Thema der Woche/Banken zittern vor der Währungsumstellung

Die Finanzwirtschaft investiert ohne Euro-Garantie

16.08.1996

Viele Geldinstitute versuchen derzeit herauszufinden, welche Geschäftsprozesse, organisatorischen Abläufe und DV-Systeme von der Einführung des Euro betroffen sind. Sämtliche Zahlungs-, Rechnungslegungs- und Abwicklungsverfahren sind umzustellen, und zwar so rechtzeitig, daß ab 1999 nationale Währung und - als Buchwährung - das Eurogeld gleichermaßen unterstützt werden können.

IT-Hersteller und -Dienstleister frohlocken bereits ob der zu erwartenden Einnahmen. Neben den aufwendigen Datumsumstellungen zum Jahr 2000 steht ihnen mit der Einführung der EU-Währung ein zweites einträgliches Zusatzgeschäft in Aussicht.

Die Debis Systemhaus GmbH beispielsweise hat eigens ein Competence-Center namens "Eurolab" geschaffen, das nicht allein den Banken Tools und Vorgehensmodelle für die Euro-Einführung anbietet. Es erlaubt ferner die Analyse der gegenwärtigen Geschäftsprozesse daraufhin, ob sie von der Euro-Einführung tangiert sind. Auch die Alldata Banken-Orga GmbH, Stuttgart, hat sich mit einem neuen Programmpaket auf das Thema vorbereitet.

IBM empfiehlt EWU-Verschiebung

Mit einer Schocktherapie geht die IBM den noch jungen Markt an. Big Blue adressierte präventiv eine Warnung an die Banken: Werde bei der Einführung der Einheitswährung geschlampt, sei ein Vertrauensverlust seitens der Kunden die Folge, schlimmstenfalls sogar das Ausscheiden aus dem Markt. An die Politiker richtete IBM den Vorschlag, mit der Europäischen Währungsunion (EWU) deutlich später als 1999 zu beginnen - andernfalls würden gerade unter den kleineren Privatbanken viele Opfer zu beklagen sein. Überbringerin dieser schlechten Nachrichten war die "Financial Times".

Die meisten Geldinstitute halten diese düsteren Prophezeiungen für überzogen hier werde ein Problem hochgespielt, weil Dienstleister und Software-Anbieter Kapital aus der Verunsicherung der Kunden schlagen wollten. Dennoch bestreiten auch die Finanzhäuser nicht, daß die Aufgabe hochkomplex ist.

Auf der Hardwareseite, so berichtet der in Bonn ansässige Bundesverband deutscher Banken, betrifft die Umstellung den gesamten kartengestützten Zahlungsverkehr - also Geldautomaten, Electronic-Cash-Terminals, Kontoauszugsdrucker, Kassenautomaten und andere Geräte. Tangiert sind auch Systeme für die Kommunikation nach außen: Systemverbindungen zu Großkunden, Swift-Verbindungen zu Korrespondenzbanken etc.

Am schwersten wiegt jedoch die Prüfung und bedarfsweise Anpassung vieler tausend selbstentwickelter Anwendungen. Über die Komplexität dieser Aufgabe entscheiden die Datenstrukturen, die noch immer zu einem großen Teil in herkömmlichen File-Systemen abgebildet sind. Syste- me, die schon jetzt veraltet sind, müssen durch Felderweiterungen und die Einfügung von Währungskennzeichen erheblich angepaßt werden. Vieles hängt also von der Wartungsfreundlichkeit und Dokumentation der Programme ab.

Wichtig für den zu erwartenden Aufwand in der Doppelwährungsphase, die nach heutigem Stand der Dinge von Januar 1999 bis Ende Juni 2002 dauern soll, ist auch die Frage, ob die Programme bereits mehrwährungsfähig sind. Ist das der Fall, lassen sich Geschäftsvorfälle unabhängig von der Buchwährung in einer Transaktionswährung bearbeiten.

Solche Systeme sind in der Praxis jedoch eher die Ausnahme. Wie Michael Reichhardt, Mitglied der Projektleitung Währungsunion in der Frankfurter SGZ Bank AG, berichtet, akzeptieren auch die Interbankensysteme (Clearing-Systeme) in der Regel nur eine Währung.

Mehrwährungsfähigkeit ist denn auch das Ziel, das viele Banken zunächst verfolgen, wenn sie ihre Systeme auf den Euro vorbereiten. "Wir ziehen heute all die Maßnahmen durch, die dauerhaften Wert haben. Dazu gehört vor allem die Mehrwährungsfähigkeit", beschreibt Egon Bechtel, Vorstandsmitglied der Rechenzentrale Bayerischer Genossenschaftsbanken (RBG) in München, das Procedere.

Vor allem in kleineren Privatbanken stellt sich indes die Frage, ob der Aufwand, sämtliche Applikationen anzupassen, überhaupt sinnvoll ist und bewältigt werden kann. Outsourcing und der flächendeckende Einsatz von Stan- dardsoftware gelten als Alternative. Die Institute hoffen, so die Komplexität der erforderlichen Maßnahmen reduzieren zu können.

"Die Währungsunion bietet die einzigartige Chance, veraltete Lösungen auszutauschen", meint beispielsweise Manfred Seyfried, verantwortlicher Direktor für Banken und Versicherungen bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little in Wiesbaden. Der Zeitpunkt sei günstig, um einen Schlußstrich unter die Ära einer wenig effektiven und sehr teuren Individualentwicklung zu ziehen. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein da.

Auch Verbände und Hersteller raten den Banken, ihre Anwendungsbestände genauestens daraufhin zu untersuchen, ob sie sich nicht durch moderne Branchenlösungen ersetzen lassen. So wäre nicht nur das Euro-Problem, sondern auch der Jahrtausendwechsel keine unlösbare Aufgabe mehr - wenngleich es ein Irrtum sei zu glauben, es gebe die perfekte Paketlösung, die jeden individuellen Anpassungsaufwand überflüssig mache.

In der Tat ist die IT-Anpassung keine Aufgabe, die sich binnen eines halben Jahres erledigen läßt. Der Prozeß der Währungsumstellung zieht sich über viele Jahre hin und mit ihm die DV-Umrüstung.

Anfang 1998 fällt voraussichtlich die Entscheidung, welche Länder die Konvergenzkriterien in puncto Inflationsrate, Nominalzinssatz, Staatsfinanzen und Kursstabilität erfüllen und damit an der Währungsunion teilnehmen. Da sich bereits im Januar 1999 die zweite Phase anschließen soll, in der die Wechselkurse fixiert werden und das Eurogeld als Buchwert zur Verfügung steht, ist die Zeit für erste Korrekturmaßnahmen knapp bemessen.

Phase zwei, in der die Banken beide Währungen berücksichtigen und ihre Geschäftsprozesse mit denen einzelner Kunden in Einklang bringen müssen, dauert dreieinhalb Jahre und gilt als besonders kritisch.

Theoretisch können die Geldinstitute selbst entscheiden, wie schnell sie die Eurowährung innerhalb der bei ihnen wichtigen Doppelwährungsphase vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2002 adaptieren. Doch kaum ein Institut wird es sich leisten mögen, die Wünsche großer, internationaler Firmenkunden bezüglich der neuen Währung abzuschlagen.

"Multinationale Konzerne werden den Euro verwenden wollen", ist sich SGZ-Projektleiter Reichhardt sicher. Das aber bedeute, viele mittelständische Zulieferbetriebe würden ebenfalls auf die neue Buchwährung umsteigen. Letztendlich müsse also jede Geschäftsbank von 1999 an in der Lage sein, Transaktionen sowohl in nationaler als auch in Euro-Währung abzuwickeln.

Banken, die jetzt damit beginnen, ihre DV-Systeme umzurüsten, müssen damit rechnen, daß sich mancher Eingriff im nachhinein als überflüssig erweist. Denn das Umstellungsprojekt muß Währungen von Ländern mit einbeziehen, die den Euro entgegen ihren Plänen möglicherweise noch gar nicht einführen können.

Weiterer Aufwand entsteht für die DV-Mitarbeiter, wenn auch die Nachzügler der EU die Konvergenzrichtlinien einhalten und ebenfalls mit der Umstellung beginnen können. Und schließlich muß in der ersten Hälfte des Jahres 2002 auch noch der Bargeldumtausch über die Bühne gehen. Dazu ist nicht nur die Kundenberatung zu optimieren, sondern es müssen auch Automaten umgerüstet und vielfältige Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.

Juristische Unklarheiten wirken sich zusätzlich negativ auf die DV-Planung aus, wie Währungsexperte Reichhardt von der SGZ berichtet. Zur Zeit sei noch völlig offen, ob der Euro ab 1999 eine rechtlich eigenständige Währung sei, die neben der Mark existiere, oder ob die Mark in der Übergangsphase als Ausprägung des Euro behandelt werden müsse.

Daraus ergäben sich Ansprüche der Kunden, Zahlungen in einer bestimmten Währung zu erhalten oder nachgewiesen zu bekommen. "Es ist praktisch nicht möglich, auf einer gesicherten Grundlage die Kontenführung zu programmieren", moniert Reichhardt.

Auch bei den Gebührenregelungen für den Inlands- und Auslandszahlungsverkehr gibt es Regulationsbedarf, wie RBG-Vorstand Bechtel ergänzt: "Ist ein Euro-Transfer nach Frankreich gebührentechnisch als Inlandszahlung zu behandeln?" Vor allem das Meldewesen zur Bundesbank hin sei bisher nicht in allen Details geklärt.

Trotz solcher Unwägbarkeiten befürchten rund 90 Prozent der Banken nicht, ihre IT-Infrastruktur könne unter der Last der Umstellung zusammenbrechen, berichten die Marktforscher von IDC. Eine mangelnde Einschätzung des Problems könnte eine Ursache dafür sein. Bisher hat nämlich nur die Hälfte der Finanzinstitute eine konkrete Strategie entwickelt, wie die Währung anzupassen ist. Nicht einmal ein Viertel konnte bis dato die zu erwartenden Kosten ermitteln.

Bunt und widersprüchlich sind denn auch die Schätzungen, die durch die Medienlandschaft geistern. Die Deutsche Bank rechnet laut "Financial Times" mit Euro-Investitionen von 450 bis 500 Millionen Mark - eine Summe, die auch die britische Barclays Bank für realistisch hält.

Die Frankfurter Commerzbank AG veranschlagt maximal 200 Millionen Mark, während der Sparkassenverband einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge mit einem Gesamtaufwand von zwei bis drei Milliarden Mark rechnet. Die Genossenschaftsbanken sollen dieser Quelle zufolge sogar von vier Milliarden Mark Umstellungskosten ausgehen.

Relativ bescheiden nimmt sich die Schätzung der Bayerischen Vereinsbank AG aus, die nach Angaben von Vorstandssprecher Albrecht Schmidt mit 150 Millionen Mark kalkuliert. Diese Schätzung sei noch ungenau, so der Topmanager gegenüber dem "Blick durch die Wirtschaft", ein Budget gebe es bisher nicht. Abweichungen von rund 25 Millionen Mark hält Schmidt für möglich. Auch der Gerling-Konzern hat sich in die Kostendiskussion eingeschaltet: Über fünf Jahre müßten 0,3 bis 0,5 Prozent der eingenommenen Versicherungsprämien für die DV-Umstellung einschließlich Mitarbeiterschulung, Kundeninformation und Formularaustausch aufgebracht werden.

"Wenn man eine Quantifizierung der Kosten vornehmen wollte, würde wohl das Gros auf die DV entfallen, gefolgt von Schulungs- und Kundeninformationsmaßnahmen und der Anpassung organisatorischer Abläufe", analysiert Reichhardt. Teuer sei vor allem die Doppelwährungsphase, die von den meisten Banken eher unwillig akzeptiert werde.

Lieber hätte man die Umstellung der nationalen Währungen auf den Euro in einem Big-Bang-Verfahren durchgeführt, dann allerdings zu einem späteren Zeitpunkt als Januar 1999. RBG-Vorstand Bechtel rechnet sogar vor, daß der Aufwand für ein solches Vorgehen nur etwa ein Viertel des jetzt erforderlichen betragen hätte.

Zu den Kosten kommen unvermeidliche geschäftsstrategische Überlegungen. Banken und Versicherungsgesellschaften müssen grundsätzlich darüber nachdenken, wie sie sich künftig präsentieren wollen. Konkurrenten aus anderen europäischen Ländern treten in den Markt ein, und branchenfremde Wettbewerber werden zu einer zusätzlichen Konkurrenz, da sie neue Vertriebskanäle und Abwicklungswege beherrschen. Auch ändert sich die Geschäftstätigkeit selbst, da beispielsweise das Devisengeschäft teilweise wegfällt, während der grenzüberschreitende Euro-Zahlungsverkehr zunimmt.

Folgerichtig überlassen die Volks- und Raiffeisenbanken die geschäftspolitische Steuerung der Währungsumstellung einem hochkarätig besetzten Projektführungsteam. Vorstandsmitglieder aus dem Bundesverband Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), den diversen Rechenzentralen, der DG Bank, den regionalen Zentralbanken und den Verbundunternehmen überlegen dort, wie die Weichen zu stellen sind.

Projektteams analysieren die Programme

Unterhalb der Führungsebene befassen sich gemischte Projektbegleitteams mit der fachlichen Steuerung der Aufgabe. Sie analysieren sämtliche Geschäftsbereiche der Banken einschließlich der Datenverarbeitung im Detail. Die betriebsorganisatorischen Fragestellungen reichen von den Prozeßanpassungen über die Korrektur von Programmen bis hin zur Neuausrichtung von Geräten (Geldautomaten, Kassentresore, Kartenleser etc.) und Formularen.

Alle Ergebnisse werden in Pflichtenheften niedergeschrieben, die Ende dieses Jahres vorliegen sollen - sofern es keine weiteren Überraschungen von seiten der Politik gibt. In diesem Forum wird auch beschlossen, wie die Mitarbeiter geschult und Kunden informiert werden sollen.

Den Euro mit all seinen Auswirkungen als Vorstandsthema mit hoher Priorität zu behandeln ist nach Meinung von Branchenkennern absolut zwingend. "Es wäre töricht, wenn eine Bank dieses Thema ihrem Org./DV-Chef überlassen würde", warnt Arthur-D.-Little-Direktor Seyfried.