Ablauf- und Aufbauorganisation erneuern

Die Einführung von CIM fordert radikales Umdenken

25.05.1990

Wenn im Produktionsbereich Insellösungen verlassen und umfassende Konzepte des Computer Integrated Manufacturing (CIM) eingeführt werden sollen, gibt es meistens Probleme: Vielerorts fehlt es an aufbau- und ablauforganisatorischen Voraussetzungen für die Einführung einer CIM- Strategie. Gefordert ist nach Ansicht von Ralf-Michael Fuchs* eine unternehmensweite Informationslogistik

Neue Entwicklungen der Produktions- und Informationstechnologie verändern die unternehmerischen Rahmenbedingungen in immer kürzeren Zeiträumen. Die Wettbewerbsfähigkeit vieler Betriebe äußert sich auf globalen Märkten in der Sicherstellung einer ständigen Lieferfähigkeit von qualitativ hochwertigen Produkten.

Aufbau- und Ablauforganisation müssen deshalb umgestaltet werden: Das Ziel sollte darin bestehen, eine durchgängige Kundenorientierung in allen Funktionsbereichen zu schaffen. Dazu kann die Informationsstruktur einen wichtigen Beitrag leisten. CIM realisieren - aber wie?

Mit Computer Integrated Manufacturing wurde ein umfassendes Integrationskonzept für die unternehmensübergreifende Informationsstruktur entwickelt.

Einer anfänglichen Euphorie folgte mit zunehmender praktischer Realisierung die Ernüchterung. So hat sich gezeigt, daß die vorhandenen Strukturen und Ressourcen nicht einfach auf neue Anforderungen hin ausgerichtet werden können.

Gefragt sind deshalb Vorgehensweisen, die eine Realisierung des Integrationskonzeptes mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand und unter weitestgehender Nutzung vorhandener Ressourcen ermöglichen. Unstrittig ist für viele Unternehmen, daß die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit nur über den Einzug der Informationstechnik in die Produktion und die Vernetzung der Material- und Informationsflüsse sichergestellt werden kann.

Der Aufbau einer leistungsfähigen Informationsstruktur ist jedoch auch mit immensen Kosten verbunden. Da außerdem qualifiziertes Personal für die CIM-Realisierung kaum zur Verfügung steht, scheinen Engpässe und Fehlinvestitionen vorprogrammiert.

In vielen Unternehmen sind die historisch gewachsenen aufbauorganisatorischen Strukturen noch nicht dahingehend überprüft worden, ob sie den gestiegenen Anforderungen eines CIM-Zeitalters genügen. So findet man in der Regel eine dem Bereich Organisation/Betriebswirtschaft zugeordnete EDV- Abteilung, deren Zuständigkeit sich auf die Hardware und deren Betriebsfähigkeit erstreckt. Außerdem sind die DV-Experten für die meist schon in den siebziger Jahren eingeführten Anwendungen für Personal- und Rechnungswesen sowie Einkauf und Vertrieb zuständig.

CIM aber lenkt den Schwerpunkt auf die Berücksichtigung der Informationstechnik in Funktionsbereichen wie

- Konstruktion (CAD),

- Arbeitsvorbereitung (CAP),

- Produktionsplanung u. -steuerung (PPS),

- Produktion (CAM) und

- Qualitätssicherung (CAQ).

Die EDV-Abteilungen waren in vielen Fällen mit dem Tagesgeschäft - zum Beispiel mit der Pflege vorhandener Systeme - ausgelastet.

Vielerorts mangelte es an Zeit, Personal und Geld, um neue Systeme selbst zu entwickeln oder marktgängige Anwendungen einzuführen. So entstanden zahlreiche dezentrale Initiativen zum Aufbau DV-gestützter Systeme, die innerhalb der technischen Funktionsbereiche zu einer Verbesserung der Arbeitsabläufe führten.

Allerdings traten Probleme auf, als die Erweiterung und Integration vorhandener dezentraler Systeme in eine CIM-Umgebung geleistet werden sollte. So werden in den Funktionsbereichen spezifische Hardware- und Betriebssysteme eingesetzt, die nur auf bestimmte Anforderungen hin abgestimmt sind. Ferner basiert die vorhandene bereichsspezifische Software oft auf einer dezentralen Datenhaltung. Datenredundanzen und inkonsistenzen sind also keine Seltenheit.

Mit der Integration dieser Insellösungen ist somit eine kostenintensive Überbrückung zahlreicher Hard- und Softwareschnittstellen verbunden. Außerdem blockieren vorhandene Organisationsstrukturen die Realisierung von CIM. So konnten bisherige Aufwendungen zur Erstellung von Insellösungen noch innerhalb der Funktionsbereiche abgerechnet werden. Für die mit der Integration verbundenen Aufwendungen sind die Zuständigkeiten nicht klar geregelt. Daher fehlt es an Mitteln und Personal.

Oft weigern sich DV-Abteilungen, dezentral aufgebaute, "fremde" Systeme zu betreuen beziehungsweise zu modifizieren. Die Kosten einer Systemintegration werden außerdem in vielen Funktionsbereichen nur gegen einen quantifizierbaren Nutzen in ihrem eigenen Bereich gerechnet. Dieser aber ist schwer zu ermitteln, weil meistens nicht bekannt ist, welche Informationen in anderen Funktionsbereichen überhaupt verfügbar sind und wie diese Informationen in den eigenen Anwendungen genutzt werden können.

Außerdem muß berücksichtigt werden, daß die Funktionsbereiche nur selten über DV-erfahrene Fachleute verfügen. Dagegen fehlt in den DV-Abteilungen oft das spezifische Fachwissen und damit die Kompetenz fachliche Probleme der Funktionsbereiche mit Hilfe DV-technischer Mittel zu lösen.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die bisherige DV-Organisation in vielen Unternehmen an ihre Grenzen stößt. Der unkoordinierte Einsatz informationstechnischer Ressourcen ist zum Bottleneck für die CIM-Realisierung geworden. Die mit CIM verbundenen, hohen Aufwendungen machen aber eine sorgfältige Planung, Steuerung und Überwachung dieser Aufbauphase unbedingt erforderlich.

In diesem Zusammenhang müssen die Unternehmen Antworten auf folgende Fragen finden:

1. Zuständigkeit - Wer plant, steuert und überwacht den Aufbau der Informationsstruktur beziehungsweise die dazu notwendigen Anpassungen?

2. Interessen - Wer hat Vorteile durch eine Integration der vorhandenen Systeme?

3. Ressourcen - Wer führt den Aufbau beziehungsweise die Anpassung der Informationsstruktur durch?

4. Budgetverantwortung - Wer trägt die damit verbundenen Kosten?

Die ganzheitliche Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette in einem Unternehmen ist mit dem Begriff Logistik verbunden. Durch den Aufbau der Produktionslogistik als betriebliche Funktion wurde bereits in vielen Unternehmen der Versuch unternommen, Funktionsbereichs -übergreifende Materialfluß-Aspekte, vom Wareneingang bis zur Auslieferung der Produkte an die Kunden, auch organisatorisch zusammenzufassen. Diese Vorgehensweise auch für den Informationsfluß anzuwenden, erscheint sinnvoll.

Deshalb ist der Aufbau eines Bereichs Informationslogistik zu empfehlen, der als Koordinationsinstanz mit eigener Budget-Verantwortung fungiert. Aufgaben der Informationslogistik sind unter anderem der Aufbau einer leistungsfähigen Informationsstruktur und die Integration der Informationsflüsse zur Beschleunigung der Auftragsabwicklung. Außerdem sollten bereichsübergreifende Aspekte er Informationsverarbeitung berücksichtigt werden

Erforderliche Schritte für die CIM-Realisation

Dazu müssen die erforderlichen Schritte für die CIM-Realisierung definiert und konkretisiert werden:

- Erfassung des EDV-Ist-Zustands;

- Entwicklung eines unternehmensspezifischen CIM-Informationskonzepts;

- Ableitung bereichsspezifischer Anforderungen und Maßnahmen zur Neugestaltung der DV;

- Analyse und Bewertung der voraussichtlichen Kosten- beziehungsweise Nutzeneffekte der Maßnahmen;

-CIM-Einführungsstrategie mit zeitlich und inhaltlichem Zusammenhang der Einzelmaßnahmen;

-Beachtung vorgegebener Budgetrestriktionen;

-Definition der Systemgrenzen und -schnittstellen;

-Anstoß/Kontrolle der Maßnahmendurchführung.

Mit dem Aufbau der Instanz Informationslogistik wären die Zuständigkeiten im Hinblick auf die Gestaltung der Informationsstruktur des Unternehmens klar geregelt. Der Ressourcen-Einsatz kann zentral koordiniert werden; die Budgetverantwortung ermöglicht eine gezielte Steuerung des Integrationsprozesses. Zu klären bleibt, wie eine Interessenkollision zwischen der Informationslogistik und den anderen etablierten Funktionsbereichen verhindert werden kann.

Aus der strategischen Bedeutung der Informationstechnik für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ergibt sich die Notwendigkeit, den neuen Funktionsbereich möglichst hoch in der Unternehmenshierarchie anzusiedeln. Nur so kann der Stellenwert auch aufbauorganisatorisch berücksichtigt werden und die Geschäftsführung direkte Einflußmöglichkeiten erhalten.

Erfahrungen aus dem Bereich der Produktionslogistik belegen, daß die organisatorische Einordnung einer solchen bereichsübergreifenden Funktion als Stabsstelle oder auch parallel zu jenen Funktionsbereichen, die hinsichtlich Material- beziehungsweise Informationsfluß integriert werden sollen, nicht immer vorteilhaft war. Oft stehen nur geringe Mittel und wenig Einflußmöglichkeiten zur Verfügung, um in einzelne Funktionsbereiche - zum Beispiel die Produktion - hineinwirken und dort Entscheidungen durchsetzen zu können.

Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die Aufbauorganisation neu zu ordnen: vorhandene DV-Bereiche lassen sich dem Bereich Informationslogistik unterordnen; diese ist wiederum - parallel zu den Bereichen Technik und Organisation - direkt der Geschäftsführung unterstellt. Die CAx-Applikationen in den Funktionsbereichen können dann über die Stabsstelle CIM auch organisatorisch mit der Informationslogistik verbunden werden.

*Ralf-Michael Fuchs, Leiter der Gruppe Produktionssteuerung am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart.