COMPUTERWOCHE-Gipfeltreffen

Die große Outsourcing-Kontroverse

14.02.2003
Ohne vorherige Bestandsaufnahme ("Due Diligence") und Konsolidierung der Plattformen ist ein IT-Outsourcing Unfug. Doch nachher erübrigt sich möglicherweise die Auslagerung - oder ist sogar kontraproduktiv. Um diesen Themenkomplex aus Kundensicht zu diskutieren, hatte die COMPUTERWOCHE vier CIOs aus Großunternehmen zum Roundtable geladen.

Den Startschuss gab seinerzeit General Motors. 1984 übernahm der Automobilkonzern den Dienstleister Electronic Data Systems (EDS), um seine operationalen IT-Services in das Tochterunternehmen auszulagern. Anfang der 90er Jahr schwappte die erste Outsourcing-Welle über den Atlantik. Für Furore sorgte die Daimler-Benz AG, als sie 1990 ihre Serviceaktivitäten - einschließlich ihres Rechenzentrums - in die Debis AG übertrug.

Den mittlerweile zahlreichen Anbietern spielt die schwierige Wirtschaftslage in die Hände. Bis 2005 werden die meisten europäischen IT-Abteilungen mindestens eine geschäftskritische Komponente an einen IT-Dienstleister ausgelagert haben, prognostiziert die Meta Group.

Augenscheinlich schreckt nicht einmal die deutsche Bundeswehr davor zurück, Rechenzentrum und Netze sowie Installation und Betrieb ihrer Standardsoftware der CSC Ploenzke AG anzuvertrauen. Und kürzlich haben auch die Not leidenden Banken das Outsourcing entdeckt: Dem Pfad, den die Deutsche Bank mit ihrem Auftrag an IBM gerodet hat, wird möglicherweise die Commerzbank folgen.

Die COMPUTERWOCHE hielt es deshalb an der Zeit, dem Thema Outsourcing einmal auf den Grund zu gehen. Zu Wort kommen sollten vier CIOs, die jeweils unterschiedliche Outsourcing-Erfahrungen gemacht hatten. Der Einladung folgten Ulrich Flatau, IT-Stratege der Porsche AG, Clemens Jochum, CIO bei der Deutschen Bank, Joachim Mahr von MG Technologies und Gisela Wörner von Eon.

Jochum redete nicht lange um den heißen Brei herum: "Für ein Outsourcing spricht zunächst der Kosteneinsparungseffekt", so der für den Bereich Privatkunden und Asset Management (PCAM) der Deutschen Bank verantwortliche CIO. Wichtiger als die absolute Ersparnis sei dabei die Möglichkeit, fixe in variable Kosten umzuwandeln. "Unser Transaktionsvolumen und damit die benötigten Rechnerressourcen schwanken stark. Wenn wir einen großen Kunden an die Börse bringen, können wir das dreifache Aktienhandelsvolumen haben wie an einem normalen Tag." Anstatt immer die maximalen Ressourcen vorzuhalten, lasse sich die ausgelagerte IT-Leistung einkaufen wie Strom oder Telefonverbindungen.

Jochum scheute sich auch nicht, konkrete Zahlen zu nennen: "Das Rechenzentrum verschlingt 40 Prozent meines IT-Budgets. Und hier sind Einsparungen festgeschrieben: Mein Rechnerbudget wurde in diesem Jahr von 350 Millionen auf 270 Millionen Euro gesenkt. Wenn davon in Zukunft 20 Prozent fixe und 80 Prozent volumenabhängige Kosten sind, dann ist das wichtig für unser Geschäft."

Porsche-Manager Flatau machte andere Erfahrungen. Lange bevor er in das Unternehmen eintrat, hatte der Nobelfahrzeug-Produzent den Rechenzentrums- und Netzbetrieb in ein Joint Venture mit der IBM ausgelagert. Bei dem Versuch, Geld zu sparen, sei damals der falsche Hebel angesetzt worden, erinnert sich der IT-Stratege. Die tatsächlichen Kosten waren so immens, dass er einen neuen Rechner beschaffen, den alten in den Keller stellen und trotzdem noch Geld hätte sparen können. Outsourcing koste also keineswegs per se weniger als ein interner Dienstleister.

"Eher im Gegenteil", bekräftigte Wörner. "Ich bleibe dabei, dass am Ende immer der externe Dienstleister gewinnt." Er müsse vor allem auf seine Kosten achten, während der interne Partner auch bestrebt sei, die beste Leistung für die Anwender zu erbringen.

Deshalb zieht es die IT-Chefin der Eon AG vor, die operativen Dienstleistungen an interne Serviceeinheiten zu vergeben. Diese auszugliedern komme nicht in Frage: "Wir wollen eine starke interne IT-Mannschaft, die unser Geschäft versteht, unsere Prozesse gestaltet, sie in Applikationslandschaften hinterlegt und diese betreibt. Unser IT-Dienstleister soll nicht 80 Prozent externen Umsatz machen. Sonst muss sich unser Vorstand auf einmal mit einem Geschäftsfeld IT beschäftigen." Sicher müsse sich die Serviceeinheit im Wettbewerb bewähren, sie dürfe auch freie Kapazität im Drittmarkt verwenden - "aber nicht mehrheitlich, sonst müssen wir uns wieder teure Ressourcen vom Markt kaufen, während wir das vorhandene Know-how im Drittmarkt einsetzen. Das ist doch schizophren." Außerdem könne die Eon AG Skaleneffekte selbst generieren, indem sie seit 1995 permanent ihre Rechenzentren konsolidiere und unter einer Organisation zusammenfasse. "Wir haben immer wieder Benchmarks gefahren, und das externe Outsourcing hat sich nicht in einem Fall gerechnet."

Das wollte Jochum so nicht stehen lassen: "Wir haben unsere kontinentaleuropäischen Rechenzentren ebenfalls zusammengelegt. Aber wir hatten nach wie vor das Problem unserer stark wechselnden Anforderungen." "Aus meiner Erfahrung können kurzfristige Kostenreduzierungen nur in wenigen Fällen das einzige Argument für Outsourcing sein", meldete sich Mahr zu Wort. Transparente Prozesse und eine zentrale Infrastruktur vorausgesetzt, ließen sich die IT-Betriebskosten auch durch interne Konsolidierung nachhaltig senken. MG Technologies darf wohl mit Fug und Recht ein Outsourcing-Pionier genannt werden. Im November 1990 schloss die damalige Metallgesellschaft ein Dienstleistungsabkommen mit dem gerade formierten Debis Systemhaus.

Im Jahr 2000 unterzeichnete der in den Bereichen Chemie und Engineering tätige Technologiekonzern dann einen umfangreichen Outsourcing-Kontrakt mit IBM Global Services. Der Dienstleister sollte das heterogene IT-Umfeld des Kunden konsolidieren, eine standardisierte Kommunikationsinfrastruktur schaffen und die IT-Betriebskosten deutlich verringern. Doch das Abkommen wurde noch während der Due-Diligence-Phase gelöst, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass die erwarteten Einsparungen wohl doch nicht erreichbar sein würden.

Mahr, der seit September 2001 die CIO-Verantwortung trägt, begreift Konsolidierung und Standardisierung als Aufgaben, die intern zu lösen sind. Davon abgesehen setzt er auf eine gezielte Fremdvergabe von IT-Leistungen, der er neue Aspekte abgewinnt: "Unsere Outsourcing-Evaluierungen betrachten nicht nur die Kostensenkung, sondern auch die Reduzierung von Risiken im IT-Betrieb. Das betrifft neben der Professionalität und Sicherheit unserer oftmals kleinen Rechenzentren auch die Abhängigkeit von Einzelpersonen." Wie der CIO erläuterte, decken in "Kleinstbereichen" oft einzelne "Multitasking-Mitarbeiter" den gesamten IT-Betrieb ab. Daraus ergebe sich ein erhöhtes Betriebsrisiko. Zudem seien diese internen Mitarbeiter relativ teuer, ergänzte Mahr. Durch deren "historisch bedingte Zuordnung" könnten "Commodity-Leistungen" deutlich mehr kosten, als es bei einem Dienstleister "mit seinem auf die IT-Prozesse ausgerichteten Gehaltssystem" möglich wäre. Damit sprach der MG-Technologies-Manager einen Punkt an, der mit Sicherheit auch die anderen Gesprächsteilnehmer beschäftigt - ohne dass sie sich explizit dazu äußern wollten.

Wesentlich lebhafter diskutiert wurde ein Argument, das bei der Outsourcing-Entscheidung von MG Technologies zumindest vorübergehend eine Rolle gespielt hatte: die mangelhafte Standardisierung der eigenen IT-Infrastruktur. Wie Jochum einräumte, liegt hier in der gesamten Bankenlandschaft noch einiges im Argen. "Das Outsourcing ist für uns auch ein Mittel, um uns eine geordnete Infrastruktur aufzuzwingen."

Diese Steilvorlage ließ sich Wörner nicht entgehen: Outsourcing sei also für die Deutsche Bank ein "Befreiungsschlag" gewesen, stellte sie mit einer gewissen Süffisanz fest. Jochum mochte ihr nicht widersprechen, bevorzugte aber die Formulierung: "ein strategisches Mittel, um zu viel Heterogenität abzuschütteln".

Nach Wörners Auffassung ist die Auslagerung von IT-Dienstleistungen jedoch nicht nur kostspielig, sondern sie hemmt auch die Weiterentwicklung des Geschäfts: "Die Unternehmen, die wir dazukaufen, haben zum Teil ein brutales Outsourcing hinter sich, und wir stellen jedes Mal fest, dass die IT-Budgets explodieren und die Innovation stirbt." Der Grund liege darin, dass jede Kleinigkeit, die der Kunde ändern wolle, zusätzlich koste. "Hier holt sich der externe Dienstleister das Geld zurück, das er vorher, als er Ihnen die Einsparungen versprach, herausgerechnet hat."

Konkrete Erfahrungen hat Eon offenbar im Telekommunikationsbereich gemacht. "Die von uns aufgebauten Unternehmen mussten sehr flexibel, innovativ und schnell, also ohne ellenlange Pflichtenhefte, in die Anwendungslandschaften hineingehen", so die IT-Managerin weiter. "Aber es war fast unmöglich, mit dem externen Partner für den Rechenzentrumsbetrieb, in diesem Fall Debis, zu einer vernünftigen Zusammenarbeit zu kommen." Er sei einfach nicht an der Erneuerungsfähigkeit der Applikationen interessiert gewesen.

Auch bei Porsche hat das Outsourcing ein Nachziehen, Erweitern und Anpassen der Technologie verhindert. Wie Flatau erläutert, wurde über lange Zeit der Status quo erhalten. Beispielsweise hätten zu einer Zeit, als die Hardwarepreise rasant nachgaben, die alten Rechner durch neue ersetzt werden können, um die Leistung für den Kunden billiger zu machen. Hätte der Dienstleister hundertprozentig zu Porsche gehört, wäre es möglich gewesen, den Technologie-Switch zu vollziehen, so der IT-Stratege. Bei einem Externen sei das zwar nicht unmöglich, aber man zahle dafür. Schließlich müsse er seine Kosten kalkulieren und werde immer versuchen, sein Risiko auf den Vertragsnehmer abzuwälzen.

Auch Jochum leistete seinen Beitrag zur Liste der Bedenken gegen das Outsourcing. "Von unserer Revision kam als Gegenargument, der Verlust der Kontrolle führe automatisch zu einem höheren operationalen Risiko", bekannte er. "Abgefedert" worden sei das durch den Einbau "bestimmter Kontrollmechanismen" in den Vertrag. Den zweiten Einwand konnte er weniger leicht entkräften. "Wenn es nicht klappt, ist das Outsourcing kaum reversibel." Wichtig seien deswegen saubere Planung und Governance. Das Argument, Outsourcing bedeute Verlust von Know-how, wollte Jochum hingegen nicht nachvollziehen: "Rechenzentrumsleistung ist für mich eine Commodity."

Einen gravierenden Unterschied machten die Diskussionsteilnehmer zwischen dem generellen und einem partiellen Outsourcing. Gegen Letzteres hatte auch eine Skeptikerin wie Wörner nichts einzuwenden - "dort, wo sich Verantwortungen klar abgrenzen lassen und der Kern der IT nicht berührt wird". Nicht vorstellen kann sich die Vorzeigefrau der deutschen CIO-Szene allerdings eine Auslagerung des Anwendungsbetriebs: "Hier gestalten wir die Geschäftsmodelle und -prozesse, hier leben wir in enger Symbiose mit den Fachbereichen und realisieren hoch integrierte Projekte. Da ist kein externes Outsourcing möglich." Schließlich sei auch eine Standardsoftware "nur ein Tool, mit dem Sie Mist bauen oder tolle Dinge machen können".

Die Deutsche Bank hat an dieser Stelle - zumindest vorläufig - ebenfalls eine Grenze gezogen. Besonders misstrauisch zeigte sich Jochum gegenüber dem Outsourcing der Softwareentwicklung, wie es American Express praktiziere. "Nach meiner Auffassung gehört dies zu den Kernkompetenzen einer Bank." Allerdings ist der Banken-CIO nicht abgeneigt, "die Fertigungstiefe zu verringern" - zumindest dort, wo nicht "aus regulatorischen Gründen" intern codiert werden müsse. Im vergangenen November sei er im indischen Bangalore gewesen und positiv überrascht worden von der gestiegenen "Professionalität" der dortigen Softwareentwicklung - "auch auf der Ebene der Projektleitung, also jenseits des bloßen Bodyleasing". Mit ersten dorthin vergebenen Projekten habe die Deutsche Bank gute Erfahrungen gemacht.

Als "sinnvoll" klassifizierten die Gesprächsteilnehmer das Business Process Outsourcing (BPO). "Man kann in einigen abgrenzbaren Prozessbereichen den standardisierten Service eines Providers sicher günstiger kaufen als intern aufbauen", fasste Mahr zusammen. "Voraussetzungen sind transparente Ist-Kosten und der Wille, Prozesse zu vereinheitlichen."

Hier offenbarte das Gespräch einmal mehr die Crux vieler Outsourcing-Vereinbarungen: Wer einen Vorteil daraus ziehen will, muss als Kunde seine Hausaufgaben machen. Beispielsweise sollte die Infrastruktur vorher standardisiert und mit exakten Schnittstellen versehen werden. Diesen Weg ist die Deutsche Bank ein ganzes Stück weit gegangen. "Auch wenn das Outsourcing im letzten Augenblick noch gescheitert wäre - allein die Transparenz, die wir durch die vorangegangene Due Diligence erzielt haben, hätte die Übung gelohnt", betonte Jochum den Erfolg dieser Arbeit.

Bleibt die Frage, ob sich der Finanzdienstleister danach nicht hätte das Outsourcing sparen können. "Wenn man alles ideal gelöst hätte - jeweils mit ganz sauberen SLAs (Service-Level-Agreements) und vertraglichen Regelungen zwischen Business- und IT-Seite - ja, dann könnte man das zumindest teilweise auch intern hinbekommen. Aber der Zeitfaktor dafür war mir zu hoch."

Karin Quack, kquack@computerwoche.de