Interview

"Die Globalisierung ist nicht Ursache der Arbeitslosigkeit"

05.06.1998

CW: Sie fordern, Deutschland solle bei der Telearbeit "ganz vorne in der Weltliga mitspielen". Doch bisher gibt es hierzulande maximal 150 000 Telearbeitsplätze. Was unternimmt die Regierung dagegen?

Rexrodt: Nach einer Untersuchung des Fraunhofer-Institutes gibt es bei uns bereits etwa 800000 Telearbeiter. Davon sind 500000 als mobile Telearbeiter etwa im Außendienst von Versicherungs- oder Bauunternehmen tätig. Neben Aufklärungsarbeit fördert die Bundesregierung im Rahmen des Programmes "Telearbeit im Mittelstand" rund 400 kleine und mittlere Unternehmen bei der Erstellung und Umsetzung von Telearbeitskonzepten.

CW: Manche Experten befürchten, daß Teleworker als virtuelle Sklaven sozial verkümmern und entrechtet werden.

Rexrodt: Der Arbeitnehmer, der losgelöst von allen sozialen Bindungen sein Dasein nur noch im häuslichen Arbeitszimmer fristet, ist für mich nicht der Idealfall des Telearbeiters. Sinnvoller ist die sogenannte alternierende Telearbeit. Dabei verbringt der Beschäftigte einige Tage in der Woche an seinem betrieblichen Arbeitsplatz. Auf diese Weise bleiben die unmittelbaren Kontakte zu Vorgesetzten und Kollegen und auch die wichtigen informellen Netzwerke im Unternehmen erhalten. Von einer Entrechtung der Beschäftigten kann im übrigen keine Rede sein: Selbstverständlich gelten die bestehenden Schutzrechte für Arbeitnehmer auch für Telearbeiter im vollen Umfang.

CW: Mit Marktöffnung, Liberalisierung und Deregulierung wollen Sie eine Wende am Arbeitsmarkt herbeiführen. Bisher aber hat diese Strategie Arbeitsplätze vernichtet. Brauchen wir eine Kurskorrektur?

Rexrodt: Marktöffnung, Liberalisierung und Deregulierung stellen einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung dar. Obwohl es dadurch zu einem vorübergehenden Abbau von Arbeitsplätzen kommen kann, führen Marktöffnungen mittelfristig zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Unmittelbar entstehen neue Jobs durch den Marktzutritt von Unternehmen in vormals abgeschottete Märkte. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Öffnung des Telekommunikations- und Postmarktes. In den Marktsegmenten, die seit Jahresanfang zusätzlich für den Wettbewerb geöffnet wurden, werden private Carrier mehr und mehr Arbeitskräfte einstellen.

CW: Aber gerade das erwartete Jobwunder im Informations- und Telekommunikationsbereich ist ausgeblieben. Allein bei der Telekom wurden bisher über 190000 Arbeitnehmer entlassen. Wo sollen die neuen Stellen nun herkommen?

Rexrodt: In der Informationsgesellschaft zeigt sich die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft. Die Unternehmen, die sich mit Produkten und Dienstleistungen wie Handys, Internet, Multimedia, Online-Dienste oder Telekommunikation befassen, haben in den letzten beiden Jahren rund 100000 neue Arbeitsplätze geschaffen. In diesem Jahr erwartet die Informationswirtschaft einen weiteren Arbeitsplatzzuwachs von 100000 Beschäftigten.

CW: Während in den USA auf 100 Einwohner 48 Computer kommen, sind es hierzulande nur 24. Haben die Deutschen aus Technologieskepsis nicht schon längst den Anschluß verpaßt?

Rexrodt: Nein. Ich bin sicher, der Zug ist noch erreichbar. Sicher liegt Deutschland zum Beispiel hinsichtlich der PC-Dichte im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld. Der PC wird aber auch hierzulande weiter an Attraktivität gewinnen. Die zunehmende Digitalisierung von TV-Angeboten und ein wachsendes Angebot digitaler Dienste und Inhalte werden diesen Prozeß beschleunigen. Dabei sind auch mentale und emotionale Blockaden zu überwinden. Aber es gilt, das ganze Bild im Auge zu halten. Der Mausklick vergrößert nicht nur die Zahl der Wettbewerber, sondern auch die Möglichkeit, Marktchancen wahrzunehmen.

CW: Davon merken Arbeitnehmer wenig. So wurden infolge der Globalisierung viele Arbeitsplätze abgebaut ...

Rexrodt:...die Globalisierung ist nicht Ursache der Arbeitslosigkeit. Nicht zuletzt die hohen Wachstumsraten des Welthandels verdeutlichen eindringlich, daß der Wettbewerb der Standorte keineswegs ein Nullsummenspiel ist, in dem die Gewinne des einen zwangsläufig zu Lasten des anderen gegen. Tatsache aber ist: Wer sich dem veränderten weltwirtschaftlichen Umfeld nicht rasch genug anpaßt, fällt im Wettbewerb der Standorte zurück.