Von der Standbildübertragung bis zum Business-TV, Teil 1

Die Bildverarbeitung orientiert sich zunehmend am Medienbereich

23.08.1991

Technische Fortschritte erlauben es den Anwendern aus diversen Branchen bereits heute, sich der Bildverarbeitung als Bestandteil der Bürokommunikation zu bedienen. Zunehmende Bedeutung gewinnt dabei der Medienbereich - repräsentiert durch das Business-TV (BTV). Dirk Nouvortne* beschreibt die verschiedenen Bildübertragungsmöglichkeiten mit ihren betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Potentialen.

Vielfach begegnet man im Geschäftsleben Situationen, wo man von entfernter Stelle einem Ansprechpartner ein Objekt verbal, etwa via Telefon, beschreiben muß. Dies kann nur ein notdürftiger Behelf sein. Je nach Tragweite der Problemstellung ist es notwendig, daß ein Experte in der Zentrale eine Reise unternehmen muß, um sich vor Ort "ein Bild" von dem Objekt zu machen. In anderen Situationen kann die Notwendigkeit bestehen, Bildmaterial zu versenden, beispielsweise im Zusammenhang mit einer Abstimmung über visuelle Gestaltungsmöglichkeiten von Produkten oder aus aktuell/informatorischen Beweggründen.

Betriebswirtschaftliche Probleme treten hier unter ökonomischen Aspekten in Folge von Produktivitätseinbußen sowie Transferkosten und durch Zeitverluste (Reaktionszeit) auf.

Die Reisetätigkeit von Experten ist nicht nur kostenintensiv, sondern führt zu Produktivitätsverlusten, da der Zeitaufwand für Reisen in der Regel zu groß ist (siehe hierzu insbesondere die Ausführungen zur Videokonferenz). Der Zeitaspekt soll hier am Beispiel eines typischen Ablaufs eines Industrieversicherers näher betrachtet werden. Anläßlich von Revisionsuntersuchungen technischer Großanlagen werden häufig Versicherungsexperten mit hinzugezogen, um schnell, das heißt möglichst vor Ort, zu einer Entscheidung über den fortgesetzten Einsatz von Maschinen zu befinden. Bei komplexen technischen Konfigurationen ist dies vielfach ohne Rücksprache mit Experten anderer Fachdisziplinen nicht möglich.

Die Tragweite der Entscheidungen von Versicherungsfachleuten vor Ort ist häufig groß. Bei Entscheidungsverzögerungen, wenn Maschinen außer Kraft gesetzt werden, treten möglicherweise Betriebsunterbrechungsschäden auf. Gibt man jedoch einer weiteren Inbetriebnahme statt und es kommt zum Schadensfall, kann es andererseits zu einem Haftpflichtschaden kommen.

Hier gilt es, zu einem Optimum zu gelangen, das bei einem Minimum an Risiko und Reiseaufwand zu einer hohen Entscheidungsqualität führt. Für solche Fälle lassen sich Standbildübertragungssysteme ideal nutzen. Vor Ort werden von dem Schaden beziehungsweise dem Objekt Aufnahmen gemacht, die dann unter Nutzung des Telefonnetzes beziehungsweise des ISDN mittels eines Standbildübertragungssystems versendet werden. So lassen sich binnen kürzester Zeit Expertisen von unterschiedlichen Fachleuten an unterschiedlichen Orten einholen.

Opto-elektronische Archive reduzieren Sachaufwand

Im hier betrachteten Fall handelt es sich bei dem Standbildübertragungssystem um ein digitales Farbbildsystem, bestehend aus Farbbildmonitor, Prozessoreinheit und Tastatur. Optional besteht die Möglichkeit, Videoprinter und eine wiederbeschreibbare Bildplatte (M/O-Speicher) anzubinden. In der Nutzung des analogen Telefonnetzes kommt additiv an jedem Standbildübertragungssystem noch ein Modem hinzu.

Je nach organisatorischen Anforderungen und entsprechender Menge an Niederlassungen, wo das stationäre Standbildübertragungssystem eingesetzt wird, lassen sich ganze Netzwerke konfigurieren. Dabei besteht optional die Möglichkeit, Bilddatenbanken zu unterschiedlichen Themenbereichen (im Versicherungswesen etwa Meßtechnik, Werkstoffprüfung, Umweltschutz etc.) aufzubauen, auf die dann legitimierte Personen zugreifen können.

Dieses Szenario bietet darüber hinaus die Option, die Berichterstellung und -archivierung auf ein anderes Niveau zu heben. Mit der analogen Bildspeicherung lassen sich auf komfortable Weise opto-elektronische Archive aufbauen, die einen Beitrag zur Reduzierung von Such- und Rekonstruktionsaufwand leisten. Der gesamte Erfahrungsschatz eines Unternehmens beziehungsweise eines Bereichs, der aufgrund des hohen Suchaufwands brachlag, kann für Mitarbeiter komfortabel bereitgestellt werden. Durch Integration etwa von Grafiksoftware sowie von DTP-Systemen, besteht außerdem die Möglichkeit, auch die Präsentation von Bild- und Textmaterial qualitativ anzureichern. Hier wird deutlich, daß ein Verbunddokument, bestehend aus Bild und Text, einen entscheidenden Beitrag zur qualitativen und produktiven Verbesserung von Abläufen leistet. Zudem wird mit der Möglichkeit, neue Peripherieeinheiten wie Diabelichter und Scanner, in eine Hardwarekonfiguration einzubeziehen, das Hardwaresystem wesentlich komplexer (Abbildung 1).

Von Nachteil bei gewissen Applikationen ist der stationäre Charakter verschiedener Standbildübertragungssysteme. Sinn macht ein stationäres System bei Werbeagenturen oder Verlagshäusern. Im Bereich des Versicherungswesens gibt es jedoch Anforderungen, die einen mobilen Einsatz erfordern. Hier existieren bereits Entwicklungen verschiedener Herstellern, auch das C- oder D-Netz zu nutzen und so mobile Einheiten anzubieten.

Die nächste Stufe im Rahmen der Bildkommunikation ist die Videokonferenz. Dies ist wohl die Form der Bildkommunikation, die am häufigsten diskutiert wird. Mit dem vorläufigen Breitbandnetz (VBN) und Preisreduktionen im Endgerätebereich, sind Voraussetzungen gegeben, die eine weitere Verbreitung des Dienstes unterstützen. Unzweifelhaft sind auch die Nutzerzahlen des Dienstes gestiegen, jedoch in einem Ausmaß, das den Möglichkeiten dieser Kommunikationsform nicht gerecht wird. Dies scheint zwei Ursachen zu haben:

- Gebühren/Preise der Telekom und

- Standardisierungsfragen

Für den Anwender ist es problematisch, für einen noch kaum verbreiteten Dienst pro Anschluß ein Bereitstellungsentgelt in Höhe von 12 000 Mark beziehungsweise bei einer Bindung von fünf Jahren von 200 Mark pro Monat aufzubringen (zuzüglich Grundkosten für den Videoregelanschluß von 1500 Mark plus Gebühren).

Wenn man auch Verständnis dafür haben muß, daß bei Nutzung des VBN für Verbindungen innerhalb Deutschlands ein Glasfaseranschluß von dem postalischen Knoten zum Anwender gelegt werden muß, der finanziert sein will, ist trotzdem die Summe allein für den Betrieb durch den Anwender aufzubringen. Hinzu kommt die Investition in die Endgeräte. Hierbei ist beachtenswert, daß aufwendige Studiotechnik aufgrund der Fortentwicklung bei den Endgeräten nicht mehr notwendig ist.

Bisheriger Mangel an Breitband-PABX-Systemen

Auch rein technische Probleme verursachen beim Benutzer Unsicherheit, die ihn von einer größeren Nachfrage dieses Dienstes abhalten. Zum einen stellt sich die Frage nach der Übertragungsrate. Zur Auswahl für den Dienst stehen zwei MB und 140 MB. Für die nationale Nutzung des Services bietet sich der 140-MB-Videokonferenzdienst an, der im Vergleich beider Modi miteinander eine ungleich bessere Qualität bietet. Für den internationalen Videokonferenzverkehr ist aber nur der 2-MB-Modus verfügbar, der neben Qualitätseinbußen für den Anwender den Nachteil mit sich bringt, Konferenz- beziehungsweise Vermittlungszeiten reservieren zu müssen. Dagegen wird beim Dienst mit 140 MB die Verbindung wie beim Telefonieren im Selbstwahlverfahren, also ad hoc, realisiert. Unsicherheit ist zusätzlich durch die Statements über das Breitbandkommunikationsnetz (IBCN), in dem alle Dienste inklusive der Breitbanddienste bis 150 MB zusammengefaßt sind, gegeben. In dieses Netz gehen neben dem VBN das Videoverteilnetz und das ISDN ein. Für die Bildkommunikation sind Anwendungen mit mehr als 2 MB Übertragungsgeschwindigkeit relevant. Dazu gehören die Standardvideoverteilung (34 MB) und zukünftig die HDTV-Videoverteilung mit 140 MB.

Auch die Schnittstellen im Videokonferenzbereich sind der Standardisierung unterworfen, hier insbesondere die im 2-MB-Bereich. Mit dem neuen Standard der CCITT "H 261" wird das Ziel verfolgt, gerade bei dieser Bandbreite eine Verbesserung der Qualität und Dienstgüte herbeizuführen. Auch ist man bemüht, mit dem neuen 2-MB-Dienst den Selbstwahlmodus als Leistungsmerkmal anzubieten.

Die Frage der Organisation von Videokonferenzen bekommt mit zunehmender Verbreitung des Dienstes auch im Inhouse-Bereich eine neue Dimension. Mit der neuen Endgerätegeneration wird der BildSchirm-Arbeitsplatz auch zu einer Videostation. Insbesondere im Managementbereich kommen Workstations mit eingebauter Videokamera immer häufiger zum Einsatz. Dies wirft natürlich die Frage nach einer Vermittlungseinheit, analog einer Telefonanlage (PABX), auf. Leider ist auf dem Markt noch kein produktreifes Breitband. PABX-System vorhanden. Abbildung 2 zeigt den Bedarf an, auch in diesem Sektor Vermittlungsanlagen mit der Option der Selbstwahl für Videokonferenz-Sessions innerhalb und außerhalb von Unternehmen zu entwickeln.

Im Zusammenhang mit dem Nutzen des Videokonferenzdienstes wird häufig die Ersparnis an Reisekosten herausgestellt. Dieses Argument läßt sich messen, ist aber als wirtschaftlicher Nutzen bei der Bewertung der Videokonferenz zu oberflächlich.

Der wirtschaftliche Erfolg einer Telekommunikationsanwendung ist vielfach von dem Einfluß auf die Arbeitsproduktivität abhängig. Häufig müssen Informationsträger auswählen, an welchen Terminen sie bei Zeit- und Ortsüberschneidung teilnehmen sollen. Eine Entscheidung fällt nach der Wichtigkeit der persönlichen Präsenz entweder am eigenen Arbeitsplatz oder bei den Besprechungsterminen an anderen Orten (Opportunitätskostenbetrachtung).

Die Videokonferenz ermöglicht die Durchführung von mehr Besprechungen von Angesicht zu Angesicht. Damit läßt sich die Produktivität von Informationsträgern erhöhen. Sie ist ein Telekommunikationswerkzeug, mit dem zusätzliche Kommunikation ohne unproduktiven Zeit- und Reiseaufwand möglich wird. Termine lassen sich vereinbaren, die sonst aufgrund von Zeitengpässen gar nicht erst angetreten werden könnten.

Darüber hinaus ist der Nutzen zu beachten, der sich aus der höheren Verfügbarkeit von Experten ergibt.

Der Produktivitätsaspekt läßt sich anhand einiger Situationen verdeutlichen.

1. Ungewißheit bei Abwesenheit: Ein Geschäftsreisender ist ohne direkte Verbindung zu seinem Büro und kann nur unzureichend den Kontakt aufrechterhalten.

Während er in einem Verkehrsmittel seinem Besprechungsziel zustrebt, könnten Ereignisse eintreten, die seine Anwesenheit als wünschenswert erscheinen lassen.

2. Zielorientierte Kommunikation: Videokonferenzen sind im allgemeinen kürzer als konventionelle Besprechungen, da sie zielorientierter ablaufen. Es ist zu beobachten, daß der "small talk" aufgrund der hohen Verkehrsgebühren bei Videokonferenzen weniger oft geführt wird. Darüber hinaus werden Videokonferenzen besser vorbereitet.

3. Ad-hoc-Beteiligung: Videokonferenzen zeichnen sich gegenüber konventionellen Besprechungen dadurch aus, daß sie die Integration beliebig vieler Experten ermöglichen. Während ein zum entfernten Gesprächsort allein angereister Mitarbeiter die Fachinteressen anderer Bereiche als seines eigenen mitvertreten muß, kann in Videokonferenzen auch der Fachmann eines anderen Bereiches bei einem unerwartet aufgetretenen Spezialthema spontan beteiligt werden. Kurzfristig aufgetretene Probleme lassen sich ohne Zeitverlust per Videokonferenz behandeln.

4. Kurzfristiger Zugang zu Informationsquellen: Der einzelne Besprechungsteilnehmer hat bei Bedarf kurzfristig Zugang zu seinen eigenen Informationsquellen (beispielsweise Akten), die für ihn bei der Besprechung am anderen Ort nicht erreichbar wären.

5. Häufigkeit von Besprechungen und Verkürzung des Abstimmungsverfahrens: Die Häufigkeit von Besprechungen kann mit Hilfe von Videokonferenzen erhöht werden, da deren Einberufung und Durchführung kurzfristig, vor allem aber ohne zeitraubende, lästige Reisevorbereitungen möglich ist. Dies führt zu einer Beschleunigung der Entscheidungsprozesse. Der Anwender steigert über Videokonferenzen seine Entscheidungsfähigkeit, Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit.

6. Höhere Informationsdichte: Im Vergleich mit anderen Telekommunikationsdiensten führt die Videokonferenz zu einer höheren Informationsdichte (visueller Informationsaustausch), die bei den Beteiligten zu einer besseren Verständlichkeit der Sachzusammenhänge führt.