Die totgesagten Blasenspeicher leben im verborgenen weiter:

Die Bubble-Renaissance findet im Weltall statt

26.03.1982

MÜNCHEN - Ende der 70er Jahre jubilierten Datenverarbeiter weltweit über eine Erfindung, die unter der US-Patent-Nummer 3 460 116 der Öffentlichkeit zehn Jahre zuvor vorgestellt wurde und nach einer Dekade technischer Reifung die Datenspeicher-Technik zu revolutionieren versprach: der Magnetblasen-Speicher. Inzwischen ist die Begeisterung abgeflaut. Nur noch wenige Hersteller teilen sich den weltweiten Markt - der Bubble scheint geplatzt. Als Ursache für den "Knall" sehen Marktbeobachter das vermeintlich schlechte Preis-/Leistungsverhältnis des Super-Speichers. Die Forschung steht jedoch nicht still -Experten prognostizieren eine Bubble-Renaissance.

Die Hoffnung der Bubble-Profis gründet sich auf bestimmte Vorzüge des Magnetblasen-Speichers. Der "nichtflüchtige Schreib-/Lesespeicher" (so die Bubble-Definition) zeichnet sich durch extreme Datensicherheit bei äußerst geringer Störanfälligkeit und langer Lebensdauer aus. Da es sich um einen rein elektronischen Speicher ohne Mechanik handelt, ist der Bubble unter extremen Bedingungen einsetzbar.

Als Grundmaterial für Blasenspeicher dient der nichtmagnetische Gadolinium-Gallium-Granat (GGG), einer der reinsten Einkristalle der Erde. Auf diese Substanz, die nur mit extremer Präzision bei der Herstellung gewonnen werden kann, wird eine dünne Schicht weichmagnetischen (also leicht beeinflußbaren) Ferrit-Granats in einem Kristallwachstumsverfahren aufgebracht. In diesem Film verläuft die Magnetisierung senkrecht zur Schicht. Es bilden sich magnetische Domänen, die bei unterschiedlicher Größe eine dem Film entgegengesetzte Feldrichtung aufweisen.

Diese "Domänen" schrumpfen durch Anlegen eines geeigneten Permanentmagnetfeldes, das von oben und unten auf den Film einwirkt. Bei einer bestimmten Feldstärke verkleinern sich die Domänen zu einem zylindrischen Magnetfeld - den Blasen.

Das Permanentmagnetfeld ist als Vorspannung zu verstehen, die die Größe der Blasen bestimmt. Nach Fertigungs eines Speichers wird ein zusätzliches Magnetfeld angelegt, mit dem die Blasen an einer bestimmten Stelle des Speichers generiert oder gelöscht werden.

"Magnetschwebebahn" für Bubbles

Um diese eigentlichen Informationsträger gezielt zu bewegen oder im Ruhestand zu halten, sind auf diesem Speicherfilm sogenannte "Permallopy-Pfade" aufgebracht. Diese winkelförmig angelegten Pfade bestehen aus einer Nickel-Eisen-Legierung. Wegen der leichten Magnetisierbarkeit und Entmagnetisierbarkeit der Legierung können die Blasen

auf diesen auch Chevron-Pfade genannten "Schienen" gezielt bewegt werden. Zum Verständnis wichtig ist, daß diese Blasen physisch nicht greifbar und nur mit einem megnetostatischen Mikroskop sichtbar sind.

Hersteller dieser Blasenspeicher waren einst Rockwell, Texas Instruments, National Semiconductor und Intel. Aus dieser Riege ist nur noch Intel am Weltmarkt zu finden. Wie es heißt fertige inzwischen aber auch Fujitsu Bubbles in mittleren Stückzahlen für die japanische Post. Einsteigen wolle auch Hitachi in Kooperation mit Motorola.

Zur Zeit produziert Intel nach eigenen Angaben Bubbles mit einer Speicherkapazität von einem Megabit. Bis Ende 1982 soll jedoch ein vier Megabit-Speicher auf den Markt kommen. Einsetzbar sind diese Speicher in einem Temperaturbereich von -20 bis +85° Celsius. Die "military"-Version mit einem Temperaturbereich von -55 bis + 100 Grad soll ebenfalls noch in diesem Jahr fertiggestellt werden.

Einsatzmöglichkeiten ergeben sich nach Aussagen der Experten nicht nur auf militärischem Sektor. Auch in der Weltraumfahrt, für die Rockwell ursprünglich die ersten Blasen produzierte, findet der Chip immer stärker Verwendung.

Aber auch im Telekommunikationsbereich wähnen die Intel-Manager Einsatzmöglichkeiten. So beabsichtigt die kanadische Mitel für diese Zwecke noch dieses Jahr 2000 Bubble-Systeme von Intel abzunehmen und in Kürze dann selbst in Lizenz zu fertigen.

Peter Sommerer, Geschäftsführer der deutschen Mitel GmbH in Frankfurt, begründet die Entscheidung seiner US-Bosse für dieses Speichermedium mit den spezifischen Umwelterfordernissen des Telekommunikationssektors: Es ist für fernmeldetechnisches Gerät nichts Außergewöhnliches, die Umweltspezifikationen auszuweiten. Der Mitel-Chef führt hier als Beispiel eine Luftfeuchtigkeit von 0 bis 95 Prozent an. Die Speicher werden in dem digitalen Vermittlungsgerät SX 2000 des Unternehmens eingesetzt und dienen als Hauptspeicher für die Betriebssoftware und die Kundendaten.

Axel Schultze, Application Manager Europe der Rockwell International, München und Autor eines Buches über Magnetblasenspeicher, sieht die Vorteile dieser Speicher-Technologie im Telekommunikationssektor in der hohen Datensicherheit. Selbst bei Abschalten des Systems blieben die Daten voll erhalten. Die derzeitigen RAMs in öffentlichen Netzen verlangten zudem umfangreiche Pufferungen, die bei Bubbles nicht mehr notwendig wären, erläutert der Rockwell-Manager.

Einsatz in rauher Umgebung

Ein anderes Einsatzgebiet für Magnetspeicher findet man bei der Siemens AG. Hier werden diese Datenträger im Bereich "Messen-Steuern-Regeln" auf der "Europakarte" angeboten. Hier dienen die Blasen als Ersatz für andere Speichermedien in rauher Umgebung konstatiert Uwe Lamann, Leiter des Produktvertriebes für Mikrocomputer Baugruppensysteme: Der Einsatz dieser Technologie befinde sich noch in den Kinderschuhen. Eine zusätzliche Erklärung findet Lamann in dem immer noch hohen Preis der Bubble-Chips. Da man in diesem Bereich mittlere Datenkapazitäten benötige, stünden die Blasen insbesondere in Konkurrenz zu CMOS-Speichern. Komplexere Systeme zur Prozeßsteuerung und -überwachung rechtfertigten jedoch den Einsatz dieses neuen Mediums.

Nur bei Ausnutzung der gesamten Speicherkapazität sei nach Lamanns Worten das Verhältnis Wort/Speicherpreis akzeptabel. Indes meldete Siemens unlängst eine für den Anwender positive Entwicklung: Preissenkung um 25 Prozent. Ein Preisrutsch steht auch bei Siemens-Lieferant Intel bevor; Hier kalkulieren die Bubble-Gurus mit jährlichen Preisreduzierungen um 30 Prozent.

Dennoch verzeichnete die amerikanische Halbleiter-Schmiede mit ihren drei verfügbaren Produktvarianten ein stetiges Umsatzplus. Betrugen die Einnahmen 1980 noch rund 30 Millionen Dollar, so stiegen sie 1981 auf 50 Millionen und sollen sogar in diesem Jahr die 100-Millionen-Grenze erreicht haben.

Zurückhaltung beim Anwender

Die Zurückhaltung des Marktes, auf dem man sich vor zwei Jahren noch einen dicken Reibach erhoffte, liegt nach Meinung von Insidern nicht allein an der Technologie. Einerseits hätten die Hersteller konventioneller Speicher mit einer aggressiven Preis- und Produktpolitik auf die Bubble-Aktivitäten reagiert und so das Preis-/Leistungsverhältnis der Blasenspeicher indirekt verschlechtert. Zum anderen sei auf der Anwenderseite durch die beginnende Rezession vor zwei Jahren die Investitionsbereitschaft abgesunken.

Mit "Marktschwäche" begründen auch die "Aussteiger" Rockwell, Texas Instrument und National Semiconductor ihre Produktionsstopps. Bei der Texas Corp. - die ihre Chip-Produktion Anfang 1981 einstellte - werden nur noch in den tragbaren Terminals "763", "7656" und "767" Speicher eigener Herstellung eingebaut.

National Semiconductor zog die Bremse im August: Eine Revision ergab, daß die Ausgaben bereits fünf Millionen Dollar ausmachten, wahrend die Verkäufe unter einer Million lagen, erläutert eine Pressesprecherin des Unternehmens.

Hohe Investitionskosten, die sich auch in den Bubble-Preisen niederschlagen, werden durch eine extreme Präzision in der Fertigung (insbesondere bei der Herstellung der Kristalle) hervorgerufen. Doch zeigten sich am Anfang der Entwicklung auch Macken in der Baustein-Umgebung. So ist es Intel erst kürzlich gelungen, die Steuereinheit fehlerfrei so zu gestalten, daß der Chip auf eine Europakarte passt, bestätigen Siemens-Entwickler. Vorher waren zwei Karten und zusätzliche Hardware-Tricks vonnöten.

Eine Chance, dem Bubble doch noch zu einem Durchbruch zu verhelfen, bietet die Weltraumtechnologie. Nach Meinung von Experten sei die Fertigung wichtiger Chip-Elemente in der "Mikro-Athmosphäre" durchaus denkbar. Möglichkeiten für die Industrie, Werkstoffe im All zu testen und zu produzieren bieten sich heute mit dem "Spacelab-Projekt" an. Dies erläutert auch Götz Wange, Pressesprecher der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. aus Köln. Dennoch habe sich in Voruntersuchungen zu Spacelab auf dem Gebiet der Werkstoffkunde gezeigt, daß über die Reaktionen der Materialien in der Schwerelosigkeit noch sehr viel zu lernen sei. Inzwischen sind allerdings schon Vorversuche im Rahmen des Texus-Raketenprogrammes zur Kristallzucht (in diesem Fall Silizium) durchgeführt worden. Die Klärung der Prozesse im All könnte den Ausschuß bei der Chip-Produktion herabsetzen. Diese Versuche seien auch für andere Kristalle, so GGG, denkbar.

Daß sich der "irdische" Bubble für den Weltraum eignet, beweist schon seine Entstehungsgeschichte - ob sich der "himmlische" Bubble zum kommerziellen Massenprodukt auf der Erde mausert, zeigt die Zukunft.

Kuriosum am Rande: Versuche bei Raumfahrtunternehmen haben gezeigt, daß der Magnetblasenspeicher zwar eine Bestrahlung von sehr hoher Dosis schadenfrei übersteht, leider aber der Silizium-Steuerchip dann schon lange seinen Geist aufgegeben hat.