Warnung vor Gestaltungsschrott:

Die DTP-Revolution läßt ihre Kinder im Stich

19.02.1988

Jedermann ein Publizist? Diese Vision nimmt allmählich Gestalt an. Desktop-Publishing-Equipment, mit dem sich Seiten gestalten und drucken lassen, wird billiger und leistungsfähiger. Gleichzeitig wächst die Flut publizierter Häßlichkeiten. Schuld an dieser Misere hat nicht einer allein. Viele Firmenchefs glauben, sie könnten die Hauszeitschrift In Eigenregie herstellen, und kaufen flugs ein, Desktop-Publishing-System.

Wer nachher an der Kiste sitzt, bestimmt der Personalchef. Der nimmt jemanden aus der Firma, weil dafür keine neue Planstelle frei ist. Der Publisher lernt Schreibmaschine auf Kosten der Firma und arbeitet sich in das Programm ein. Am Anfang versucht er noch die alte, schlecht und recht von einer Druckerei gemachte Hauszeitschrift zu imitieren. Das wird schnell langweilig; außerdem will plötzlich jeder Ressortleiter seinen Artikel besonders hervorgehoben haben. Zum Schluß besteht die Hauszeitschrift nur noch aus riesigen Überschriften und winzigen Texten. Die Leute auf den Fotos sehen aus, als hätte man sie vor dem Foto-

Döskopp-Bablishing noch nicht ausgereift

grafieren graugepudert. Die Herstellung hat zu lange gedauert und zuviel gekostet. Plötzlich haben es alle ja schon immer gesagt, daß dieses Döskopp-Bablishing noch nicht ausgereift ist. Was ist passiert?

Ein Beispiel soll das verdeutlichen. Unsere neuen Eurocheques kann man nur unterschreiben, wenn man eine Abkürzung verwendet oder Pepe Popo heißt. In Treuchtlingen darf man nicht wohnen, und in den letzten Monaten des Jahres sollte man tunlichst auf das Ausstellen von Schecks verzichten. Für Einträge dieser Art sind nämlich nur ganze 3,8 Zentimeter vorgesehen. An diesem Jahrhundertwerk haben aber hochdotierte Gestalter gearbeitet und keine Winkelhubers.

Was passiert, würden Herr oder Frau Winkelhuber mit dieser Aufgabe betraut? Wahrscheinlich sähen sie sich einen Scheck an und gestalteten nach dieser Vorlage einen neuen. Alle 365 Filialleiter schrieen Zeter und Mordio, daß ihre Filiale unterrepräsentiert sei. Der Frau des Vorstands gefällt nur die Farbe Türkis, und die Empfangsdame hat einen Freund, der Grafiker ist und sowieso alles besser weiß.

Die Adepten des "Desktop-Publishing" wagen sich aber selbst an Zeitungen. Für die Leser kann es dann zum Puzzlespiel werden, wenn er die Fortsetzung eines Artikels sucht.

Gestalten heißt Inhalte in die ihnen gemäße Form bringen. Schließlich sieht eine Einladungskarte anders aus als eine Schweinebauchanzeige.

Damit Desktop-Publishing zu einem Erfolg wird, sollten sich die Verantwortlichen guten Rat bei professionellen Gestaltern holen. Sie sollten sich Gestaltungsraster machen

lassen, die von den Winkelhubers dieser Welt dann nur noch mit wechselnden Inhalten ausgefüllt werden.

Für einfache Aufgaben kann man einen Berufsfremden ganz bestimmt schnell anlernen. Grafiker, Typograph, Designer, Layouter jedoch sind Berufe, die mehrjährige Ausbildung verlangten.

Die DTP-Revolution läßt ihre Kinder arg im Stich. Die Gestaltungshilfen, die es von den Softwareherstellern gibt, sind meistens dürftig. Oder sie sind von gestalterischen Laien aus dem vorzüglich gearbeiteten amerikanischen Original übersetzt, was sozusagen die doppelte Quadratur des Kreises ergibt.

Amerika, du hast es besser! Dort gibt es pfiffige Bücher, die erklären, was man beim Gestalten alles falsch machen kann. Fallbeispiele helfen über viele Schwierigkeiten hinweg.

Für Profis ist Desktop-Publishing aber eine wirkliche Arbeitserleichterung. Mehr noch, Desktop-Publishing eröffnet der Gestaltung völlig neue Dimensionen und gibt Gestaltern die Möglichkeit, Ideen stets aufs neue zu modifizieren. Wollten sie das mit herkömmlichen Mitteln umsetzen, müßten sie erheblich mehr Zeit aufwenden. So gesehen ist DTP im Endeffekt doch billig, da es mehr Möglichkeiten bietet, neue Ideen

auszuprobieren.

Leider sitzen gerade im Lager der professionellen Gestalter jeder Couleur die ärgsten Computerfeinde. Aus unerklärlichen Gründen haben kreative Leute panische Angst vor Computern. So entwickelt sich DTP langsamer als nötig.

Die Zögernden verlieren jedoch den Anschluß. Je länger sie warten, desto schwerer wird der Einstieg.

*Gert Wiescher bezeichnet sich selbst als Creative Consultant. Er erarbeitet grafische Konzepte und Layouts, illustriert und kreiert selbst neue Schriften. Seit sieben Jahren ist er selbständig in München. Studiert hat er an der Akademie für Grafik, Druck und Werbung in Berlin (heute HbK).

Dieser Beitrag wurde übernommenen aus PC-Woche Nr. 6 vom 8. Februar 1988.