Warenwirtschaftssystem mit Unix-Rechnern im Netzverbund:

Die Filialen hängen an der langen Leine

12.02.1988

Computergestützte Warenwirtschaftssysteme spielen heute im Handel eine entscheidende Rolle. Besonders im Selbstbedienungsbereich ist ein genauer Überblick über die Waren wichtig. Die Selgros GmbH, ein Unternehmen des Lebensmittelgroßhandels mit Sitz in Neu-Isenburg, setzt bei der Bewältigung dieser Aufgaben Unix-Rechner ein.

Handelsunternehmen investieren heute sehr viel Zeit und Geld, um die Steuerung des Warenflusses zu verbessern. Ziel ist ein geschlossenes Warenwirtschaftssystem. Ein solches System soll jederzeit einen vollständigen Überblick über die aktuellen Lagerbestände aller Artikel liefern und Basis für die Steigerung der Erträge sein. Dazu müssen alle Wareneingänge und Warenausgänge artikelgenau registriert werden.

Ein Anwender eines solchen geschlossenen Warenwirtschaftssystems ist die Selgros GmbH, ein Cash-and-Carry-Großhandelsunternehmen mit sieben Filialen und Hauptsitz in Neu-Isenburg. Dieses Unternehmen hat für sein Warenwirtschaftssystem ein Computernetz mit dezentralen Mikrocomputern in den Filialen aufgebaut. Auf die Rechner dieses Netzes werden die Funktionen des Order-Pools und des Warenausgangs aufgeteilt.

Dispo-Listen werden automatisch generiert

Im Order-Pool werden aus den aktuellen Lagerbeständen automatisch die Dispo-Listen generiert. Nach einem Vergleich mit den tatsächlich vorhandenen Beständen durch den Disponenten in der Filiale entstehen daraus die Bestellungen und Wareneingangsscheine. Beim Vergleich der gelieferten Waren mit den Wareneingangsscheinen werden Abweichungen erfaßt und im System gespeichert. Dort werden diese Daten dann von der Finanzbuchhaltung zum automatischen Abgleich mit den Lieferantenrechnungen verwendet. Da in der Mehrzahl der Geschäftsvorfälle Lieferantenrechnungen und gespeicherte Daten übereinstimmen, wird die Buchhaltung durch diesen automatisierten Abgleich erheblich entlastet.

Die Warenausgänge erfaßt man bei Selgros artikelgenau im Preis-Look- up-Verfahren. An der Check-out Line registrieren die Kassiererinnen jeden Artikel über die Artikelnummer an Bildschirmarbeitsplätzen, im zentralen Kassenbüro werden Rechnungen ausgedruckt. Außerdem stellt Selgros auch Waren zu. Über das System werden nach den Kundenaufträgen Kommissionierscheine erstellt, die nach der Zusammenstellung der Kundenkommission ohne nochmalige Artikelerfassung in Ausgangsrechnungen der Zustellabteilung umgesetzt werden können. Änderungen der Rechnungsinhalte sind je nach Warenpräsenz möglich.

Für die Aufgaben der Warenwirtschaft hat man die Datentechnik gesplittet in Zentral-Datenbank und Wareneingangs-Datenbank, die beide in der Zentrale des Unternehmens auf einem Rechner NCR V-8569-II geführt werden. An dieses zentrale System waren vor Aufbau des Netzverbundes alle Filialen durch Standleitungen angeschlossen. Unter dieser Konstellation wurde das zentrale System von den Filialen durch zwei verschiedene Online-Jobs belastet; zudem war dieses System anfällig für Störungen der Standleitungen oder des Zentralsystems. Bei einem Ausfall einer dieser Komponenten konnten die Warenausgänge nur noch behelfsmäßig über mobile Datenerfassungsgeräte erfaßt werden und bedurften somit der Nachfakturierung. Als Konsequenz aus dieser Situation fing man 1984 an, über die Auslagerung von Teilen der Datenbank und die Installation dezentraler Systeme nachzudenken. Durch eine Verlagerung der Funktionen des Kassenbereiches vom Zentralrechner auf die Mikrocomputer wollte man nun den Zentralrechner entlasten und nur im Back-up-Fall auf diesen umschalten.

Für diese Back-up-Lösung wurde von NCR vorgeschlagen, in den Filialen Tower-Mikrocomputer zu installieren. Der Tower wurde ausgewählt, da er ein kompaktes, mehrplatzfähiges System mit dem Standard-Betriebssystem Unix ist.

Auf den dezentral eingesetzten Mikrocomputern befindet sich die Artikelstammdatei für 45 000 Artikel und die Kundendatei für alle Betriebsstätten. An der mit Bildschirm ausgestatteten Check-out-Line werden die Kundennummern und die Artikelnummern von der Fakturistin eingegeben. Die Preise werden im Preis-Look-up-Verfahren von der Winchester-Disk des Tower gelesen. Anschließend werden die Rechnungen im Kassenbüro ausgedruckt, wo der Kunde auch die Rechnung begleicht.

An den Mikrocomputer ist auch ein Waagesystem angeschlossen, über welches die Preisauszeichnung von Gewichtswaren im Online-Zugriff auf die Artikel-Datei möglich ist. Außerdem werden in der Abteilung Fleisch-Bedienung je Kunde Lieferscheine erstellt und an das System abgegeben. Anhand der Lieferscheinnummer ruft die Fakturistin den Fleischlieferumfang an den Kunden bei der Rechnungserstellung am Cheek-out ab, um so Manipulationen vorzubeugen.

Durch den Einsatz der dezentralen Rechner konnte die Back-up-Situation für die Warenausgangserfassung erheblich verbessert werden. Diese Funktionen werden heute dezentral auf dem Tower bearbeitet; bei einem Ausfall kann auf das Zentralsystem umgeschaltet werden.

Außerdem konnte durch den Einsatz der dezentralen Systeme das Zentralsystem von den Online-Jobs der Filialen entlastet werden. Die Kosten für die Standardleitungen konnten erheblich reduziert werden. Da man nicht mehr auf die ständige Verfügbarkeit der Standardleistungen angewiesen ist, wurde das bisherige Konzept der separaten Standleitungen zu jeder Filiale aufgegeben.

Heute benutzt man nicht mehr direkte Leitungen zu den entfernter liegenden Filialen, sondern verbindet sie nur noch indirekt mit der Zentrale über andere Filialen.

Indirekte Verbindung mit der Zentrale

Außer diesen Einsparungen von Leitungskosten konnte durch den dezentralen Einsatz der Tower auch das Zentralsystem wesentlich entlastet werden. Der Einsatz der dezentralen Systeme hat sich äußerst positiv auf die zentrale DV-Abteilung ausgewirkt, die nun zentrale Aufgaben und zukünftige Erweiterungen besser bewältigen kann. Dennoch behält sie über die zentral installierten Operatorkonsolen die operatorlos arbeitenden Filialen an der Leine. Kosten für DV-Fachpersonal fallen bei Selgros GmbH deshalb nur in der EDV-Zentrale in Neu-Isenburg an.

Der NCR Tower ermöglicht neben dem Anschluß des Waagesystems durch seine offene Systemarchitektur und die Verwendung von Industriestandards eine große Palette weiterer Rationalisierungsmöglichkeiten. Zur Zeit stellt man bei Selgros von der internen Artikelnummer auf die EAN-Auszeichnung um und wird in Kürze die Fakturierungsplätze mit vertikal aufgestellten Scannern und Handlesern ausstatten.

Im Zusammenhang mit der Umstellung auf EAN wird man in Zukunft bei der Verprobung von Waren und beim Wareneingang mit mobilen Datenerfassungsgeräten arbeiten. Die mit den MDE-Geräten erfaßten Daten können in den Tower eingelesen werden. Damit werden auch Funktionen des Wareneingangs zum Zentralsystem auf den Tower ausgelagert. Durch den Einsatz der MDE-Geräte lassen sich ebenfalls erhebliche Zeiteinsparungen bei der Inventur erzielen und Ungenauigkeiten ausräumen.

Der Einsatz der dezentralen Tower Mikrocomputer stellt sich für Selgros heute so dar: Neben direkt zurechenbaren Einsparungen konnten indirekte Rationalisierungsvorteile im Warenwirtschaftssystem erzielt werden. Durch die offene Systemarchitektur lassen sich an den Tower eine Vielfalt von Peripheriegeräten anschließen, die auch in Zukunft zu weiteren Verbesserungen des Systems führen werden.

Holger Schmied ist EDV-Anwendungsentwickler bei der Selgros GmbH, Neu-Isenburg.