Bundesanwaltschaft erzwingt Sperrung von URLs

Die deutsche Justiz versucht sich erneut in der Internet-Zensur

13.09.1996

Die Ermittler verdächtigen die Verbreiter der Publikation unter anderem des Werbens für eine terroristische Vereinigung, der öffentlichen Billigung von Straftaten und der Anleitung zu Straftaten. Speziell die beanstandete Ausgabe Nr. 154 enthält unter anderem auch einen "Kleinen Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art". Die Behörden forderten die Internet Content Task Force (ICTF), die zum Electronic Commerce Forum (ECO) e. V. gehört, auf, alle angeschlossenen Internet-Service-Providers (ISP) dazuzubringen, den Zugriff über ihre Zugangs- und Netzknoten zu sperren.

Der Rechtsanwalt Michael Schneider hat das Schreiben der Bundesbehörden im Namen der ICTF an die Provider weitergeleitet und beantwortet. In seiner im Internet zugänglichen Antwort äußert er allerdings Bedenken gegenüber der Vorgehensweise der Bundesanwaltschaft. Diese beziehen sich sowohl auf die rechtliche Verantwortung der ISP als auch auf die Art und Weise, wie der Zugang zu bestimmten Seiten gesperrt würde.

Können IP-Pakete aussortiert werden?

Die ISP hätten keine Chance, transportierte Daten zu identifizieren. Ohnehin sei eine Auswertung von IP-Paketen fragwürdig, da "individuelle Kommunikationsbeziehungen" laut Telekommunikationsgesetz nicht von Dritten ausspioniert werden dürften. Aufgrund der Struktur des Internet mit seinem Domain Name Service (DNS) kann nur durch Sperrung eines ganzen Hosts der Zugriff auf darauf befindliche Dokumente verhindert werden. Dies beeinträchtigt aber nicht den Zugriff auf die beanstandeten Informationen der betreffende niederländische Server beispielsweise arbeitet mit rotierenden IP-Nummern. Außerdem werden dadurch auch alle unkritischen Datenbestände von der Blockade betroffen. Die Seiten von Radikal finden sich auf nur einer von 3100 Homepages des Servers, der sich bereits einen Namen mit kritischen Informationen über die Church of Scientology und Informationen über die Situation der kurdischen Minderheit in der Türkei gemacht hat. Auch diese Adressen sind nun nicht erreichbar.

Trotz dieser und weiterer Bedenken erfolgte seitens der ICTF ein Aufruf an die ihr angeschlossenen Dienstleister, den Zugriff auf die kritischen URLs zunächst für die Dauer von 28 Tagen zu sperren.

Der vom Bundesanwalt eingeschlagene Weg, Zensurmaßnahmen durchzuführen, zeugt nach Ansicht der Kritiker von mangelndem Verständnis der zugrundeliegenden Technik sowie der Strukturen und Mechanismen im weltumspannenden Internet.

Die Seiten der umstrittenen Zeitschrift befinden sich nämlich bereits seit längerem in identischer Form auf einer Vielzahl von Mirror-Servern - deren Zahl wohl aufgrund der Aktion rapide ansteigen dürfte - und können dort weiterhin abgerufen werden. Auch Web-Surfer, die über einen der großen US-Onlinedienste ins Netz der Netze gelangen, sind von den Maßnahmen der deutschen Provider nicht betroffen Proxyserver bieten ebenfalls weiterhin ungehinderten Zugriff auf die Dokumente.