System V.4 und Chorus-Mikrokernel als Standards

Die EG-Kommission läßt die OSF-Technologie durchfallen

10.07.1992

MÜNCHEN (CW) - Die Kommission der europäischen Gemeinschaft hat das Projekt "Ouverture"; gestartet, um die Mikrokernel-Technologie für Echtzeitanwendungen und Parallelverarbeitung fortzuentwickeln. Dabei bezieht sich die Kommission ausschließlich auf Unix System V, Release 4 (SVR4), und den Chorus-Mikrokernel, während von der Open Software Foundation (OSF) und ihrer Mach-Entwicklung keine Rede ist.

Am Projekt Ouverture sind die Unternehmen Alcatel-Alsthorn, Chorus Systemes, Olivetti, SGS-Thomson, Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) und Unix System Laboratories (USL) beteiligt. Gemeinsam haben sie und die EG eine Kapitalausstattung von 14 Millionen ECU für das Projekt aufgebracht.

Mit Ouverture will die EG, wie es in einer von der SNI herausgegebenen gemeinsamen Pressemitteilung heißt, "die zukünftige Entwicklung der Betriebssystem-Technologie entscheidend mitgestalten" Schwerpunkt des Projekts ist eine bessere Integration von Mikrokernel-Technologie in die SVR4-Umgebung und eine Optimierung dieser Umgebung für Anwendungen im Bereich der massiv-parallelen Verarbeitung, für Systeme mit hoher Verfügbarkeit und für Echtzeitlösungen. Im Rahmen des Projekts soll der von Chorus entwickelte Mikrokernel um objektorientierte Schnittstellen ergänzt werden

Das Ouverture-Projekt ist Teil des Esprit-Programms der Kommission der Europäischen Gemeinschaft. Jean-Marie Cadiou, Esprit-Direktor, führte zu den Zusammenhängen aus: "Ouverture ist von besonderer Bedeutung für die neu ausgerichtete Open Microprocessor Systems Initiative (OMI)", bei der es vor allem um integrierte Echtzeitsysteme geht.

Ferner erwartet Cadiou, "daß das Projekt eine wichtige Rolle im Bereich High Performance Computing (HPC) unter Esprit M spielen wird."

Bemerkenswerterweise ist in der offiziellen Verlautbarung mit keinem Wort von der OSF, ihrem Betriebssystem OSF/1 und ihrer Mikrokernel-Konzeption Mach die Rede. Vielmehr bezeichnen die Ouverture-Beteiligten - also auch das OSF-Mitglied SNI - Chorus/MIX als "De-facto-Standard in der Mikrokernel-Architektur". Der nächste Satz im Statement spricht vom "Industriestandard für offene Systeme, Unix System V, Release 4, von Unix System Laboratories".

Entscheidung mit Konsequenzen

Die Entscheidung der EG für SVR4 und gegen die OSF könnte weitreichende Konsequenzen haben. Der Hinweis von Bob Mitze, Europa-Chef von USL auf "die starke Rolle, die Europa bei der Weiterentwicklung des Geschäfts mit offenen Systemen spielt", ist nicht nur ein Kompliment an die Brüsseler. Entsprechend macht sich Hubert Zimmermann, Vorstandsvorsitzender der Chorus Systemes, Hoffnungen: "Dies wird unsere Position wie auch die von USL am Weltmarkt stärken."

In eine ähnliche Richtung geht auch ein Statement von Klaus Gewald, Direktor systemtechnische Entwicklungen Open Systems bei der SNI: "Das Ouverture-Projekt kann einen erheblichen Innovationsschub für die Unix-SVR4-Technologie von heute bringen. Dies wäre", so begründet Gewald indirekt die offiziell nicht vollzogene Trennung der SNI von der OSF und ihre Rückkehr in die USL-geführte System-V-Gemeinde "für unsere Palette von darauf basieren Sinix-Produkten von großem Nutzen.