Die digitale Revolution in der Medienwelt (Teil 4) Offener Kampf um Schreibtisch und Schrankwand der Anwender

17.02.1995

CW-Bericht, Gerhard Holzwart

Manchmal koennte man als DV-Journalist schon vor Neid erblassen, wenn man da und dort mitbekommt, wie anderen in der Branche die taegliche Arbeit erleichtert wird. Nehmen wir als Beispiel die Redakteure von TV-Programmzeitschriften. Die in diesem Genre arbeitenden Kollegen erhielten vor einigen Wochen Post vom Fernsehsender SAT 1; was eigentlich nicht erwaehnenswert waere, in diesem Fall aber dann doch, weil es sich um ein sogenanntes "interaktives Press-Kit" handelte.

"Kommissar Rex" auf CD-ROM hiess das Ganze und beinhaltete fertige Pressetexte zum Start der neuen Krimiserie inklusive diverser Filmausschnitte, sonstigen Bildmaterials und diverser Grafik- Tools. Wem von den Kollegen das multimediale Arbeitsmaterial nicht genuegte, der konnte sich auch noch an einem Gewinnspiel erfreuen: Erster Preis war eine vom SAT.1-Sponsor Frolic bezahlte Reise nach Wien (dem Ort des Seriengeschehens), zweiter Preis die in der oesterreichischen Metropole unvermeidliche Sachertorte und als Dreingabe winkte schliesslich ein Jahr lang kostenlose Belieferung mit der Hundevollkornkost des besagten Herstellers, um den eigenen Schaefer quasi in Rex-Manier dressieren zu koennen.

CD-ROM macht den PC endgueltig multimediafaehig

Spass beseite! Natuerlich soll es hier nicht um die Arbeitsbedingungen von Journalisten gehen - wenngleich in den Redaktionsstuben das CD-ROM-Laufwerk im PC mittlerweile zum Alltag gehoeren muesste. Nichts Neues ist seit geraumer Zeit aber auch die Diskussion darueber, an welchem Bahnhof - sprich: an welcher(m) Endstation(-geraet) die kuenftigen Multimedia-Botschaften ankommen werden; und die Suche nach einer aussagekraeftigen Antwort in dieser Angelegenheit muss uns dann doch beschaeftigen - frei nach dem Motto: Offline oder online, das ist hier die Frage.

Fuer die Liebhaber nackter Zahlen und damit Tatsachen gibt es hier eigentlich nichts zu fragen. Seit gut zwei Jahren sind durch die urspruenglich aus der Musikwelt stammenden CD-Laufwerke und verschiedene Zusatzkarten fuer Audio/Sound, Grafik und Video Komponenten hinzugekommen, die den PC endgueltig Multimedia-faehig machen. Neben dem bedruckten Papier haben sich die silbrig glaenzenden CD-Acrylscheiben zum derzeitigen Informations- und Speichermedium schlechthin gemausert - fuer Daten, Bild und Ton professioneller wie privater, sprich "Consumer-orientierter" Natur.

Aber wir wollten ja von Zahlen sprechen. Hier also eine kleine Auswahl: Im vergangenen Jahr wurden weltweit fast 50 Millionen PCs ausgeliefert, 27 Prozent mehr als 1993. Nach Erhebungen der Nuernberger Gesellschaft fuer Konsumforschung (GfK) (Sie wissen schon, der streitbare Michael Darkow mit den umstrittenen Fernsehquoten!) steht bereits in jedem vierten deutschen Haushalt ein elektronischer Rechenknecht, und nach Schaetzungen der US- Marktforscher von Dataquest gingen 1994 weltweit mindestens 17,4 Millionen CD-ROM-Laufwerke ueber den Ladentisch.

Wem dies als Perspektive nicht genuegt, der kann sich auch noch mit einem anderen Trend auseinandersetzen: Bereits 1993 fanden in den USA 5,3 Millionen PCs ihre Abnehmer im sogenannten Heimmarkt, was immerhin 36 Prozent des dortigen Gesamtmarktes entspricht. Fuer 1998 erwartet Dataquest in Nordamerika 13,9 Millionen neue PCs im Home-Office-Markt sowie die Auslieferung von 14,6 Millionen Einheiten in den Business-Bereich. Aehnliche Entwicklungen zeichnen sich auch in Europa und Fernost ab. Unter Fachleuten gilt es inzwischen als ausgemacht, dass in den kommenden fuenf Jahren das Home- und Small-Office-Marktsegment die treibende Kraft des PC- Marktes sein wird. Und damit die CD-ROM als multimediale Allzweckwaffe fuer Information und Unterhaltung gleichermassen - eine Art "Wegbereiter fuer den Information-Highway", wie kein Geringerer als Microsoft-Chef Bill Gates zitiert wird.

Gates muss es natuerlich wissen und mit ihm der deutsche Apple- Marketier Jochen Schmalholz, der nicht viel vom Gerede ueber interaktives Fernsehen haelt, dafuer aber um so mehr von den Moeglichkeiten einer multimedialen CD-ROM. "Hier traeumt man nicht von Multimedia, hier kann man es am PC greifen, erleben und damit arbeiten", schwaermt der CD-ROM-Experte, und es ist in der Tat beeindruckend, wie in diesem Markt das Angebot buchstaeblich ueber Nacht in den Himmel gewachsen ist. Mehr als 15 000 CD-ROM-Titel gibt es derzeit; die Palette reicht von Software-Updates verschiedener Anbieter ueber die komplette Jahresausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", den Otto-Katalog, das Bertelsmann- oder Ullstein-Musik-Lexikon bis hin zu Lernprogrammen oder dem Baedeker-Reisefuehrer - alles mehr oder weniger komplexe Inhalte, die auf der neuen Silberscheibe Platz haben. Und dies wird, wie Schmalholz goldene Zeiten beschwoert, erst der Anfang sein. Kuenftig soll alles noch schoener, lauter und bunter werden, dann naemlich, wenn dem Apple-Mann zufolge Ende des Jahres mehr als 60 Prozent aller CD-ROM-Titel Grafik-, Sound- und Videoelemente beinhalten - Multimedia pur also.

Die Frage, wo das ganze kuenftig geladen, abgespielt oder bearbeitet wird, hat der Apple-Manager fuer sich schon beantwortet: Auf dem neuen Vorzeigeprodukt seiner Company, dem "Performa 630", laut Hersteller der weltweit erste PC, der die Funktionen eines Computers und eines Fernsehers (implementierte Karten fuer PAL-TV- und Videotext-Empfang) verbindet. Nach der Macintosh-Premiere 1984 als erstem Multimedia-PC nun also der zweite Geniestreich der kalifornischen Computerschmiede, der die Multimedia-Welt einschneidend veraendern wird?

Man wird (aehnlich wie 1984) abwarten und relativieren muessen. Eines scheint jedoch sicher zu sein: Bis dato getrennte Maerkte wachsen vielleicht nicht zusammen, viele der neuen Anwendungen lassen sich aber nicht mehr in alte Schablonen pressen, und nirgendwo sonst macht sich dies mehr und eher bemerkbar als bei den kuenftigen Endgeraeten. Immer haeufiger wird jedenfalls der PC nicht mehr nur zur Arbeit, sondern zur Unterhaltung und zur Information genutzt, und mehr und mehr finden Computerprodukte ihren Absatz ueber Wege, die bisher den Herstellern von Unterhaltungselektronik vorbehalten waren.

Was wird also demnaechst bei Otto Normalverbraucher im Buero, auf dem Schreibtisch zu Hause und in der Schrankwand stehen? Eines der Highlights der diesjaehrigen CeBIT duerfte allem Anschein nach der Multimedia-PC nach erwaehntem Apple-Muster sein; und es ist laengst kein Geheimnis mehr, dass Philips, Sony, Grundig & Co. zur Berliner Funkausstellung im Sommer mit geballter Macht zurueckschlagen werden, naemlich mit ersten Prototypen eines zur interaktiven Vernetzung faehigen Fernsehers.

Stichwort interaktiver Fernseher: Mit dem haben wahre Offline- Puristen wie Schmalholz verstaendlicherweise nichts am Hut - auch und gerade weil ihnen die derzeitigen Verhaeltnisse im Markt recht geben und weil Dienste wie Video on demand und Teleshopping technisch wie betriebswirtschaftlich noch auf Jahre hinaus Fiktion bleiben duerften. Aber wie jede Statistik und wie jedes Zahlenmaterial hat auch das vorhin zitierte seine (interpretationsfaehige) Kehrseite. Etwa dergestalt, dass in den USA bereits rund 60 Prozent aller Heim-PCs ueber einen Modemanschluss verfuegen. Die Zukunft heisst also doch Online - vor allem auch bei den privaten Konsumenten, wobei wir wieder bei Datex-J, Compuserve und natuerlich dem interaktiven Pay-TV waeren. Und da scheint manchem die Frage Fernseher oder PC noch lange nicht beantwortet.

Nicht geklaert ist aber auch, um noch ein bisschen beim interaktiven Fernseher der Zukunft zu bleiben, das Problem eines kleinen Kaestchens, das derzeit in aller Munde ist. Die Rede ist von der Set-top-Box, der Auffahrt zum schon beruehmten Information-Highway, von der momentan keiner weiss, ob sie als Stand-alone-Geraet oder als Plug-and-play-Loesung fuer den Fernseher (und natuerlich auch den PC) auf den Markt kommt - geschweige denn, wer sie auf der Basis welchen Standards bauen und anbieten wird (siehe Kasten). Die noch zu definierende Schnittstelle zwischen der Kundschaft (und damit dem Endgeraet) und den neuen interaktiven Dienstleistungen ist aber nicht nur ein riesiger (Neu-)Ausruestungsmarkt; sie ist nach dem Geschmack nicht weniger Zeitgenossen auch ein Politikum - etwa gemaess dem Motto, wessen Set-top-Box ich kaufe (miete), dessen Programminhalt und Service beziehe ich.

Nichts anderes stand und steht ja auch hinter dem Streit um die von Telekom, der Kirch-Gruppe und Bertelsmann initiierte Media Service GmbH (MSG), und man darf in diesem Zusammenhang schon gespannt sein, was sich beispielsweise auf dem deutschen Markt durchsetzen wird. Die Bandbreite denkbarer Moeglichkeiten reicht hier, wenn man den Experten glaubt, vom in der Praxis schon bewaehrten "Premiere"-Entschluesselungsgeraet ueber die standardisierte Set-top-Box einer internationalen Herstellerallianz bis hin zu den vielzitierten Decodertuermen im Wohnzimmer - eine Vision, die keiner will, auf die aber momentan alles hinauszulaufen scheint.

Auch auf die kuenftige eierlegende Wollmilchsau als allumfassende Multimedia-Konsole? Wenn es nach Knut Foeckler, Programm- und Marketing-Direktor bei SAT 1, geht, schon - weil ihn wie bei "Kommissar Rex" einzig und allein die Inhalte interessieren und er an die quasi darunterliegende Hardware nur eine Forderung hat: "Sie muss billig und idiotensicher zu bedienen sein."

Der Wettlauf um die Multimedia-CD

Ob Foecklers Wunsch in Erfuellung geht, steht indes in den Sternen. Man koennte jetzt naemlich erst recht beginnen zu philosophieren, beispielsweise ueber den staendig (nicht) gestiegenen Bedienungskomfort von PC-Software - von der schwierigen Programmierung von High-Tech-Videorekordern neuester Bauart ganz zu schweigen.

Und schon ruesten die Unterhaltungselektronik-Giganten zum Wettlauf um die Multimedia-CD der Zukunft und damit um einen etwaigen Standard, bei dem die Computerindustrie im Zweifelsfall wieder nach- und vor allem mitziehen muesste.

Bleibt dann immer noch die Frage, ob man auf das richtige Pferd, naemlich den Geschmack und das Beduerfnis der Kundschaft gesetzt hat. Fuer Bertelsmann-Vordenker Manfred Lahnstein, ohnehin kein Freund grosser Multimedia-Bluetentraeume, sind dies die immer wiederkehrenden Irrtuemer einer allzu hitzigen Branche. Der Blick in ein einschlaegiges Fachgeschaeft reiche vollkommen aus, so der Hinweis Lahnsteins auf die Pleite des HDTV-Standards fuer ein hochaufloesendes digitales Fernsehen, um dort "die Leichen der Vergangenheit zu besichtigen". (wird fortgesetzt)