Die Computer-Spione packen aus (II)

25.04.1975

Bisher:

Im Neckermann-Rechenzentrum in Frankfurt waren E. Schwarz und H. Maier kurz vor Weihnachten 74 beim Fotografieren von Wartungsunterlagen für die dort installierte 370/168 festgenommen worden. Schwarz erzählte der Polizei, mit wem er bisher Geschäfte gemacht hatte. Als einige Tage später Karl Amann und Anton Berberich mit Schwarz über die Provision für ein normales innerdeutsches Gebrauchtcomputergeschäft sprechen wollten, wurden sie festgenommen. Die Polizei glaubte, die großen Drahtzieher im unerlaubten Ostgeschäft, die Zentrale eines Spionageringes gefunden zu haben. Was sie erfuhren war zunächst, wie und wo man Computer und Zubehör notfalls schneller oder billiger bekommt als bei der nächstbesten Hersteller-Niederlassung.

Wer Karl Amann heute eine Reval anbietet, holt sich bestimmt einen Korb. "Das waren die einzigen Zigaretten, die sie in Köln hatten", sagt er erläuternd dazu. Und Köln hieß für den Geschäftsmann vier Wochen strenge Einzelhaft. Hieß Kummer mit dem siebenjährigen Sohn, dem man gar nicht vernünftig erklären konnte, warum Pappi Silvester nicht zu Hause, sondern im Knast verbrachte.

Auf die vernünftige Erklärung wartet Amann selbst allerdings auch noch. Einziges Ergebnis, das die Verhaftungsaktion "Computerspione" bei ihm inzwischen erbracht hat: das Finanzamt teilte ihm mit, daß er in seiner letzten Einkommensteuererklärung 375 Mark zuviel abgezogen habe - Mehraufwand für Verpflegung von täglich DM 3, - wegen mehr als 12stündiger Abwesenheit von Zuhause könne er nicht geltend machen.

"Als die wutschnaubend feststellten daß bei uns nichts zu holen war, haben sie die ganzen Unterlagen der Steuer- und der Zollfahndung in die Hand gedrückt. Nachdem sie uns das Finanzamt und den Zoll auf den Hals gehetzt hatten, sind sie wieder gegangen, erzählt er.

Was ihn dabei ärgert ist weniger die nach dem bisherigen Ergebnis zu erwartende Steuernachzahlung als vielmehr die Verwendung der Steuergelder: "Die haben einen fürchterlichen Aufwand getrieben. Teilweise haben sie bis zu 30 Leute im Einsatz gehabt. Mich haben sie zu dritt im Zivilfahrzeug von Pontius zu Pilatus gekarrt - das muß irrsinnig teuer gewesen sein."

Männer frei - Konten gesperrt

Der staatliche Aufwand macht Amann allerdings weniger Kummer als sein eigenes Geld, das nicht mehr da ist: bei Amann und Berberich beschlagnahmte die Polizei insgesamt 170 000 Mark - alles, was auf den Konten war. Inzwischen sind die Männer zwar wieder frei, aber ihr Geld noch nicht. Außerdem ging den beiden ein Auftrag durch die Lappen, solange sie in U-Haft saßen: einen Auftrag über einen gebrauchten Computer konnten sie nicht ausführen, weil aus der Zelle heraus keine Maschine angekauft werden konnte. Schaden insgesamt zwischen 150 000 und 200 000 Mark. Das ist nicht nur entgangener Gewinn - allein 50 000 Mark muß für das Geschäft an Provision an einen Vertreter gezahlt werden: der hat den Auftrag gebracht und will Geld sehen - er kann ja nichts dafür, daß aus dem Geschäft nichts wurde. "Wir hoffen, daß bald Anklage erhoben wird oder das Verfahren eingestellt wird."

Anwaltshonorar für die Katz?

"Bevor das nicht der Fall ist, kann ich keine Schadenersatzforderung geltend machen. Nicht einmal meine Anwaltskosten kriege ich wieder, wenn es keinen Prozeß gibt", meint Amann. Bisher haben allein Amann und Berberich 15 000 Mark an Anwälte bezahlt - allerdings war das Resultat begrenzt, denn seit Jahresbeginn bemühen sich die Anwälte vergeblich um Akteneinsicht. "Bei den Behörden drücken sie sich konstant. Keiner traut sich, was Konkretes zu sagen",ärgert sich Amann.

Weder Amann noch Berberich können einen Grund dafür sehen, daß man ihnen geheimdienstliche Tätigkeit vorwirft. Und sie sehen auch bei Schwarz keinen. "Der kann doch nur Sachen geliefert haben, die sowieso jedem IBM-Kunden zur Verfügung stehe."

EDV-Unterricht für Polizisten

"Wir mußten den Ermittlungs-Leuten erst einmal vierzehn Tage lang Unterricht in EDV geben. Die wußten gar nicht was sie suchen sollten. Die haben uns verhaftet und hatten keine Ahnung, was sie fragen könnten", erzählt Berberich. "Ich hatte den Eindruck, die haben zwölf Leute festgesetzt und sich dann gefragt, was sie wohl gegen die ermitteln könnten."

Eines der wenigen sicheren Ergebnisse der ganzen Aktion ist die Feststellung, daß es in Deutschland offenbar keine Computer-Polizei gibt. Da wurden bei einer Hausdurchsuchung alte Interdata-Prospekte ebenso mitgenommen wie zwei Dosen Beck's Bier - aber IBM-Ersatzteile blieben liegen. Zwei Walkie-talkies wurden beschlagnahmt - die hatte der Besitzer mal gebraucht, als eine größere DV-Einheit mit einem Kran in der dritten Stock gehoben werden mußte. Von der "russischen Kleinbildkamera im Wert von mehreren tausend Mark" (so stand es in einer Zeitung) sagt ihr Eigentümer: "Die können Sie bei Quelle für 99,50 DM kaufen. Praktisch brauchbar ist das Ding, um 24 x 36-Aufnahmen zu machen - aber das Objektiv ist so mies, daß ich sie schon lange nicht mehr benutzte".

Stempel machen keine Staatsgeheimnisse

Es ist eine alte Weisheit aller Soldaten und Sicherheitsfachleute: Gefährdet ist in erster Linie das Material, das den Stempel "Geheim" oder die Aufschrift "vertraulich" trägt. Denn solche Vermerke sind geradezu Wegweiser für Neugierige. Prompt packte denn die Polizei auch in erster Linie das ein, wo "confidential" draufstand - ganz egal ob es von IBM, Honeywell, Telex oder einer anderen Firma stammte; ganz egal wie alt es war und worauf es sich bezog. Kartonweise gab man solches Material inzwischen zurück - die Firmenintimitäten erwiesen sich als legale Andenken an einstige Arbeitgeber oder anderes, geschäfts-und berufsübliches Material.

Elf Beamte staunten

Beschlagnahmt wurden bei einem Betroffenen drei leere Video-Bänder, auf denen man Fernsehsendungen aufzeichnen kann. Die Polizei wollte wisse, "was da für Daten drauf sind". Und beschlagnahmt wurde auch eine "Tonspule". Als man ihren Eigentümer fragte, was denn darauf sei meinte der, das müßten sich die Beamten schon selbst ansehen. Er wußte wo das Ding herkam: in Bierlaune hatte er einmal um 30 Mark mit seiner Sekretärin gewettet, daß sie sich doch nicht traute, so eine einzukaufen. Die hatte sich aber getraut, hatte 30 Mark gewonnen - und seitdem lag das Ding in irgendeiner Ecke im Büroschrank. Immerhin machte die Spule dann aber elf Beamten Freude, die den Inhalt zusammen mit dem verhafteten Eigentümer ansahen: die angebliche Tonspule war in Super-8-Porno-Film

"Wir verkaufen schon lange in den Ostblok"

Siemeins-Rechner werden schon seit einigen Jahren in den Ostblock verkauft" berichtet Siemens-Pressemann Mahr. "Die ganze Altersversorgung in der CSSR lauft über Siemens-Rechner: die tschechische Rentenversicherungsanstalt in Prag hat eine 4004/135 - die slowakische rechnet in Bratislava auf der 4004/45 des Rechenzentrums der Staatsbahnen."

In Ungarn waren 1973 schon zehn Siemens-Computer installiert, darunter eine 4004/150 beim ungarischen Finanzministerium. Auch in der Sowjetunion rechnen deutsche Maschinen. "Die Brüder Siemens waren schon im vorigen Jahrhundert zu Geschäften in Petersburg - wir haben seit langem gute Verbindungen zum Osten", heißt es in München. Von Komplikationen durch Außenwirtschaftsbestimmungen ist keine Rede.