Systems '99: Was sich Firmen von Einsteigern wünschen

Die Augen sollen nicht nur beim Gehalt leuchten

29.10.1999
MÜNCHEN (ag) - Offiziell ist die Systems immer noch eine Produktmesse. Tatsächlich nutzten die IT-Unternehmen sie in diesem Jahr stärker als je zuvor, um den begehrten IT-Nachwuchs und wechselwillige Profis von sich zu überzeugen. Nicht nur im Zentrum für Jobs & Karriere der COMPUTERWOCHE, sondern auch an vielen anderen Firmenständen waren offene Stellen ein heißes Thema.

"Wir nehmen jeden." Diese Worte sind in keiner Stellenanzeige zu lesen, mag der Mangel an IT-Fachkräften auch noch so groß sein. Auf der Systems waren sie jedoch öfter zu hören. Die Personalnot ist bekanntlich groß, und die Branchenverbände wurden auch in diesem Jahr nicht müde, das Dilemma in Zahlen auszudrücken. 30000 bis 40000 IT-Arbeitsplätze kommen jährlich neu dazu, ihnen stehen aber noch nicht einmal 10000 Absolventen der Informatik und verwandter Studiengänge gegenüber. Zur Zeit können allein in Deutschland 75000 Stellen nicht besetzt werden.

Mittlerweile hat sogar die Politik den Handlungsbedarf erkannt. Laut Uwe Thomas, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, möchte die Regierung nicht nur verstärkt in den Schulen für das Informatikstudium werben, sondern sich für mehr Ausbildungsplätze in den neuen IT-Berufen einsetzen: Ihre Zahl soll von derzeit 15000 auf 40000 steigen. Weiteren 50000 Quereinsteigern soll in den nächsten zwölf Monaten durch Umschulungen der Weg in die IT geebnet werden.

Über mittel- und langfristige Rezepte gegen die Personalnot herrschte bei den Experten im CW-Karriereforum Übereinstimmung. Staat und Firmen müssen in die Schulen gehen, um den Nachwuchs für diese dynamische Branche zu interessieren und die derzeit glänzenden Berufsperspektiven aufzuzeigen. Gleichzeitig muß das Studium gestrafft werden und in erster Linie der Vermittlung von Grundkenntnissen dienen, so der Ansatz von August-Wilhelm Scheer, Professor für Wirtschaftsinformatik und Gründer des Systemhauses IDS Prof. Scheer. Auch Staatssekretär Thomas hält es für notwendig, sich dem amerikanischen Bildungssystem anzugleichen, in dem der kürzere Bachelor-Studiengang als Berufsabschluß und der längere Master-Studiengang als wissenschaftliche Qualifikation gilt.

Bei den kurzfristigen Lösungen gegen die Personalnot hält sich aber ein Gros der Unternehmen immer noch zurück. "Wir müssen dankbar sein, daß das Arbeitsamt die Zertifizierung zum MCSE (Microsoft Certified Systems Engineer) unterstützt. Die Vorausleistung einer sechsmonatigen Weiterbildung können wir als mittelständische Firma unmöglich finanzieren." Matthias Kulessa, Prokurist bei der IT-Beratung DMC Datenverarbeitung und Management Consulting, gab offen zu, was andere Personalverantwortliche nur hinter vorgehaltener Hand sagen. Dabei profitiert sein Unternehmen von der Zertifizierungswelle: "Obwohl wir eigentlich Software-Entwickler bräuchten, stellen wir gern MCSEs ein. Sie bringen auch für das Programmieren gute Voraussetzungen mit." Natürlich hätten die Zertifizierten oft nur theoretische Kenntnisse, aber das sei bei vielen Hochschulabsolventen auch nicht anders. Beide, so Kulessa, haben ihre Lernfähigkeit bewiesen und könnten unter Anleitung in Projekten eingesetzt werden. Daß die Unternehmen angesichts der produktlastigen Microsoft-Zertifizierung nicht die Nase rümpfen, sondern die Kandidaten mit offenen Armen empfangen, bewertet Werner Brendli vom Arbeitsamt München nicht nur positiv: "Die große Gefahr ist, daß sich jeder aufgrund der Marktlage berufen fühlt, den MCSE zu machen und in die IT einzusteigen. Auch wenn man zur Zeit jeden nimmt, kann sich das schnell ändern. Dann bleiben die auf der Strecke, die sich nicht für die Branche interessieren, keine Affinität zur Technik besitzen und nicht die Bereitschaft zeigen, sich ständig weiterzubilden." Auch Microsofts Zertifizierungsmanager Ralf Schulz gibt zu, daß der MCSE nur ein erster Schritt im lebenslangen Lernprozeß ist: "Das Zertifikat ist eine Art Führerschein. Fahren lernt man erst durch die praktische Übung."

Die Unternehmen wünschen sich aber nicht nur lernwillige, sondern auch begeisterte Bewerber. Besonders für Internet-Firmen scheint das Leuchten in den Augen ein entscheidendes Indiz dafür zu sein, daß sie den richtigen Mann beziehungsweise die richtige Frau an Land gezogen haben. "Wenn wir das Leuchten nicht entdecken, nehmen wir den Bewerber nicht. Er würde bei uns auch nicht glücklich", sagt Bert Hoelscher von der Hamburger Multimedia-Agentur Popnet. Stimmt die Chemie, kann es mit der Karriere aber um so schneller gehen. Als Beispiel führt er seinen IT-Chef an, der erst zwei Jahre im Geschäft ist. Auch in puncto Gehalt ist vieles möglich: "Für einen erfahrenen IT-Profi sind je nach Marktwert bis zu 200 000 Mark Jahresgehalt drin", gibt Hoelscher zu, der es eigentlich nicht gern hört, daß Popnet gut zahlt. Besonders bei E-Commerce-Spezialisten müssen viele Firmen mehr zahlen, als ihnen lieb ist. Für Thomas Egner, Mitbegründer von Openshop, braucht ein E-Commerce-Profi "ein profundes Wissen über Workflow-Systeme in Unternehmen, er muß mit Datenbanken umgehen können und wissen, wie das Internet funktioniert".

So hoch mitunter das angebotene Gehalt ist, so hoch sind auch die Ansprüche an den Arbeitseinsatz der IT-Profis. Für Ulrich Klotz, im IG-Metall-Vorstand zuständig für Technologie, sind es auch die harten Arbeitsbedingungen der Branche, die manchen Interessenten abschrecken: "Eine 100-Stunden-Woche kurz vor Projektschluß ist keine Seltenheit. Da wird die Angst verständlich, mit 35 Jahren bereits ausgebrannt zu sein." Arbeitsbelastungen in diesem Umfang wollen Klaus Plönzke, Begründer der IT-Beratung CSC Ploenzke, und Microsoft-Chef Rudolf Gallist auch gar nicht in Abrede stellen, halten aber dagegen, daß die IT-Profis in der Regel freiwillig so lange arbeiten. Gallist: "Die Mitarbeiter sind es, die an uns den Wunsch herantragen, auch am Wochenende arbeiten zu dürfen."

Auch die Youngsters bekennen sich offen zur Arbeit ohne Ende. Sirko Schneppe ist seit vier Jahren Projektleiter bei Intershop und arbeitet täglich im Schnitt zwölf Stunden und hat auch noch jede Menge Spaß dabei. Daß ihm der nicht vergeht, liegt seiner Meinung nach vor allem an den Aufgaben und der Unternehmenskultur. Wie wichtig letzteres schon beim Rekrutierungsprozeß ist, hat auch Stephan Grabmeier erkannt. Für die Personalarbeit bei der FMIS GmbH, der IT-Tochter der Hypovereinsbank, zuständig, weiß er um das behäbige Image, das den Banken als Arbeitgeber anhaftet. Darum versuchte die Hypovereinsbank auf der Systems, mit einem Improvisationstheater auf sich aufmerksam zu machen. Soll der Erfolg von Dauer sein, müssen sich solche Aktionen aber auch im Unternehmen niederschlagen. "Offenheit und Transparenz sind angesagt. Im Kampf um den Bewerber transportieren wir Emotionen", so Grabmeiers Credo.

Diesen Lernprozeß scheinen einige - trotz ihrer Präsenz als personalsuchende Unternehmen auf der Systems - aber noch nicht bewältigt zu haben. So stieß ein Diplominformatiker bei vier von sieben Firmen auf taube Ohren, als er sich nach den offenen Stellen erkundigen wollte. In einem Fall wurde er lapidar auf das Internet verwiesen, ein anderes Mal bekam er die Auskunft, das betreffende Unternehmen sei so dezentral organisiert, daß man unmöglich sagen könne, an welchen Standorten Stellen zu vergeben seien.