Die DV-Therapie macht alle glücklich

29.01.1988

Alfons Rissberger, Regierungsschuldirektor im Kultusministerium Rheinland-Pfalz, Mainz

Eine Maschine als "Denkverstärker", als ein Werkzeug auch für die geistige Arbeit, haben sich Philosophen seit vielen Jahrhunderten gewünscht. In der Form des PC ist es heute klein, billig, robust, überall und von jedermann nutzbar: eine Realität.

Es ist deshalb erfreulich, wenn mittlerweile nicht nur ein großer Bedarf an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen anerkannt wird, sondern vielfältige Maßnahmen angeboten und durchgeführt werden. Aber wie sieht es mit den Inhalten und der Qualität vieler Maßnahmen aus? Wer trägt für sie Verantwortung, und welche Erfahrungen werden bei Entscheidungen berücksichtigt?

Beispiel 1: Ein "Mikroprozessorkurs als EDV-Grundkurs für alle"

Eine Industrie- und Handelskammer bietet einen Hardware- und Assembler-orientierten Mikroprozessorkurs mit dem Hinweis an, daß er als Grundkurs für technisch und kaufmännisch tätige Fach- und Führungskräfte geeignet ist und Grundlagen zum Verständnis und zur Anwendung von Mikrocomputern vermittelt.

Erinnert dies nicht an die Forderung in der Auto-Pionierzeit, vor oder während der Fahrausbildung eine Technikerausbildung durchzuführen?

Nach "erfolgreichem" Besuch stellten nämlich die Teilnehmer in der beruflichen Praxis fest, daß die Kursinhalte zum überwiegenden Teil weder konkret halfen, noch Grundlage für das Verständnis von Computer-Anwendungen und deren Problemen waren. Offensichtlich ist eine Diskrepanz zwischen den Theoretikern bei "Verbänden" und den Praktikern der Wirtschaft vorhanden. Aber wer trägt für solche Angebote die Verantwortung?

In die gleiche Kategorie einzuordnen sind "Programmier-kurse in Basic" als "Grundkurse für alle" (wie sie in der gesamten Bundesrepublik unter anderem auch an Volkshochschulen verbreitet sind), bei denen oftmals die Dozenten nicht mehr bieten (können), als das, was sie selbst (oft nur halbwegs) am PC zu Hause gelernt haben.

Hier ergibt sich die Frage, ob man nicht mit einem Informationsnetz, in dem an beliebigen Stellen gesammelte Erfahrungen recherchierbar wären, dazu beitragen könnte, daß das , Rad nicht immer wieder neu erfunden werden muß, und man mit denjenigen in Verbindung treten könnte, die bereits in bestimmten Sackgassen waren.

Beispiel 2: Dualzahlen und Hexadezimalcode in der Banklehre

Eine junge Dame absolviert eine Banklehre in einer Großstadt und besucht dort eine für ihre Qualität allgemein anerkannte Berufsschule. Dort muß sie im EDV-Unterricht unter anderem das Rechnen mit dualen Zahlen, die Umwandlung von Dezimalzahlen in Dualzahlen und den ASCII- und "Hexadezimal"-Code lernen. Auf die Frage, ob dies den gültigen Lehrplänen entspricht, lautet die Antwort, daß diese Themen in den Abschlußprüfungen der prüfenden Kammern enthalten seien und daher diese Inhalte zur theoretischen Ausbildung gehören müßten.

Welche Erfahrungen besitzen denn diejenigen, die über solche Bedingungen zu bestimmen haben? Mit Blick auf veränderte Berufsbilder und Bildungsinhalte sind eben künftig für bestimmte Teile kurzfristige Revisionen von Ausbildungsordnungen und Lehrplänen notwendig.

Beispiel 3: EDV-Experten als Dozenten unter die Lupe genommen

Wenn im Betrieb ein Computer-Kurs durchgeführt werden soll, liegt nichts näher, als einen EDV-Profi oder sogar die eigene EDV-Abteilung zu gewinnen. Zwischen dem Wissen und Können eines Experten und dessen Fähigkeit, dieses Wissen zu vermitteln, bestehen oftmals erhebliche Unterschiede. EDV-Fachleute sind nämlich nicht automatisch begnadete Pädagogen (und umgekehrt). Hinzu kommt, daß die meisten Experten in einem Kurs dazu neigen, das zu vermitteln, was sie selbst "im Griff haben", aus der Sicht ihrer Tätigkeit für wichtig halten und was ihrer eigenen (historisch bedingten) Ausbildung entspricht. Eine kontinuierliche Weiterbildung indes wurde nicht immer gepflegt.

Auch bleiben Vorbildung und unterschiedliche Erfahrungen der Teilnehmer sowie didaktisch-methodische Erkenntnisse der Erwachsenenbildung unberücksichtigt.

Hier ergibt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn zunächst einmal die Verantwortlichen Klarheit über Begründungen, Inhalte und Durchführungsalternativen erzielen würden - also weniger "von der Hand in den Mund zu leben" und mehr in die Planung zu investieren?

Fraglich bleibt auch, ob ebenso manche "Institute" zu dieser differenzierten Problemlösung überhaupt bereit oder fähig sind, oder ob nicht andere als rein qualitative Gesichtspunkte im Vordergrund stehen.

Beispiel 4: Ballast auch an den Hochschulen. Dazu werden vielfältige kritische Stimmen laut

"Belasten" wir uns bei "offiziellen" Informatik-Bildungsgängen mit mancher unnötigen Abstraktion und historisch bedingten Inhalten? Lassen wir hier nicht zu oft jungen Menschen keine Chance, nur weil sie vielen klassischen Anforderungen aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften nicht genügen, obwohl sie für uns dringend notwendige und geeignete Mitarbeiter (mit qualifizierter Ausbildung, aber ohne unnötigen "Ballast") wären?

"Lehren" einige Hochschullehrer nicht eventuell nur das was sie als Ergebnis einer abgeschlossenen Ausbildung beherrschen, in der Zwischenzei aber von der Entwicklung überholt wurde? Steht nur deshalb manchmal Cobol am Anfang und Differentialgleichungen im Mittelpunkt von zu abstrakten Vorlesungen?

Das Fazit dieser Überlegungen kann nur lauten: Wir müssen in allen Bereichen der "Computerbildung" mehr differenzieren.

- Kursinhalte sollen Spaßmachen erste Erfolgserlebnisse vermitteln. Das allein reicht aber nicht, wenn sie mehr als nur Unterhaltungs wert haben sollen.

- Aufgrund steigender Aus- und Weiterbildungsbedürfnisse und knapperer Ressourcen müssen künftig Unterscheidungen berücksichtigt werder in

- notwendige und grundlegende Inhalte für alle, in den Schule etwa die zukünftige informationstechnische Grundbildung, die als Teil der Allgemeinbildung vermittelt wird samt Themenbereich "gesellschaftliche Auswirkungen "

- notwendige und grundlegende Inhalte für bestimmte Fachbereiche und Bildungsgänge

- nicht notwendige Inhalte, die sinnvollen Anwendungen entgegenstehen.

- Während in vielen Bildungsbereichen durch umfangreiche Bedingungen die notwendige Qualifikation der Lehrkräfte sichergestellt wird, tummeln sich gerade im DV- Weiterbildungsmarkt fragwürdige Anbieter. Leider macht der zahlende Teilnehmer immer erst zu spät die entsprechende Erfahrung. Oft wird er auch so gut "therapiert", daß er zunächst sogar mit "verunglückten Inhalten glücklich" ist. Deshalb ist es wichtig, sich vorher über mehrere verschiedene Angebote eingehend zu informieren und Absolventen aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen zu befragen.

- Zertifikate aus "Computerkursen" können bei Bewerbungen oder Beförderungen eine entscheidende Rolle spielen, ohne daß der geringste Zusammenhang zwischen den Anforderungen und den testierten (und eventuell gar nicht vorhandenen) Kenntnissen und Fähigkeiten besteht ("Der Bewerber hat erfolgreich an einem EDV-Kurs teilgenommen"). Vielleicht würde ein Bewerber ohne angeblich notwendige Vorkenntnisse nach kurzer Einarbeitungs- und Weiterbildungszeit sogar die besseren Ergebnisse erzielen. Es soll ja vorkommen, daß bei Prüfungen Fragen gestellt werden, die nur der Fragesteller für relevant hält.

Entscheidungsträger im Bereich "Bildung und Computer" müssen deshalb - dies klingt zwar banal, ist es aber keineswegs - über ausreichende eigene Erfahrungen aus zumindest drei Bereichen verfügen Informatik, (aktuelle) EDV Praxis und Pädagogik.