Balanced-Scorecard-Lösung auf Data-Warehouse-Basis

Die belgische Poilzei will Vertrauen zurückgewinnen

26.06.1998

Die belgische Polizei hat alle Hände voll zu tun. Unter dem Druck der Öffentlichkeit klopft sie ihre lokalen und förderalen Strukturen auf deren Effizienz ab und rüstet sie mit modernen betriebswirtschaftlichen Kontrollinstrumenten aus.

"Bereits Anfang der 90er Jahre wollte man die traditionellen Strukturen tiefgreifend verändern", erinnert sich Dany Donnen, Direktor Software-Entwicklung und stellvertretender IT-Leiter der belgischen Gendamerie. Damals wurden einige Projekte gestartet, die die Arbeit der Polizei effektiver gestalten sollten. Sie blieben jedoch weit hinter den Erwartungen zurück.

Mittlerweile hat die Gendarmerie erkannt, daß die organisatorische Verkettung von IT und Controlling eine wichtige Voraussetzung ist, um die Transparenz zu erhöhen. In Zukunft will das Polizei-Management auf Knopfdruck erfahren, wie schnell die Dienststellen auf Verkehrsunfälle reagieren oder wieviel Aufwand zur Ergreifung gesuchter Krimineller nötig ist.

Das neue Konzept sieht vor, daß die IT-Abteilung in enger Abstimmung mit dem Controlling die datentechnischen Voraussetzungen für die betriebswirtschaftliche Aufbereitung liefert. Donnen und seine Kollegen bauen derzeit ein Data-Mining, Online Analytical Processing (Olap) und Viewing-Technik; die Controller unter der Leitung von Luc Vereecken entwickeln parallel ein Kennziffernsystem, das den Entscheidern Erkenntnisse über die aktuelle Leistungsfähigkeit der Polizei liefern soll.

Niederschlagen sollen sich die Ergebnisse in Form einer "Balanced Scorecard". Sinn und Zweck dieses betriebswirtschaftlichen Lenkungsinstruments ist es, die kritischen Erfolgsfaktoren permanent zu überprüfen, um objektiv entscheiden zu können.

Bisher hat die IT hier keine große Rolle gespielt. So ist ein Data-Warehouse, das sich für Balanced Scorecards nutzen läßt, etwas Neues. Lange Zeit hatten lediglich einige Anbieter aus dem Bereich Executive Information Systems (EIS) versucht, entsprechende Lösungen zu vermarkten. Wegen ihrer einseitigen Konzentration auf Finanzinformationen lehnten die Anwender diese Systeme jedoch ab.

Donnen und Vereecken stehen unter hohem Erfolgsdruck. Der eine muß seine Data-Warehouse-Investitionen rechtfertigen, der andere die hohen Erwartungen des Managements erfüllen, wobei sein Erfolg von der Qualität der Daten abhängt, die er geliefert bekommt.

Zudem haben beide mit den Fallstricken einer Behörden-DV zu kämpfen, deren über Jahre gewachsene IT-Strukturen aus Insellösungen und heterogenen Plattformen bestehen. Viele Brücken müssen gebaut werden, ohne daß es der einzelne Anwender bemerkt - und das alles mit einem knappen Budget.

Donnen und Vereecken haben für die Balanced Scorecard fünf Schwerpunkte definiert: interne Geschäftsprozesse, finanzielle Effektivität, Personalentwicklung, Außenwirkung sowie Projekteinführung. Jedem dieser Bereiche ist ein Set aus Erfolgsfaktoren oder Indikatoren zugeordnet, die als operationale Meßgrößen fungieren und damit die aktuelle Situation wiederspiegeln.

Bei den Geschäftsprozessen ist beispielsweise von Interesse, wie lange jede der insgesamt 452 Wachen benötigt, um auf einen Notruf zu reagieren oder einer Beschwerde nachzugehen. Bei den finanziellen Ressourcen muß auf den ersten Blick klarwerden, wieviel Zeit, Autos und Motorräder für Patrouillen oder Nachforschungen erforderlich sind. Ein wichtiges Leistungskriterium ist auch die Zufriedenheit der Polizisten mit ihrem Arbeitsumfeld: Wie oft gehen sie zur psychologischen Beratung, wieviel Versetzungsanträge werden gestellt, und wie hoch ist die Quote der Disziplinarmaßnahmen?

Um Antworten auf all diese Fragen zu bekommen, hat die Informationstechnik dafür zu sorgen, daß die vielen Daten sinnvoll zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Mit den Worten des Controllers Vereecken : "Die Software muß in der Lage sein, die Idee der Balanced Scorecard zu unterstützen, die dafür erforderlichen Daten zu liefern, sie anforderungsgerecht in entscheidungsrelevante Information umzusetzen und weiterführende Analyse zu ermöglichen."

Zu diesem Zweck müssen Donnen und seine Mitarbeiter die heterogenen Plattformen und Datenquellen verknüpfen sowie Schnittstellen zu einzelnen Systemen, Metadaten und Anwenderwerkzeugen entwickeln. Darüber hinaus hat der oberste Software-Ingenieur die Aufgabe, seine Mannschaft auf Kurs zu bringen: "Für die meisten ist es ein Kulturschock, sich in die Bedürfnisse von Anwendern einzufühlen." Einige Mitarbeiter fürchteten sich davor, die Kontrolle über die Daten zu verlieren.

IT-Lösungen stehen und fallen mit der Akzeptanz. Jeder einzelne muß zu kontinuierlicher Dateneingabe an seinem Rechner angehalten werden - eine Voraussetzung für aussagefähige Informationen. Und das bedeutet ncoh einmal ein gutes Stück Arbeit.

Das System

Das Data-Warehouse der belgischen Gendarmerie basiert auf einem von SAS Institute gelieferten Softwaresystem. Darin sind die Datenzugriffe auf die operationalen Systeme sowie die Datenaufbereitung und die Datenspeicherung definiert. Die User greifen über Analyse-, Olap- und Viewing-Werkzeuge auf die Informationen zu und können sie nach individuellen Anforderungen interpretieren. Bis 1999 sollen rund 40 000 Anwender Zugang zum Data-Warehouse bekommen, zum großen Teil über das World Wide Web. Die Balanced-Scorecard-Lösung ist ein Ausschnitt des Data-Warehouse-Systems. Sie läuft auf einem Windows-NT-Server, mit dem zehn Clients verbunden sind. Installiert ist bislang ein Pilotsystem im Leitungsgremium der belgischen Gendarmerie. Im nächsten Schritt ist die Einführung in regionalen Polizeibehörden vorgesehen.

Balanced Scorecard

Der Begriff wurde 1992 von Robert Kaplan, Management-Professor an der Harvard Business Scholl, eingeführt. Er bezeichnet ein betriebswirtschaftliches Lenkungsinstrument, das der Unternehmensleitung dabei helfen soll, Ursche und Wirkung von aktuellen Entwicklungen auszumachen und auf dieser Basis zu planen und zu investieren. Eine Balanced Scorecard konzentriert sich auf die vier Bereiche Finanzen, Prozesse, Kunden und Personal. Durch Hinzunahme kritischer Erfolgsfaktoren oder Indikatoren - beispielsweise Kundenzufriedenheit, Produktivität oder Projektverlauf - eröffnet sich dem Management ein präziser Blick auf die derzeitigen Stärken und Schwächen des Unternehmens.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.