Die geistige Armut im Informationsüberfluß

20.11.1987

Dr. Norbert Szyperski Mannesmann Kienzle GmbH, Villingen

Die Informations-Versorgung mit oder ohne Computerhilfe kann sehr unterschiedlich aussehen. Der eine hat zuviel, der andere bekommt nicht, was er braucht, und der dritte schließlich will eigentlich vieles von dem, was er haben könnte, gar nicht erst haben.

Wer bestimmt eigentlich, wer was an Informationen haben kann, sollte oder gar muß? Wer regelt denn die Informations-Versorgung? Drei grundsätzliche Formen lassen sich aufzeigen:

1. Bei der Informationsrationierung glaubt irgendeiner im Hause zu wissen, was andere, die Informationen nötig haben, an Informationen tatsächlich oder womöglich brauchen. Manchmal sind es die Organisatoren, die sich so weise dünken. Jedenfalls hat man kein so gutes Gefühl, das untere Management mit Informationen zu überschütten. Es geht doch wohl auch zu weit, wollte diese Ebene alles wissen, und wie kämen diese operativen Manager eigentlich noch zum Arbeiten, wenn sie das alles aufnehmen müßten! Es gibt also schon gute Gründe zum Rationieren. Dem wäre auch kaum zu widersprechen, träfe man den Informationsbedarf in dessen Kern. Dieser ist aber in den meisten Fällen nicht stabil, von dem jeweiligen Problem abhängig und wird nicht zuletzt auch durch die hoffentlich erkennbaren Fortschritte modifiziert.

Häufig achtet man leider nicht darauf, sondern nimmt ihn als stabil, klar fixiert und wenig redundant an. Die Informationsration wird dementsprechend zugeschnitten und zugeteilt. Viele Unternehmungen leben zum Beispiel auf der Meisterebene eigentlich nur noch deshalb, weil die tüchtigen Männer und Frauen in den Werkstätten und Werkhallen schon wissen, wo sie sich ihre notwendigen Informationen besorgen können. Täten sie dies nicht, so würde die Meisterebene nicht selten informationell austrocknen: Das falsche Informationsangebot erreicht sie offiziell zur rechten Zeit, die richtigen, weil brauchbaren Informationen zur falschen Zeit. Ein altes Problem der bürokratischen Lenkung. Wir glauben es nur aus Zentralverwaltungswirtschaften zu kennen.

2. Ganz anders sieht es auf den Topebenen aus. Die Informationen werden durch Nachfrage der Manager gesteuert. Der Chef - oder wer sich so fühlen darf - hat schließlich einen freien, klaren Schreibtisch zu haben. Er will nur wenige Informationen. Er denkt nicht daran, Listen, ausführliche Aufstellungen, lange Ausführungen, wo immer sie auch herkommen mögen, zu lesen. Informationsbeschränkung durch gezielte Nachfrage.

Aber das kann man natürlich nicht allen Managern im Hause gewähren. So bleiben viele Informationen, die weder zugeteilt noch bewußt nachgefragt werden, leicht unbeachtet. Das muß verhindert werden. Darum greift man zum dritten Prinzip.

3. Irgendwo in jeder Hierarchie gibt es eine Schwelle, die durch einen erbarmungslosen Informationsanfall gekennzeichnet ist. Informationsüberfluß als Alltagsproblem. Wichtige und unwichtige, eilige und nicht eilige, formalisierte und nicht formalisierte, interne und externe Informationen werden hier meist auf der Ebene des gehobenen Managements abgeladen.

Die Organisation braucht schließlich ein Alibi: Sie kann entstehende, eingehende Informationen nicht einfach unterdrücken. Wo bleiben sie also? Nicht zugeteilt und nicht nachgefragt! Sie werden dem mittleren und gehobenen Management auf der Schreibtisch gekippt. Informationsüberfluß! Doch wie im Schlaraffenland, so weiß man auch hier nicht, in welche gebratene Taube man denn nun wohl beißen soll. Mangel im Überfluß!

So realisiert sich eine eigenartige Konfliktsituation: Jene, die die Informationen nicht bekommen, möchten sie haben; die sie bekommen könnten, möchten sie nicht; und die sie am Ende bekommen, können sie nicht gebrauchen. Geistige Armut im Informationsüberfluß.

Und nun setzen wir Datenverarbeitungsanlagen ein, nutzen wir Computer für eine erhöhte Textkommunikation, bauen computergestützte Kommunikationsnetze auf, und was erreichen wir? Es werden noch mehr Informationen noch schneller (und vielleicht schöner geschrieben) produziert und zur Verfügung gehalten. Kurzum, wir helfen den Falschen. Und was noch viel schlimmer ist, wir helfen auch noch falsch. Resignation oder heiliger Zorn? Ergebenheit in das technisch Unausweichliche oder Kampf der sich aufblähenden und selbstgefälligen Informationsflut? Anker werfen ohne Grund, bestenfalls Treibanker?

Besonnenheit ist schon vonnöten! Die technologische Entwicklung kann's nur noch schlimmer werden lassen, muß es aber nicht. Die Verantwortlichen müssen sich auf ihre eigenen Tugenden besinnen: Nutzen guter Chancen, Meiden zu großer Gefahren und Disziplinhalten im Umgang mit den Mitteln. Ist das denn so schwer? An sich nicht, wenn man nur wüßte, wo die Chancen liegen, welche Gefahren bestehen und wie man mit den Mitteln umgehen kann.

Ein von Informationstechnologie getriebenes Management läuft sicher in die Irre, eins, das die Informationstechnologie ignoriert, auch. Wenn es an dem ist, dann muß die Nutzung dieser Technologie eben besser, mündiger, das heißt effektiver und effizienter gemanagt werden.

Ein spezielles Management muß dafür sorgen, daß die Informations-Ressourcen erkannt, die Informations- und Kommunikationssysteme zweckgerecht ausgewählt und wirksam entwickelt werden, der System-Betrieb auf die menschlichen Akteure ausgerichtet und wirtschaftlich durchgeführt wird und daß die Informationen "an den Mann" gebracht werden. Das sind viele Aufgaben. Wer sie auch immer wahrnehmen mag, sie reichen für verschiedene Managementfunktionen aus. Als Merkposten wollen wir daher zwischen dem

- Informations-Ressourcen-Management,

- Informations-Systementwicklungs-Management,

- Informations-Systembetrieb-Management und

- Informations-Marketing-Management

unterscheiden.

Du meine Güte, ist das kompliziert! Wie immer, wenn man etwas so richtig ernst nimmt. Muß man das aber? Eigentlich nicht, meist reicht es schon aus, wenn man weiß, daß es so ernst werden kann.

Aus: "Über die Steintafel hinaus!" Zwölf Themen zu Computer und Kommunikation (10. Management der Informationsversorgung), Herrn Professor Dr. Erich Potthoff, anläßlich seines 65. Geburtstages im festlichen Kreise vorgetragen, erschienen im Poeschel Verlag, Stuttgart.