Big Blue baut das Behördengeschäft aus

Die BVS verkauft ihre IT-Tochter Disos an die IBM

28.11.1997

Die Privatisierung staatlicher Betriebe war ihre Aufgabe; jetzt geht sie selbst mit gutem Beispiel voran: Sofern der Bundesfinanzminister nicht doch noch sein Veto einlegt, wird die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS), Berlin, zum 1. Januar 1998 - etwa ein Jahr vor ihrer mutmaßlichen Auflösung - ihre IT-Tochter Disos GmbH an die IBM GmbH veräußern.

IBM will Disos zur Kernzelle eines Kompetenzzentrums für Bundes- und Landesbehörden machen. Ganz nebenbei verleibt sich der blaue Riese damit drei weitere Outsourcing-Kunden ein: Nicht nur die BVS, sondern auch die Bodenverwaltungs- und -verwertungsgesellschaft (BVVG) und die Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG), beide ebenfalls dem Bundesministerium für Finanzen unterstellt, beziehen ihre IT-Services von Disos. Vier Fünftel der 1996 erzielten Gesamteinnahmen in Höhe von rund 75 Millionen Mark stammen, so Marketing-Leiterin Claudia Keusch, aus den langfristigen Verträgen mit den drei Bundesbehörden.

Daneben ist es der ehemaligen Treuhand-IT aber gelungen, ihre Produkte und Dienstleistungen auch privatwirtschaftlichen Unternehmen zu verkaufen. Wie Keusch erläutert, handelt es sich dabei vorzugsweise um Projekte in den Bereichen Netzinfrastruktur, R/3-Applikationen und Archivierung. Spezielles Know-how habe das Unternehmen auf dem Gebiet der Liegenschaftsverwaltung vorzuweisen, und mit dem Archivsystem "Dachs" sowie dem Workflow-Produkt "Divos" verfüge es über eigene Softwareprodukte. Zu den Disos-Kunden zählten unter anderem die Landeszentralbanken in Baden-Württemberg und Brandenburg sowie die Allgemeine Hypothekenbank in Frankfurt am Main.

Gehversuche inmitten politischer Erdbeben

Die Privatisierung war laut Keusch schon beschlossene Sache, als Disos vor drei Jahren aus der Treuhand ausgegliedert wurde. Damals mußte das frischgebackene IT-Unternehmen seine ersten Gehversuche inmitten der "politischen Erdbeben" (Keusch) unternehmen, die das Ende der Treuhand begleiteten. Um solche Störeinflüsse diesmal auszuschließen, habe sich die BVS vorgenommen, den Disos-Verkauf abzuschließen, bevor sie im kommenden Jahr ihre Arbeit beendet.

Neben der IBM hatte vor allem die Thyssen Telecom AG um Disos gebuhlt. Sie scheiterte unter anderem daran, daß die TLG Vorbehalte gegen einen Dienstleister vorbrachte, der ebenfalls im Immobiliengeschäft tätig ist.

IBM wird nach einem Bericht der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" 34 Millionen Mark für Disos zahlen - ein günstiger Preis für ein Unternehmen, dessen Planzahlen für dieses Jahr einen Umsatz von mehr als 80 Millionen Mark ausweisen und das 1996 ein Betriebsergebnis von knapp zehn Millionen Mark erzielte. Keusch hält dem entgegen, daß Disos mit "gebremstem Gewinnstreben" agiere, sprich: dem Bund "faire" Preise in Rechnung stellen wolle. Darüber hinaus wird das Unternehmen im nächsten Jahr wohl erst einmal den Wegfall des Kunden BVS verkraften müssen.

Im Rahmen der Übernahmevereinbarungen verpflichtet sich die IBM, zumindest für zwei Jahre alle 280 Festangestellten weiterzubeschäftigen sowie in die rund 100 befristeten Arbeitsverträge einzusteigen. Die Disos GmbH soll als eigenständige GmbH weitergeführt werden. Mittelfristig erwartet Keusch, daß die Vertriebskanäle der IBM zu einem merklichen Wachstum des Disos-Geschäfts führen.