Das traditionelle CeBIT-Partnerland ist diesmal eine ganze Region

Die DV in Osteuropa bietet Chancen und Schwierigkeiten

19.03.1993

Ueber 50 Aussteller aus Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Bulgarien und den GUS-Laendern stellen sich als potentielle Partner in den Bereichen Software, Computertechnik, Peripherie, Telekommunikation sowie Forschung und Entwicklung vor. Neben osteuropaeischen Unternehmen sind auch Behoerden, Dienststellen, Organisationen, Institutionen, Verbaende und Dienstleistungsunternehmen der beteiligten Laender vertreten und bieten ihre Unterstuetzung an.

Die Aussteller beteiligen sich zum Teil individuell mit einem eigenen Stand an der Messe; andere sind auf dem Gemeinschaftsstand des Internationalen CeBIT-Forums in Halle 6 vertreten.

Nach der Eroeffnung des "Business with Eastern Europe" am zweiten Messetag im Tagungs-Centrum-Messe (TCM) finden im Diskussionsforum der Halle 6 von Freitag bis Mittwoch Gespraeche, Vortraege und Diskussionsveranstaltungen mit Referenten, Gaesten, Ausstellern und Besuchern der west- und osteuropaeischen Laender statt.

Im Vordergrund stehen sollen dabei der Stand der DV-Entwicklung in den jeweiligen Laendern sowie Erfahrungsberichte ueber bereits existierende Kooperationen und Joint-ventures. Der Informationsaustausch soll auch laenderspezifische Finanzierungs- und Steuerrechtsfragen sowie handelsrechtliche Voraussetzungen und moegliche Perspektiven zukuenftiger Kooperationen umfassen. Vertreter aus Wirtschaft und Politik stellen darueber hinaus die Finanzierungsmoeglichkeiten mit Hilfe der EG vor.

Vor allem die Veranstaltungen ueber rechtliche Gesichtspunkte und laenderspezifische Restriktionen sowie die Moeglichkeiten fuer laenderuebergreifende Kooperationen koennten auf grosses Interesse stossen.

Gefragt sein duerfte ausserdem eine Reihe von Erfahrungsberichten von Vertretern aus der Wirtschaft.

Nach Auffassung von Jutta Beiersdorff von der Agentur Beiersdorff GmbH in Muenchen, sind naemlich fundierte Kenntnisse der oertlichen Verhaeltnisse eine unverzichtbare Voraussetzung fuer unternehmerischen Erfolg in Osteuropa (Siehe dazu auch ihren Beitrag "In Osteuropas Computermaerkten zaehlt nur langfristiges Denken" in der

COMPUTERWOCHE Nr. 49 vom 4. Dezember 1992, Seite 38).

Die interessantesten Maerkte der osteuropaeischen Reformstaaten seien danach zur Zeit Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei und die GUS-Staaten, wobei hier vor allem Russland im Vordergrund stehe. Fuer potentielle Anbieter von Hard- und Software in den ehemaligen RGW-Laendern gelte es in erster Linie, die spezifischen Ordnungsstrukturen zu erkennen und zu beruecksichtigen, die sich hinter einer durch den Zusammenbruch der Sowjetunion verursachten scheinbaren Regellosigkeit verbergen.

Dazu gehoere auch die Kenntnis der bisherigen Hardware-Ausstattung der GUS-Staaten. 80 Prozent der Installationen - so Beiersdorff - seien PCs, die in der Leistungsfaehigkeit Rechnern der XT-Klasse von vor zehn Jahren entsprechen. Auf Platz zwei der Installationen laegen Systeme aus der mittleren Datentechnik, worunter aber kaum Unix-Systeme zu finden seien. Diesen gehoere jedoch die Zukunft, und wer sich durch entsprechendes Marketing im Unix-Bereich sinnvoll positioniere, koennte sich bereits mittelfristig einen lukrativen Kundenkreis schaffen.

Als potentielle und finanzkraeftige Investoren in diese Form der Datentechnik kommen vor allem Finanzdienstleister wie Banken und Versicherungen und die oeffentlichen Verwaltungen in Betracht.

Da sich die vergleichsweise umfangreichen Installationen nicht ohne weiteres und in westlichem Tempo an den neuesten Stand der Technik anpassen lassen, sei eine sukzessive Migration die zur Zeit gaengige Modernisierungsmethode. In dieser Uebergangszeit muesse immer gewaehrleistet sein, dass alte und neue Systeme nebeneinander laufen. Einen entscheidenden Kompetenzvorsprung haetten hier DV- Spezialisten aus der ehemaligen DDR, weil sie die alten Systeme noch kennen.

Ohne eine Vertrauensbasis geht im Osten gar nichts

Entscheidend fuer langfristige Geschaeftsbeziehungen sei weiterhin der Aufbau einer tragfaehigen Vertrauensbasis. Westeuropaeische DV- Anbieter, die auf der Suche nach Kooperationspartnern in den Reformstaaten sind, muessten sich auf einen Schlag von Computerspezialisten gefasst machen, die einerseits mit allen Wassern gewaschen seien, andererseits aber moderner Hardware zum Teil mit Staunen begegnen.

Hier nicht als Besserwisser, sondern als verstaendnisvoller und respektvoller Geschaeftspartner aufzutreten, ist zum einen hilfreich im Prozess der Annaeherung und zum anderen erfolgversprechend fuer kuenftige Geschaeftsbeziehungen.

Auf grosses Interesse stossen duerften auch die osteuropaeischen Know-how-Traeger aus dem Bereich der Telekommunikation. Dieser Markt gehoert zu den wachstumsstaerksten Segmenten innerhalb der osteuropaeischen DV-Landschaft. Weil die bisher gravierenden Maengel bei der Telekommunikations-Infrastruktur die Wirtschaftsentwicklung in Osteuropa hemmen, raeumen die dortigen Behoerden auslaendischen Kooperationspartnern die im Vergleich mit anderen Segmenten liberalsten rechtlichen Konditionen ein.

Nach Einschaetzung von Michael Berlage und Thomas Schnoering vom Wissenschaftlichen Institut fuer Kommunikationsdienste (WIK), Bad Honnef, wirkt sich diese Liberalisierung vor allem bei Endgeraeten und nichtoeffentlichen Netzen aus (Siehe dazu auch Berlages und Schnoerings Beitrag "Anbieter nichtoeffentlicher Netze stossen auf das liberalste Umfeld" in der COMPUTERWOCHE Nr. 49 vom 4. Dezember 1992, S. 46). Schwerpunkt der Investitionen in neue Netze seien danach der internationale Telefonverkehr, Overlay-Netze, Ortsnetze in Wirtschaftszentren und Mobilfunk- Systeme.

Dass erheblicher Nachholbedarf auf dem Kommunikationssektor und Chancen fuer westeuropaeische Anbieter schafft, zeigen die Zahlen des WIK zur Ausstattung der Staaten Osteuropas mit Telefonen: So liegt die Anschlussdichte zwischen zehn Hauptanschluessen pro hundert Einwohner in Ungarn, Polen oder Rumaenien und 16 Telefonanschluessen in der Tschechischen Republik und der Slowakei. Werte zwischen 24 und 30 Anschluessen in Bulgarien und den Republiken des ehemaligen Jugoslawien duerften auf geschoentes Erhebungsmaterial zurueckgehen.

Damit die Netze in den mittel- und osteuropaeischen Laendern die Qualitaet derer in den westlichen erreichen, ist nach Meinung von Experten ein Investitionsvolumen von mindestens 100 Milliarden US- Dollar erforderlich. Andere Schaetzungen kommen auf 500 Milliarden Dollar in den kommenden zehn Jahren.

Moeglichkeiten fuer auslaendische Investoren

Da sich die entscheidenden Engpaesse mit wesentlich geringerem Aufwand durch digitale Overlay-Netze beheben lassen wuerden, sei diese Technologie Schwerpunkt der tatsaechlichen Investitionstaetigkeiten in Osteuropa. Vor allem die mitteleuropaeischen Staaten Rumaenien, Bulgarien und die Ukraine haben laut WIK mit der Planung oder dem Bau von Overlay-Netzen als Rueckgrat des heimischen und internationalen Telefonverkehrs begonnen. Interessant fuer die Besucher des CeBIT-Forums sind in diesem Zusammenhang vor allem Fragen zu den Moeglichkeiten auslaendischer Investoren.

Neue und vergleichsweise liberale Gesetze, die Monopole im Bereich der Telekommunikation abschaffen oder zumindest einschraenken, wurden in Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Estland verabschiedet.

Ungarn, Kasachstan und eine Reihe anderer Laender wollen dem Beispiel der ehemaligen Bruderstaaten folgen. Um auslaendischen Investoren den Weg in die osteuropaeische Wirtschaft zu ebnen, wurden die bestehenden Gesetze in diesem Bereich in fast allen Laendern erweitert.

Recht harte Restriktionen bestehen nach wie vor bei den Festnetzen. Nur in Estland, Lettland und der Ukraine werden sie mit Hilfe auslaendischer Investoren modernisiert. In Laendern wie Polen gibt es Vorschriften, die den Anteil auslaendischen Kapitals an Festnetzen begrenzen. Willkommen sind auslaendische Partner in Russland, der Ukraine, Moldawien, Kasachstan, Kirgisien, Armenien, Aserbaidschan und Usbekistan - jedoch nur, wenn es um eine Zusammenarbeit im internationalen Telefonverkehr geht.

Nach Einschaetzung des WIK ergeben sich die groessten Marktchancen im Segment der Mobiltelefone, die - wie auch kurz nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundeslaendern geschehen - das oft baufaellige Festnetz ersetzen helfen. Als Standard hat sich das analoge System "NMT-450" der Marktfuehrer Ericsson und Nokia durchgesetzt.

Einen Wachstumsmarkt stelle ausserdem der Bereich Datendienste dar. In Russland sei es in diesem Zusammenhang mehreren amerikanischen Unternehmen gelungen, Lizenzen fuer den internationalen Datenverkehr zu erhalten. Geplant seien der Aufbau eines landesweiten Netzes sowie E-Mail-Systeme.

Die osteuropaeische Telekommunikationsmaerkte sind laut WIK jedoch nach wie vor schwierig, da sich die bisher erreichte Liberalisierung in Grenzen halte. Zusaetzlich seien die rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu instabil, so dass vor allem in Russland und den anderen GUS-Staaten neben den Chancen auch erhebliche Risiken bestehen blieben.

*Martin Weinert studiert Betriebswissenschaft an der Universitaet Muenchen.