Die zweite Welle deutscher Internet-Agenturen

Die Gnade der späten Gründung

03.08.2001
HAMBURG - Die deutsche Werbebranche hat das Internet lange vernachlässigt. Die abwartende Haltung der Werbeagenturen erweist sich mittlerweile jedoch als Vorteil. Seit der Internet-Boom zu Ende ist und einstige Shootingstars in einer existenziellen Krise sind, besinnen sich viele der einschlägigen Firmen wieder auf ihre Kernkompetenz und etablierten Kundenkontakte. Von Martin Jahrfeld*

Der Weckruf klang dramatisch: Deutschlands Werbebranche - so argwöhnten Kritiker noch vor rund einem Jahr - sei dabei, das boomende Internet-Geschäft zu verschlafen. Mit den Umsätzen aus der klassischen Werbung könnten die Großen langfristig ihr Überleben nicht mehr sichern. Das Marktwachstum komme viel mehr aus den Bereichen Customer-Relationship-Management und den Neuen Medien, hieß es. Der Ruf zur Eile blieb nicht ungehört. Ende des vergangenen Jahres waren immerhin 13 der Top 20 unter den deutschen Werbeagenturen mit eigenen Multimedia-Ausgründungen am Markt präsent: Firmen wie Elephant Seven (Springer + Jacoby), Die Argonauten (Grey Global Group) oder Berger Y&R Interactive (Young & Rubicam Advertising) wetteiferten mit neuem Firmen- und Leistungsprofil um Kundschaft in den Bereichen Online-Marketing, Consulting und B-to-B-Kommunikation.Ein halbes Jahr später ist von der Aufbruchstimmung in der Branche nicht mehr viel übrig geblieben; die Euphorie ist vielerorts in Ernüchterung umgeschlagen. Die BBDO-Tochter BBDO Interactive, die im vergangenen Jahr bei einem Honorarumsatz von 29,5 Millionen Mark eine Wachstumsrate von 85 Prozent erreichte, kalkuliert für 2001 weitaus vorsichtiger: Allenfalls 20 Prozent Wachstum seien realistisch, glaubt Christoph von Dellingshausen, Vorstand der Multimedia-Agentur. Auch Hansjörg Zimmermann, Managing Partner der Argonauten in München, gibt sich zurückhaltend: "Vor einem halben Jahr haben die Kunden noch Schlange gestanden. Diese Zeiten aber sind vorerst vorbei." Zwar hält Zimmermann noch immer ein Wachstum von 30 bis 60 Prozent für realistisch, fährt aber dennoch auf Konsolidierungskurs: Ein Außenbüro in Hamburg wurde geschlossen, einige Mitarbeiter mussten nach der Probezeit das Unternehmen wieder verlassen.

Nicht überall ging der Anpassungsprozess derart glimpflich über die Bühne: So geriet die Hamburger Agentur Elephant Seven im Mai in schweres Gewässer. Nachdem einige Auftraggeber aus der New Economy zahlungsunfähig geworden waren, sah sich die Springer&Jacoby-Tochter plötzlich mit unbezahlten Rechnungen in Höhe von 1,5 Millionen Mark konfrontiert. 45 Mitarbeiter mussten gehen, neu aufgebaute Geschäftsfelder wie interaktives TV wurden abgestoßen: "Wir waren konservativ, aber sicher nicht konservativ genug", resümiert Horst Wagner, geschäftsführender Gesellschafter von Elephant Seven, selbstkritisch.

Ein Blick auf das Wettbewerbsumfeld gibt ohnehin Anlass zur Skepsis. Denn vor allem jene großen Multimedia-Häuser, deren Pionierleistungen die Werbeagenturen noch vor Jahresfrist nachzueifern versuchten, befinden sich heute in schweren Turbulenzen. Die Reihe der Problemfälle ist lang und wird von den beiden "Stars" vergangener Tage angeführt: So bleibt die Bertelsmann-Tochter Pixelpark trotz Entlassungen und einer Finanzspritze der Konzernmutter aus Gütersloh von der Gewinnschwelle weit entfernt. Und bei Kabel New Media führten teure Zukäufe und eine völlige Fehleinschätzung des Marktes inzwischen sogar zur Insolvenz.

Im Vergleich zu solchen Problemen befinden sich die Multimedia-Töchter der Werbeagenturen noch in einer komfortablen Position. Ihre Einbindung in etablierte Marketing-Netzwerke - die noch vor Jahresfrist als Hemmnis gegen eine starke Positionierung im Multimedia-Geschäft angesehen wurde - sichert ihnen heute den Zugriff auf wichtige Kundenkontakte. "Wir akquirieren 20 Prozent unserer Aufträge über die Grey Global Group und sind froh, dass wir über dieses Netz der Muttergesellschaft verfügen", bekennt Argonauten-Chef Zimmermann. Beim Wettbewerb um Etats treten Werbeagentur und Multimedia-Tochter folglich zunehmend gemeinsam zum "Pitch" an - vor allem, wenn ein Kunde seine Marketing-Strategie ohnehin auch im Internet verwirklichen will. Mit anderen Worten: Die etablierten Geschäftsbeziehungen zu Großkonzernen der Old Economy, über die die großen Werbeagenturen verfügen, erweisen sich auch für die Multimedia-Töchter als Segen.

Doch auch die Sicherheiten, die besagte Kundennetze ohne Zweifel bieten, könnten sich als trügerisch erweisen: Denn die strategischen Herausforderungen, vor denen die Multimedia-Ausgründungen der Werbeagenturen stehen, sind nach wie vor ungelöst; die Konsolidierung des Anbietermarktes ist mit vielen Fragezeichen behaftet. Viele Multimedia-Töchter der Werbeagenturen konkurrieren nicht nur gegen vermeintliche Full-Ser-vice-Häuser wie GFT Technologies, Pixelpark oder Concept, sondern zunehmend auch gegen Seiteneinsteiger wie McKinsey oder die Boston Consulting Group, die als Unternehmensberatungen ebenfalls in das Geschäft mit dem E-Marketing möchten. In kaum einem anderen IT-Markt herrscht derzeit ein solches Gedränge. Vor allem im Wettbewerbsfeld beratender Dienstleistungen dürfte somit der Preisdruck weiter zunehmen.

Vages LeistungsprofilDas Leistungsprofil, mit dem sich die Multimedia-Töchter der Agenturen künftig positionieren könnten, ist allerdings nur schwer zu definieren. Einigkeit besteht darüber, dass mit Frontend-Lösungen und Web-Design im Markt kaum noch Geld zu verdienen ist. Für die Internet-erfahrenen Kunden geht es eher um die Frage, wie das vorhandene Nutzerinteresse am Internet in gebührenpflichtige Transaktionen überführt werden kann. Nicht mehr Aufmerksamkeit, sondern Umsatz ist das vorrangige Ziel. Und der Markt verlangt grundsätzlich nicht mehr so sehr nach E-Branding-Konzepten, sondern nach Systemintegration, Back-Office-Anbindung und dem Aufbau von Datenbanken.

Die diesbezüglichen Fähigkeiten der "zweiten Welle" der Internet-Dienstleister sind jedoch begrenzt - und werden es auch bleiben. Denn die technischen Aufgaben im Backend-Bereich erfordern umfassende IT-Kompetenz, die kaum aus den Netzen der Werbeagenturengewonnen werden kann. Immer mehr Agenturtöchter beginnen deshalb auch, ihre Grenzen zu akzeptieren. Argonauten-Manager Zimmermann sieht den Fokus seines Geschäfts folglich im Bereich Consulting und Markenführung: "Nur börsennotierte Firmen stehen unter Druck, als Full-Service-Agentur auftreten zu müssen, wir dagegen können uns auf unsere Kernkompetenz im Bereich E-Marketing und Consulting konzentrieren."

Viele Argumente sprechen für eine solche Rückbesinnung. Die Aneignung von IT-Wissen ist für die Kreativen der Werbebranche ein ebenso mühseliges wie kostspieliges Geschäft: "Werber und IT-Fachleute sind eben völlig unterschiedlich, sie denken verschieden und sprechen andere Sprachen", bringt ein Agenturchef das Problem auf den Punkt.

*Martin Jahrfeld ist freier Journalist in Hamburg.

Werbeagenturen und ihre Multimedia-TöchterWerbeagentur / Multimedia-Agentur

BBDO Group Germany / BBDO Interactive

Grey Global Group Germany / Die Argonauten

Publicis Communication Düsseldorf / Publicis Networks

Young & Rubicam Advertising Berger / Y & R Multimedia

Ogilvy & Mather / Ogilvy Interactive

McCann-Erikson Deutschland GmbH / Zentropy Partners GmbH

Scholz & Friends / Keine eigene Agentur

Springer & Jacoby Holding GmbH / Elephant Seven GmbH

J. Walter Tompson / Syzygy AG

FCB Deutschland / FCBI

Quelle: Jahrfeld