Leistungschwache Software nur beschränkt verwendungsfähig:

Die deutsche Arztpraxis - für die EDV verplombt

19.01.1979

MÜNCHEN (CW) - Die Grundidee, daß der Kassen-(Zahn-)Arzt über den Einsatz von EDV zu einem effizienteren Praxisbetrieb finden kann, ist zwar schon einige Jahre alt, hat an Gültigkeit aber nichts eingebüßt. Und auch das Preisniveau der Ware EDV auf der einen sowie die Wirtschaftskraft des betreffenden Kundenkreises auf der anderen Seite haben sich längst so fortentwickelt, daß für die Erschließung dieses neuen Marktsegments die wesentlichen Voraussetzungen gegeben scheinen. Trotzdem vernimmt der Beobachter ein deutliches Knirschen im Getriebe, das von ferne an die Vorgänge auf dem Textverarbeitungsmarkt erinnert.

Warum die EDV bei den niedergelassenen Ärzten nicht so recht Fuß fassen will, muß zunächst erstaunen. Wer kennt nicht die Klagen der Ärzteschaft über den immensen Papierkrieg, den das Führen einer Praxis mit sich bringt? Es wird von Zahnärzten berichtet, die ihre Praxis für einen oder mehrere Tage schließen, wenn die vierteljährliche Abrechnung mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ansteht. Und wenn ein Patient seinen Haus- oder Facharzt aufsucht, so geht dies fast nie ohne Formular ab, sei es das Rezept oder die Überweisung oder das Attest oder oder. . .

Der Nährboden für Verwaltungsvereinfachungen per EDV könnte kaum idealer sein, und dennoch, was einstweilen zu sehen ist, sind nur ein paar karge Pflänzchen, erste Vorboten. Sie blühen dort, wo Mediziner sich vom Bazillus electronicus haben anstecken lassen, wo der Computer mehr als nur ökonomische Bedürfnisse befriedigen soll.

Diesen durchaus menschlichen Spiel-und Renommiertrieb hatte denn auch die Kölner Softwarefirma DCS (Dental-Computer-Service GmbH) im Visier, die: vor zwei Jahren Deutschlands Zahnmedizinern nicht nur ein angeblich komplettes Praxisprogramm, sondern darüber hinaus auch eine "Spielediskette" offerierte, die allerlei Kurzweiliges auf den Bildschirm brachte.

An der Spielediskette dürfte es kaum gelegen haben, daß die Kölner und der mit ihnen zusammenarbeitende Hersteller (Nixdorf 8820) den Markt wieder räumten; und bis zu der beachtlichen Zahl von fast zwanzig Floppies, mit denen ein Zahnarzt im westfälischen Brilon zuletzt jonglierte, dürfte kaum noch ein anderer "Nixdorf-Zahnarzt" vorgedrungen sein.

Über das Ende der DCS im Jahre 1977 verlautete jedenfalls wenig. Dafür mag die Scham der betroffenen Zahnärzte eine wesentliche Ursache sein.

Ein wenig größer war da schon die Publizität des Falles Olivetti, der sich zuvor ereignet hatte und bei dem die Zahnärzte in Scharen vor Gericht zogen.

Vorher wie nachher hat es immer wieder Versuche gegeben, den Computer in den Verwaltungsdienst der Arztpraxis zu stehen.

Von durchschlagenden Erfolgen aber wird nicht berichtet. Analysiert man die Hemmnisse, die sich der Einführung der EDV in die Arztpraxis in den Weg stellen, so findet man eine Vielzahl objektiver, aber auch subjektiver Beweggründe, die den ursprünglichen erstaunlichen Tatbestand sehr viel erklärlicher erscheinen lassen.

Zunächst ist da der Announcementeffekt, den die schlechte Erfahrungen aus den ersten Begegnungen mit der EDV in der Ärzteschaft hinterließen. Das gut ausgebaute Kommunikationsnetz zwischen den Medizinern erweist sich für die Computerbranche als rechte Crux.

Man kann auch nicht sagen, daß die EDV-Leute allzu viel dafür täten, die Verständigungsschwierigkeiten mit diesem potentiellen Abnehmerkreis zu vermindern. Symptomatisch ist die Werbeschrift der Münchner Praxmed GmbH (sie hält sich auf fünf Jahre Dienst am Arzt etwas zugute), in der der Kunde angesprochen werden soll mit dem Satz: Es steht minimal ein Plattenspeichergerät mit zwei Speicherplatten und einer Gesamtkapazität von 15 Mio.-Zeichen zur Verfügung. Ob damit ein nachhaltiger Eindruck zu erzielen ist, darf bezweifelt werden.

Andererseits gestaltet sich auch der Zugang zum deutschen Gesundheitswesen - und damit zum Arzt - für den Laien ausgesprochen dornenreich.

Wer in die diffizile, aus langer Tradition gewachsene Systematik der Fachbegriffe, Mantelverträge, Durchführungsbestimmungen einsteigen will, um dadurch die Grundlagen der Führung einer Arztpraxis transparent zu machen, muß bereit sein, vorübergehend in die Rolle eines Rechtshistorikers und Mediziners zu schlüpfen.

Daß die Ärzte einen Berufsstand darstellen, dessen Mietglieder stets ihre persönliche Freiheit betonen und verteidigen, ist bekannt, und so nimmt es nicht wunder, daß auch aus dieser Richung Widerstände gegen die vergeblich gleichmacherische und gängelnde Wirkung der EDV kommen.

Die Situation ist einigermaßen verfahren. Die Ärztevertreter und Krankenkassen wollen am liebsten alles beim alten belassen und sich zusätzlich die Vorteile der EDV sichern. Für die Computerbranche ist von größter Bedeutung, daß zunächst im Gesundheitswesen einige alte Zöpfe abgeschnitten werden.

Zwischen den Fronten befindet sich der Arzt. EDV-Häuser werden ihm auch weiterhin ihre Produkte anbieten; doch solange der Einsatz des Computers aufgrund der Gegebenheiten im Gesundheitswesen nur Hilfs-Lösungen erbringt, wird der Kunde Arzt zurückhaltend bleiben.