Nur wenige können sich Einflußnahme auf EG-Behörden leisten

Die DV-Riesen zementieren ihre Dominanz mit Euro-Lobbyismus

04.09.1992

PARIS (IDG) - Lediglich Potemkinsche Dörfer sind die Richtlinien den Wettbewerb im EG-Computermarkt betreffend. Einzig die Branchengiganten haben Einflußchancen in Brüssel und Straßburg, der Mittelstand bleibt auf der Strecke. So sehen es jedenfalls Teilnehmer und Beobachter der Lobby-Szene.

"Der Aufbau Europas findet unter dem Druck multinationaler Gruppen statt. Kleine und mittlere Unternehmen müssen unverzüglich Wege finden, ihre Interessen zu wahren", alarmiert Alain Brunaud, Präsident der französischen Jung-Manager-Vereinigung CJD, die europäischen Anbieter von Hardware, Software und Dienstleistungen. Gegenwärtig, so Berechnungen der französischen CW-Schwesterzeitung "Le Monde Informatique", sacken die wenigen Multis 20 Prozent der im Rahmen von EG-Fördermaßnahmen vergebenen Gelder ein.

Die Großen haben sich auf die wirtschaftlich und - langsam auch - politisch zusammenwachsende Alte Welt mit hohem Aufwand und mit ihrer langen Erfahrung am Weltmarkt eingestellt. Sie legen den Lobbyismus vor Ort in Brüssel und Straßburg in ihrer Unternehmensstrategie fest, richten entsprechende Stellen ein und statten diese mit respektablen Budgets aus.

Eine "Antenne" in Brüssel kostet nach Angaben von Insidern 300 000 bis 600 000 Mark im Jahr. Wer zu dieser Ausgabe bereit ist, erkauft sich dafür die Chance, Einfluß zu nehmen auf im EG-Markt zukünftig gültige Regeln und Standards sowie auf die Ausschüttung der diversen Fördertöpfe. Zweck der Übung muß jedoch nicht immer ein in ECU zahlbarer Vorteil sein - es kann sich auch lohnen und wird nach Auskunft von Kennern der Szene häufig angestrebt, Verordnungen oder Gesetze zu torpedieren, die Vergünstigungen für Konkurrenten mit sich bringen könnten.

"Wer verhindern will daß ein für andere nützliches Gesetz ohne sein Wissen verabschiedet wird, muß aktiv werden", konstatiert Pierre-Jean Courtehoux, Delegierter des Komitees für die europäische Hochtechnologie-Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen. Aktiv werden vor Ort können nur die Lobbyisten - meist Rechtsexperten und mit diesem Wissen Scouts im Dschungel der Brüsseler Gremien und Behörden. Juristische Kenntnisse und Kommunikationstugenden allein bringen sie und ihre Auftraggeber jedoch nicht weiter; müssen sie mit technischen Details umgehen, sind die Lobbyisten darauf angewiesen, sich in den entsprechenden Abteilungen ihrer Unternehmen kundig zu machen.

Während die Kosten des Lobbyismus viele Mittelständler, von Kleinanbietern ganz zu schweigen, finanziell in die Knie zwingen würden, fallen sie selbst bei hochverschuldeten DV-Riesen allemal ab - und das meist gleich mehrfach: Die IBM unterhält eine Delegation von zwölf Polit-Kontaktern in Brüssel; Siemens-Nixdorf, Bull, Olivetti und ICL sind mit je einem oder zwei Lobbyisten in der belgischen Hauptstadt vertreten. AT&T verhilft mit drei bis vier Türöffnern sich und der Computertochter NCR zu besseren Geschäftsaussichten in Europa. Auch die dominanten Software- und Servicesanbieter wie Cap Gemini Sogeti und Sema Group haben mittlerweile erkannt, daß sie nicht nachstehen können im Bemühen um ersprießliche Beziehungen zu den Eurokraten.

Allerdings wandeln sich und steigen die Anforderungen an das hochrangige Personal der Computerhersteller, die sich nachdrücklich ins Gedächtnis der Eurokraten rufen wollen. Von einem Top-Manager wird heute in zunehmendem Maße erwartet, daß er in allen europäischen Ländern mit gleichbleibender Effizienz tätig werden kann. Eine simple Unterteilung der operativen Bereiche in geographische Regionen macht daher für viele keinen Sinn mehr. DEC Europa zog aus dieser Erkenntnis jüngst die Konsequenzen und strickte das Organigramm um: Nicht mehr die Länderniederlassungen, sondern europaweit agierende Geschäftseinheiten mit dezidierter Produktverantwortung bilden jetzt die Struktur des zweitgrößten DV-Anbieters der Welt östlich des Atlantiks.

Ein DV-Mittelständler kann demgegenüber, wenn es hoch kommt, einen einzigen seiner knappen und teuren Mitarbeiter als Lobbyisten abstellen; dieser steht dann in der Regel auf verlorenem Posten gegen die Euro-Expeditionen der Branchenführer. Hinzu kommt, daß die bisher nur in nationalen Märkten beziehungsweise in Marktnischen tätigen Tante-Emma-Läden der Datenverarbeitung es schwierig finden, von einer regionalen auf eine europäische Perspektive umzuschalten. Dennoch: "Kleine und mittelgroße Unternehmen können eine Rolle spielen, sofern sie sich auf europäischer Ebene neu organisieren", macht Jung-Manager-Präsident Brunaud in Optimismus.

Üblicherweise fungieren die Branchenverbände als Interessenvertreter des Mittelstandes, aber die haben ein Problem: Da sie eine Vielzahl von Unternehmen repräsentieren, wird von ihnen erwartet, lediglich "den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verteidigend klagt Brunaud. Konkrete und lebenswichtige Angelegenheiten einzelner oder weniger Mittelständler würden dabei an den Rand gedrängt.

Die 1988 von Italien und Deutschland zusammen mit dem Brüsseler Zentrum für Unternehmensführung gegründete Gruppe "Ja zu Europa" will dieses Problem ausmerzen und lediglich die Infrastruktur für einen wirksamen Lobbyismus des Mittelstandes schaffen. Jedoch: Die Zielgruppe der Organisation umfaßt 15000 Unternehmen, den Nenner der gemeinsamen Interessen zu finden ist nicht einfach. Das Komitee für die europäische Hochtechnologie-Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen will vor allem über Gesetzesvorhaben und mögliche Subventionen informieren und bei der Beantragung von Mitteln behilflich sein.

Nachhaltig verbessert wird die Lage dadurch jedoch nicht: Die gemeinnützigen Gruppen leiden unter Geld- und Personalmangel, und die kommerziellen Beratungsanbieter arbeiten natürlich nicht umsonst. Für ein kleines Unternehmen können die Kosten für ein in Auftrag gegebenes Dossier, das zu Lobbyzwecken eingesetzt werden soll, ohne weiteres einen Jahresertrag ausmachen - mit überdies unkalkulierbarem Erfolg: Brüssel ist nur auf lange Sicht interessant", winkt etwa die Chefin eines kleinen französischen Softwarehauses ab. "So, wie der Markt aussieht, können wir es uns nur leisten, in sehr kurzfristige Projekte zu investieren"