Vorgehensweise bei der Auswahl von Minicomputer-Systemen:

Die Anwendung bestimmt den Rechner

15.10.1976

Es gibt derzeit etwa 40 Firmen, die in der BRD zusammen rund 100 verschiedene Minicomputer-Modelle vertreiben. Allein diese Zahlen lassen erkennen, wie schwierig es für einen potentiellen Anwender ist, sich das für seinen Fall bestgeeignete oder das preisgünstigste Modell auszusuchen. Erschwerend kommt hinzu, daß die Prospektangaben der Rechnerlieferanten nicht immer einen unmittelbaren Vergleich zulassen, da Begriffe wie Befehlsanzahl, Registeranzahl, Interrupt-Reaktionszeit, Adressierungsarten etc. unterschiedlich definiert werden.

Software und Service

Hier versucht der Arbeitskreis "Prozeßrechnersysteme - Leistungskriterien" der VDI/VDE-Gesellschaft Meß- und Regelungstechnik mit einem Fragebogen Abhilfe zu schaffen. Die umfangreiche Liste erfaßt alle wesentlichen technischen Details, die eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit der einzelnen Rechnersysteme ermöglichen. Welche dieser Daten der Anwender wie zu beurteilen hat, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab: Die Einzelkriterien müssen beispielsweise gewichtet werden. So sind höhere Programmiersprachen für diejenigen Anwender wichtig, die Personal und Zeit für Programmierarbeiten im eigenen Hause haben. Für OEM-Kunden wird der Hardware-Preis von großer Bedeutung sein, während die mitgelieferte Software zweitrangig erscheint. Für einen Endbenutzer schließlich werden Fragen der Wartung und die Nähe eines Servicestützpunktes von großer Bedeutung sein.

Die Frage, die sich der Anwender zu stellen hat, lautet: "Was will ich eigentlich?" Die reiflich überlegte Antwort auf diese Frage ermöglicht bereits eine Auswahl der in Frage kommenden Rechnerfirmen: Der eine Lieferant wendet sich vorwiegend an OEM-Kunden, der nächste baut schlüsselfertige Anlagen, der dritte vertreibt Spezialsysteme.

Kriterien nach Maß

Nachdem somit aufgrund personeller und organisatorischer Gegebenheiten der Kreis der als Hersteller in Frage kommenden Firmen reduziert worden ist, empfiehlt sich eine gründliche Untersuchung des technischen oder organisatorischen Prozesses, der künftig dem Minicomputer übertragen werden soll. Diese Analyse hat nicht allein den Zweck, Daten für die Ausschreibung zu liefern, sondern ermöglicht mehr: Der Anwender ist imstande, seinen eigenen Kriterienkatalog aufzustellen und diese Kriterien zu gewichten - nicht zu vergessen die Tatsache, daß die exakten Daten dem Rechnerlieferanten die Ausarbeitung eines maßgeschneiderten Angebots ohne viele Rückfragen und in kurzer Zeit ermöglichen.

Die eingehenden Angebote sowie die meist beiliegenden Datenblätter werden anhand des ausgearbeiteten Kriterienkatalogs verglichen: Welche Minicomputer genügen den Ansprüchen des Anwenders, welchen zusätzlichen Komfort bieten sie? In diesem Stadium des Projektablaufs scheiden mit Sicherheit weitere Anbieter aus. Da zumeist mehrere Rechnerfirmen in die engere Wahl kommen, sind speziellere Informationen über die angebotenen Rechner erforderlich.

Referenzen prüfen

Die einfachste Art besteht zweifellos darin, Referenzanlagen zu besichtigen und die Erfahrungen der jeweiligen Anwender zu erkunden: War die Inbetriebnahme reibungslos, wie funktioniert der Service im Störungsfall? Die Art der Informationsgewinnung sollte durch eine zweite ergänzt werden. Wie die Tabelle zeigt, lassen wichtige Hardware-Kriterien von marktgängigen Rechnern keine Rückschlüsse auf die Durchlaufzeit einzelner Programme zu. Mehr noch: Je nachdem, ob das Programm mehr mathematische (I) oder mehr logische (II) Aufgaben enthält, weichen diese Zeiten erheblich voneinander ab. Die Durchlaufzeit der Programme bestimmt die Auslastung des Rechnersystems beziehungsweise die Möglichkeit, dem System zu einem späteren Zeitpunkt zusätzliche Aufgaben zu übertragen. Der Anwender: kann auf das Maß der zeitlichen Auslastung schließen, wenn er einige wenige, für seinen Anwendungsfall repräsentative Programme auswählt. Diese Auswahl wird ihm nach der Analyse seiner Anwendung nicht schwerfallen. Daß diese Repräsentativprogramme nicht zu lang sein dürfen, versteht sich wohl von selbst: Die Rechnerlieferanten werden es ihren Kunden danken.

Nach all der Arbeit, die sich Anwender und Anbieter gemacht haben, wird nun mit diesem letzten Schritt eine Entscheidung möglich sein. Auf jeden Fall wird der Benutzer das seiner Meinung nach bestgeeignete System finden, wenn die zugrunde gelegten Kriterien seinem Anwendungsfall entsprechen.

* Wolfgang Scheytt ist Projektleiter bei der Firma J. C. Eckardt, Stuttgart.