IT-Trends/Große IT-Anbieter suchen kleine Kunden

Die Entdeckung des Mittelstands

17.10.2003
Der Kuchen ist groß und begehrt, doch an die Stückchen ranzukommen ist nicht einfach. Mit Firmenkäufen versuchen große IT-Anbieter, Marktanteile im Mittelstand zu ergattern.Von Manfred Buchner*

Die Summe ist eindrucksvoll: 28,5 Milliarden Euro investieren Deutschlands Mittelständler 2003 in Informations- und Telekommunikationstechnik (ITK). Das fand das Kasseler Marktforschungsunternehmen Tech Consult bei einer Befragung von 800 mittelständischen Anwendern heraus. Zum Vergleich: Großunternehmen geben hierzulande in diesem Jahr mit 35 Milliarden Euro nicht allzu viel mehr für ihre ITK-Systeme aus. Bei IT-Investitionen von insgesamt rund 64 Milliarden Euro kommen damit immerhin 44 Prozent der Ausgaben von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).

Attraktiv ist der Mittelstand jedoch nicht nur aufgrund der Investitionssumme, sondern auch wegen der Wachstumsaussichten. Nach der Stagnation im vergangenen Jahr rechnet Andreas Zilch, Analyst bei Tech Consult, für 2003 mit einem Umsatzplus von immerhin 1,3 Prozent in der gesamten IT-Branche, der Mittelstand legt mit 1,7 Prozent überdurchschnittlich zu. Für 2004 prophezeit der Analyst in diesem Segment sogar ein Wachstum von 2,2 Prozent.

Kein Wunder, dass sich auch bislang vor allem auf Großkunden ausgerichtete Anbieter für dieses Marktsegment interessieren und damit der "bisher vernachlässigte Mittelstand in den Fokus rückt", wie Zilch feststellt. Wie das Amen in der Kirche taucht dabei die immer wieder diskutierte Frage auf, nach welchen Größenklassen der Mittelstand eigentlich definiert ist.

Die erwähnte Studie ging von einer Mitarbeiterzahl zwischen eins und 499 aus, obwohl nach Ansicht des Autors "die gängige Mittelstandsdefinition auf Unternehmen von 20 bis 499 Mitarbeiter zutrifft". Diese Einteilung wird sich ab 2005 grundlegend ändern und macht das statistische Mittelstandswirrwarr perfekt, denn dann tritt die von der Europäischen Kommission am 6. Mai 2003 verabschiedete KMU-Definition in Kraft (Empfehlung des Rates 96/280/EG), die in den EU-Mitgliedsstaaten, bei der Europäischen Investitionsbank und den Europäischen Förderrichtlinien gelten wird. Künftig liegt danach die KMU-Obergrenze bei 249 Mitarbeitern. Die Gruppe der mittelgroßen Unternehmen mit 250 bis 500 Beschäftigten, bislang in der EU-Statistik vorgesehen, fällt dort dann weg. (Weitere Informationen dazu unter http://europa.eu.int/comm/enterprise/enterprise_policy/sme_definition/index_en.htm).

Die neue Definition der EU

Die neue Einteilung, die den EU-Beihilfe- und Fördergrundsätzen zugrunde liegen wird, sieht drei Gruppen von Mittelständlern vor:

- Kleinstunternehmen: bis neun Mitarbeiter, Umsatz oder Bilanzsumme bis zwei Millionen Euro;

- kleine Unternehmen: bis 49 Mitarbeiter, Umsatz oder Bilanzsumme bis zehn Millionen Euro;

- mittlere Unternehmen: bis 249 Mitarbeiter, Umsatz bis 50 Millionen Euro oder Bilanzsumme bis 43 Millionen Euro.

Das Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim hat ermittelt, dass sich die insgesamt 2,92 Millionen umsatz-steuerpflichtigen Unternehmen (Angabe des Statistischen Bundesamts 2001) in Deutschland nach den neuen Kriterien wie folgt verteilen:

> Kleinstunternehmen: 94,3 Prozent = 2 754 000 Millionen;

> kleine Unternehmen: 4,4 Prozent = 128 500;

> mittlere Unternehmen: 1,0 Prozent = 29 200.

Die neue KMU-Definition der EU hat zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf den IT-Markt, doch macht sie das Dilemma deutlich, vor dem die Anbieter in diesem Marksegment stehen: die große Masse an Klein- und Kleinstfirmen und die relativ geringe Menge an mittleren, mit mehr Finanzkraft ausgestatteten Unternehmen. Tech-Consult-Analyst Zilch beschreibt das generelle Problem für die Anbieter: "In der Vergangenheit wurde häufig unterschätzt, dass mittelständische Anwender oft sehr ähnliche Anforderungen haben wie Großunternehmen - bei deutlich anderen Entscheidungsprozessen und in der Regel niedrigeren Budgets." Auf einen Nenner gebracht heißt das für die IT-Anbieter: hoher Aufwand bei geringem Umsatz. Ein Blick auf die Mittelstandsinitiativen von IT-Anbietern zeigt denn auch einen starken Drang zu den größeren "Mittelstandsunternehmen", während für die kleinen KMUs nur selten Lösungen geboten werden.

Für einige Anbieter, wie beispielsweise IDS Scheer, gilt das nur bedingt. Bereits im Jahr 2000 machten die Geschäftsprozessspezialisten einen ersten, großen Schritt in den Mittelstandsmarkt. Hintergrund: Mit dem Erwerb des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Acqra gehörten auch Unternehmen mit 40 bis 50 Mitarbeitern zur Kundschaft. Ein weiterer wichtiger Schritt war der Kauf der französischen Groupe Expert und die Übernahme des Osteuropa- und Nordamerika-Geschäfts von Plaut. Nach Angaben von Vorstandssprecher Ferri Abolhassan gehören zu IDS Scheer inzwischen "300 Kunden in der Umsatzklasse bis 500 Millionen Euro".

Mittelstandsinitiative von den USA aus, obgleich doch Deutschland als Heimstätte des Mittelstands gilt. Für Abolhassan gibt aber gerade das im Hinblick auf die vielen kleinen Mittelstandsbetriebe Sinn, denn "hierzulande ist der Mittelstand eine sehr komplexe Kundengruppe, die individuelle Beratung mit Branchen-Know-how erwartet. Anders ist das in den USA. Dort sind pragmatische und schnell einzuführende, standardisierte IT-Lösungen mit Referenzmodellen gefragt."

Im deutschen KMU-Markt sind für IDS Scheer die Mittelstandslösungen der SAP der wichtigste Orientierungspunkt. Dort will Hans-Jürgen Uhink, für das SAP-Mittelstandsgeschäft verantwortlich, "künftig bis zu 20 Prozent des SAP-Umsatzes mit kleinen und mittleren Unternehmen generieren". Zwei ERP-Produktlinien bieten die Walldorfer dazu an:

- "SAP Business One". Die von der israelischen Topmanage übernommene Software soll kleinen bis mittleren Unternehmen schlüsselfertiges ERP mit schneller Einführung ermöglichen.

- "Mysap All-in-One" wird mittelständischen Unternehmen mit brachenspezifischen Geschäftsabläufen als betriebswirtschaftliche Komplettlösung offeriert, wobei nach SAP-Angaben 80 Branchenlösungen verfügbar sind.

Ein spezieller Mittelstandsnutzen

Mit der kürzlich angekündigten Mehrheitsübernahme an dem Mannheimer ERP-Mittelstandssoftwarespezialisten DCW kann SAP den KMU-Kundenkreis um rund 900 Firmen aufstocken.

Auch Microsoft verstärkt nach der Übernahme der ERP-Anbieter Great Plains und Navision sein Engagement im Mittelstand. Bereits vor zwei Jahren wurde dafür ein Geschäftsbereich gegründet; seit wenigen Wochen ist ein eigenes Mittelstandsportal in Betrieb (www.microsoft.com/germany/Mittelstand/). Mit dem zum Dezember angekündigten Start CRM-Lösung "Microsoft Business Solutions Customer Relationship" im deutschen Markt zielen die Redmonder nach Angaben von CRM-Produkt-Manager Eduard Dell auf Firmen mit 25 bis 500 Mitarbeitern, während Kleinunternehmen (bis 24 Mitarbeiter) der Einsatz des neuen "Business Contact Manager" von "Outlook 2003" für das Kunden-Management empfohlen wird.

Mit Peoplesoft betritt nach der Übernahme des ERP-Spezialisten J.D. Edwards ein neuer großer Player den Mittelstandsmarkt. Marketing Manager Stephan Vanberg sieht als Zielgruppe für das Mittelstandprodukt "Enterprise One" - es besteht im Wesentlichen aus dem Softwaresystem "J.D. Edwards 5" (mit Bausteinen für ERP, CRM, BI, SRM, SCM etc.) - Unternehmen zwischen 30 Millionen und zwei Milliarden Euro Umsatz. Wie die Geschäfte von J.D. Edwards bei Peoplesoft integriert werden, wird noch diskutiert.

Auf jeden Fall kann sich Peoplesoft nach der Übernahme mit einigen renommierten Mittelstandskunden schmücken. Der spezielle Mittelstandsnutzen der Lösungen liege in der "ausgefeilten Systemintegration, kurzen Einführungszeiten und schnellem Return-on-Investment" und der Möglichkeit, "das System auch nach der Einführung an sich ändernde Geschäftsprozesse anpassen zu können". Als besondere Herausforderung sieht der Manager, dass "Mittelständler das Branchen-Know-how beim Anbieter spüren wollen. Es gibt keine riesigen internen IT-Abteilungen, die ein zu komplexes System permanent warten könnten." (bi)

*Dr. Manfred Buchner ist freier Autor in Berlin.

Mittelstandsforum Systems 2003

- Das Mittelstandsforum (Halle B3, Stand 328) verknüpft Technologiethemen mit den Anforderungen kleiner und mittelständischer Unternehmen. Das Vortragsprogramm wird von COMPUTERWOCHE fokus Mittelstand, mitgestaltet.

- ERP/CRM-Forum (Halle A1) Mehr als 40 Aussteller zeigen betriebswirtschaftliche Lösungen. Es wird Software auf Praxistauglichkeit und Benutzerfreundlichkeit geprüft.

- Guided Tours: Geführte Messerundgänge informieren branchenorientiert über IT-Trends wie Business Intelligence, Data Warehousing oder Konsolidierung von Hard- und Software.

- IT-Security Area: Das Thema IT-Sicherheit wird unter Kostenaspekten beleuchtet.

- Live-Testcenter für Peripheriegeräte: Neben Leistungsfähigkeit und Funktionalität geht es um Betriebskosten und um wirtschaftliche Effizienz.