Revival des Rechenzentrums?

Die Geschichte wiederholt sich nicht

22.01.1999
Wiedergeburt des Rechenzentrums, obwohl es in den Unternehmen nie verschwunden ist? Re-Hosting, als wären alle damaligen Argumente gegen die MIPS-Boliden falsch gewesen? Die leicht nebulösen Begriffe bedeuten für die meisten Anwender soviel wie Rückbesinnung auf die Stärken der in Verruf geratenen Großrechner - und ihre Nutzung als Server für neue Applikationen sowie als Träger neuer Kommunikationsschienen.

Von Johannes Kelch

Wen man auch fragt: Seit von Re-Hosting die Rede ist, hat kein einziger Anwender die PCs abgeschaltet, um nach negativen Erfahrungen in Client-Server-Welten reumütig zum Host-Computing zurückzukehren. Vielmehr stellt sich jeder darunter vor, daß Client-Server-Umgebungen und Großrechner gleichberechtigte Welten für unterschiedliche Aufgaben sind - nicht neben-, sondern miteinander.

Arndt Rettich, Systemverantwortlicher bei der Hypo-Vereinsbank in München, spricht sich für die "friedliche Koexistenz" aus. Je nach Aufgabenstellung sei der Großrechner mit Terminals oder die Client-Server-Landschaft die richtige Wahl. Rettich warnt davor, "schwarzweißzumalen". Obwohl er selbst aus der Client-Server-Welt kommt, schätzt der Fachmann den Host aufgrund der einfachen Softwarepflege und des schnellen Einsatzes als "ideales Medium".

Für die Verwaltung der "juristischen und gemeinsamen Datenbestände" einer Bank sei der Host optimal geeignet. Um Bankkonten zu führen und den gleichzeitigen Zugriff mehrerer Personen zu ermöglichen, sei der Großrechner unabdingbar. Andererseits bewähre sich bei dezentralen Entscheidungen die Client-Server-Landschaft als "schnell und gut". Doch soweit noch Kapazitäten frei sind, kann sich der Systemverantwortliche der Hypo-Vereinsbank den Host als zentralen Server gut vorstellen.

Bei der Alten Leipziger Bausparkasse in Oberursel wird der Host als wichtiges Standbein der DV noch lang im Einsatz bleiben. DV- Leiter Ralf Süßler hält ein Plädoyer für den Großrechner: "Der Host bleibt. Kernanwendungen können im wesentlichen nicht abgelöst werden. Man wollte weg vom Host, hat es aber nicht geschafft."

Für Süßler ist diese Bestandsaufnahme nachgerade typisch für mittlere und größere Unternehmen: "Jahrelang hat man sich vorgemacht, daß eine Ablösung des Host durch Client-Server möglich sei. Aber alle Firmen, die traditionell einen Host nutzen, haben ihn noch und werden ihn wahrscheinlich verstärkt einsetzen."

"Es ist ein Irrglaube, daß Client-Server so günstig ist", fährt Süßler fort. Die Softwarelizenzgebühren seien "nur teilweise billiger". Man müsse alle Kostenfaktoren beachten. Der Betrieb eines Host erfordere "keine so komplexe Mannschaft". Das Client- Server-Lager habe weniger und einfachere Wartung versprochen, die alten Systeme habe man als "Wartungsfallen" madig gemacht. Für Süßler täuscht sich so mancher Verfechter der Client-Server-Welt: "Die Kostenersparnis ist nicht eingetreten. Die Wartung ist mindestens genauso schwierig wie auf dem Host."

"Die Welten beißen sich nicht mehr"

Trotz überzeugter Fürsprache für den Großrechner sieht Süßler die Client-Server-Landschaft als "gleichberechtigt" an. Der Host sei das System für die unternehmenskritischen Batch- und Kernanwendungen, Client-Server sei die Plattform für die Office- Palette und kleinere abgegrenzte Anwendungen.

Eine ähnliche Ansicht vertritt DV-Abteilungsleiter Jürgen Schubert vom Energieversorger Pesag in Paderborn: "Die Welten beißen sich nicht mehr." Es komme auf den richtigen Mix an. Der Host verschaffe den Unternehmen Kostenvorteile, für Anwendungen, die Kreativität und Gestaltung erfordern, sei Client-Server die bessere Wahl. Bei der Pesag werden die Jahresverbrauchsabrechnungen der Kunden sowie die Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung auf einer AS/400 gerechnet, während auf einem RS/6000-Cluster mehrere SAP-Module laufen.

Schubert kann sich vorstellen, der AS/400 künftig eine zusätzliche Aufgabe als Internet-Server zu übertragen. Eine seiner Ideen: Die Kunden können am PC in ihrem Browser durch das Ausfüllen spezieller Formulare einfache Mitteilungen wie etwa Umzugsmeldungen erledigen, die entsprechenden Daten werden sodann im Host abgelegt.

Natürlich fühlen sich all jene Anwender bestätigt, die immer von den unersetzbaren Qualitäten des Mainframe überzeugt waren und auch in den Zeiten der schlimmsten Schmähungen unbeirrt Host- Computing betrieben. Klaus-Dieter Wydawka, Abteilungsleiter der Anwendungsentwicklung bei der Deutschen Bundesbank, erklärt: "Wir haben rechtzeitig erkannt, daß Client-Server nicht der alleinseligmachende Weg ist, und sind nie dogmatisch in diese Richtung marschiert."

Wydawka hat auch "eine konsequente Abwendung vom Mainframe nie gesehen und nur in der Literatur davon gelesen". Die neue Debatte sei nicht überraschend. "Trends, die in den Medien und interessierten Kreisen aufkommen, verebben wieder, und dann kommt es zur Gegenbewegung", meint er.

Uwe Hein, DV-Chef bei der Josef Lamy GmbH in Heidelberg, bedauert allenfalls, er könne zum Stichwort Re-Hosting nichts beitragen, weil er nie für eine Client-Server-Landschaft gewesen sei. Er ist von der bewährten Plattform mit stabilen Eigenentwicklungen und Standardanwendungen nicht abgewichen. Entsprechend äußert er großes Verständnis für die Re-Hosting-Debatte. Der Aufwand für die Verwaltung einer Client-Server-Landschaft sei "wesentlich höher" als bei einem Großrechner, so der Lamy-Manager.

Etliche Unternehmen und Organisationen, die traditionell einen Mainframe nutzen, entdecken für ihre Maschine völlig neue Einsatzfelder und sehen in ihrem Altsystem eine Plattform für ein modernes, preisgünstiges DV-Konzept. Re-Hosting bedeutet bei ihnen, weiter mit den Altanwendungen zu leben und zusätzlich über den Host ins Internet zu gehen.

Der Möbelbeschläge-Spezialist Häfele in Nagold hat an seinem Mainframe - ein IBM S/390 mit den Betriebssystemen VM/ESA und VSE/ESA 2.3 - aufgrund der Leistung und Sicherheit immer festgehalten. Firmenintern greifen rund 750 Terminals, PCs und Drucker auf den Host zu.

Seit 1995 haben auch die Kunden Zugang zu dem Großrechner, auf dem neben Eigenentwicklungen jetzt ein Online-Bestell- und Informationssystem läuft. Zwischen Mainframe und WWW ist ein Host- Publishing-System von Attachmate geschaltet, das die Host- Informationen in HTML-Seiten übersetzt.

So genügt dem einfachen Handwerker ein Standard-Browser, wenn er von seinem PC aus mit Benutzerkennung und Paßwort eine Bestellung abgeben möchte. Dies ist rund um die Uhr möglich und kommt den tagsüber auf Baustellen beschäftigten Kleinunternehmern sehr entgegen. Horst Rei- chardt, Leiter Systemtechnik bei Häfele, ist überzeugt von der Web-to-Host-Lösung: "Unser PC-Link-Service hat eine hohe Ak- zeptanz gefunden. Mittlerweile bestellen mehr als 2300 Kunden online, 250 weitere stehen auf der Warteliste. 1997 summierten sich die Online-Abfragen und -Bestellungen auf über 85000."

Ähnlich funktioniert die Online-Bestellung bei der Neckermann Versand AG. Und nicht nur des Volumens wegen eröffnet ein IBM- Mainframe den Käufern im Internet Zugang zum Warenwirtschaftssystem. Das Unternehmen setzt auch auf die überlegene Sicherheit des Systems und der Daten gegen Mißbrauch.

Host-to-Web - was sich bei großen und mittleren Unternehmen durchgesetzt hat, kommt auch für kleinere Organisationen in Frage. Im Institut für medizinische Computerwissenschaft der Universität Wien ist schon seit langem ein Host im Einsatz, der vor etwa zwei Jahren zusätzliche Funktionen als Web-Server übernommen hat. Das heutige System ist ein IBM 2003 mit VME 2.3 als Betriebssystem und den Gastsystemen OS/390 und VSE.

Neben einem selbstgeschriebenen, sehr alten medizinischen Informationssystem und Paketen für die statistische Auswertung von Daten laufen einige Routineapplikationen für Ambulanzen und Kliniken auf dem Großrechner. Für die Verbindung von Host und Web sorgt ein Web-Gateway von Sterling Software. So können die rund 2600 Nutzer von einem PC mit Browser nach Eingabe ihres Paßworts ihre E-Mails abholen.

Christian Reichetzeder, Allroundmann im kleinen DV-Team des Instituts, hebt als zentralen Vorteil des Host die Datensicherung hervor. "Prozesse, Methoden und Automatismen, die über Jahre verfeinert wurden, verursachen im laufenden Betrieb relativ geringe Aufwände." Reichetzeder weiter: "Wir haben keine Zeit, uns monatelang in ein neues System hineinzuknien, um dann das gleiche zu leisten wie am Mainframe."

Auch um Speicherplatz, Software und Backup müsse man sich nicht viel kümmern. Im Host sieht Reichetzeder daher die ideale Maschine für das System-Management durch ein "kleines Team mit zwei bis fünf Leuten". Die Benutzer mit Identifikation und Paßwort seien "sehr komfortabel am Mainframe verwaltbar".

Zurück zum Host? Für ein großes Unternehmen der Prozeßindustrie ist das der Weg in die falsche Richtung. Die Aktiengesellschaft ist der einzige befragte Anwender, der kompromißlos die Abkehr vom Host in Richtung Client-Server betreibt. Nach Auskunft eines leitenden DV-Mitarbeiters, der weder die Firma noch seinen Namen genannt wissen wollte, verfolgt das Unternehmen das Ziel, "den Host im Jahr 2000 abzuschalten". Schon ab Ende 1999 werde man alle "unternehmenskritischen Anwendungen" auf R/3 umstellen, der IBM- Host werde ab 2000 "nur noch marginal genutzt".

Was tun mit den freigewordenen Kapazitäten auf dem Host? Auf diese Frage hat der DV-Fachmann schon eine Antwort. Die Idee, auf dem ausgedienten System die R/3-Datenbank unterzubringen, wird jedoch "nicht ernsthaft betrieben". Ähnliches gilt für die Überlegung, Großrechner als Notes-Domino- oder als Web-Server zu nutzen: "Wir testen das, aber ich glaube nicht, daß wir den Host so einsetzen werden."

Skepsis gegenüber der Bezahlbarkeit einer erweiterten Nutzung des Mainframe äußert Herbert Asanger, Leiter der Systementwicklung beim ADAC in München, obwohl er grundsätzlich dem Re-Hosting aufgeschlossen gegenüberstehe. Er erkennt zum Beispiel im Software-Pricing "ein paar Stolpersteine".

Wer Anwendungen auf den Host übernehme, habe sie normalerweise in einer leistungsstärkeren Umgebung. Das habe nicht selten eine unangenehme Konsequenz: "Softwarehersteller, die nichts tun außer Rechnungen zu schreiben, verlangen 30 bis 40 Prozent mehr Geld." Asanger glaubt, hier liege "eines der größten Hindernisse für Re- Hosting". Es könne deshalb sogar "zum Scheitern verurteilt" sein.

Softige Falle

Nicht nur die Preisgestaltung für PC-Software ist uneinheitlich und manchmal absurd. Wer Anwendungssoftware auf Mainframes bringt und/ oder dafür deren Rechnerleistung noch erhöht, müßte eigentlich wissen, daß derlei auch hier Konsequenzen für die Lizenzgebühren hat. Hohe zusätzliche Softwarekosten bei einer Leistungssteigerung auf dem Mainframe können die Renaissance der Altsysteme gefährden.

Das gestaffelte, maschinengruppenabhängige Software-Pricing ist nach Meinung vieler Anwender eines der größten Hindernisse für eine verstärkte Nutzung der Mainframes in neuen zusätzlichen Einsatzgebieten. Hinter vorgehaltener Hand empfiehlt so mancher den Anwendern, gemeinsam gegen IBM und andere Software- und Systemhäuser Druck zu machen.

Noch bremst das Problem 2000

Mit Wolfgang Auer, Präsident der IBM-Anwender-Vereinigung Guide Share Europe (GSE), führte Johannes Kelch ein kurzes Gespräch.

CW: Was verstehen Sie unter Re-Hosting? Auer: Das ist ein Schlagwort, das die Medien geprägt haben und im Grunde falsch ist, weil es nicht um eine Rückkehr zum Mainframe geht. Wir haben es statt dessen mit einem weitverbreiteten Noch- immer-und-auch-in-Zukunft-Hosting zu tun.

CW: Wie erklären Sie diese Entwicklung? Auer: Es gibt viele Anwendungen, die mit Client-Server nicht zu bewältigen sind oder zu üblen Kosten führen. Die Controller sind da sehr vorsichtig geworden.

CW: Welche neuen Einsatzgebiete sehen Sie für den Host? Auer: Innerhalb der GSE hat sich spontan eine Gruppe von etwa 30 großen SAP-R/3-Anwendern gebildet, die den S/390 nicht nur als Datenbank-, sondern auch als Applikations-Server nutzen wollen.

CW: Heißt die Parole jetzt Web-to-Host? Auer: Das beginnt gerade und beschäftigt viele Anwender. Momentan bremst das Jahr-2000-Problem die Entwicklung. Wenn der zentrale Server an Bedeutung gewinnt, ist absehbar, daß User viele Legacy- Anwendungen Internet-fähig machen wollen.

Johannes Kelch ist freier Journalist in München.