wir möchten auch externe Kooperationspartner so eng wie möglich in das Unternehmen einbinden, ohne die Security zu vernachlässigen."

Mit dem viel zitierte Enterprise 2.0 kann der CIO der DLR hingegen wenig anfangen: "Für mich ist das noch ein Buzzword, das mit Leben gefüllt werden muss." Ganz anders der Medienexperte Thomas: "Mich beschäftigt die Frage, was nach Web 2.0 kommt: Enterprise 2.0, Office 2.0?" Als Wachstumstreiber des Kundengeschäfts sieht der Burda-Manager mobile Endgeräte und neue Medieninhalte.

In eine ähnliche Richtung gehen die Tätigkeitsbereiche, die Sany auf seiner To-do-Liste hat: "Interaktivität und Network Centric Digital Products." Die Telekom-Visionen sehen beispielsweise vor, dass der Zuschauer im digitalen TV ein Fußballspiel aus der Perspektive eines bestimmten Spielers miterleben kann

Nicht mehr ganz so visionär sei die Interaktivität über IPTV, versprach Sany: "Ich sehe einen Film und kann mit meinen Freunden chatten, ohne ein zweites Gerät zu nutzen. Oder ich kann online erfahren, welches aufregende Auto da gerade durch die Filmszene gefahren ist." So lasse sich das Business auf eine neue Ebene heben.