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"Die Anwender wollen Best of Breed"

04.07.2002
Ray Lane, einst rechte Hand von Oracle-Chef Larry Ellison und mittlerweile Venture Capitalist, sprach mit der CW exklusiv über die aktuelle Lage und die Zukunftsperspektiven der IT-Industrie.

Ray Lane war Unternehmensberater, später als Chief Operating Officer die rechte Hand von Oracle-Chef Larry Ellison, jetzt ist er Venture Capitalist und gilt als einer der Grandseigneurs und einflussreichen Strippenzieher im Silicon Valley. Im Gespräch mit CW-Redakteur Gerhard Holzwart stellt Lane vor allem die Zukunftsperspektiven der IT-Industrie auf den Prüfstand.

CW: Die IT-Industrie befindet sich in ihrer bis dato größten Krise. Wie schätzen Sie die Situation ein?

LANE: Die Lage ist ernst, aber bei weitem nicht so dramatisch, wie sie momentan von vielen dargestellt wird. Man muss die vergangenen fünf Jahre nüchtern Revue passieren lassen und vor allem in einen wirtschaftshistorischen Zusammenhang einordnen, dann kommt man zu den richtigen Schlüssen.

CW: Und die wären...

LANE: ...dass wir inmitten einer Phase der Normalisierung sind, dass es vergleichbare Entwicklungen früher auch in anderen Industrien gegeben hat. Denken Sie nur an die Automobil- und Elektrizitätswirtschaft vor 100 Jahren oder die Entstehung des Marktes für Unterhaltungselektronik vor rund 50 Jahren. Immer wurde zu Beginn ein Boom entfacht, zu viel Geld investiert, dann gab es zu viele Anbieter und damit Überkapazitäten und in der Folge eine Marktbereinigung. Jetzt trifft es eben die IT-Industrie, die dem Internet-Bubble Tribut zollen muss.

CW: Als Geburtsfehler oder Anfangseuphorie der IT-Industrie kann man aber den Internet-Hype beim besten Willen nicht bezeichnen, schließlich hat die Computerbranche auch schon eine mehr als 50-jährige Geschichte hinter sich.

LANE: Und es hat dort auch 50 Jahre alles nach den üblichen ökonomischen Regeln funktioniert. Doch die New Economy hat für kurze Zeit alles außer Kraft gesetzt. Ich rede jetzt nicht nur vom Entstehen etlicher neuer Firmen und dem Hype an der Börse, sondern auch von der riesigen Spekulationswelle bei den Kunden der IT-Industrie. Es wurde auf Verdacht in Infrastruktur und Lösungen investiert, um via Internet mit Kunden und Geschäftspartnern kommunizieren zu können. Jetzt wird angesichts der zum Teil durchwachsenen Ergebnisse und natürlich aufgrund des rezessionsbedingten Kostendrucks alles kritisch hinterfragt.

CW: Die IT-Industrie hat offensichtlich Schwierigkeiten, sich auf diese Rückkehr zur Normalität einzustellen. Das Internet sollte Gesellschaft und Wirtschaft revolutionieren; jetzt haben viele Anwender einen Kater, auf Seiten der Anbieter sprechen unzählige Pleiten und der Absturz an den Börsen Bände. Glauben Sie, dass es der IT-Branche gelingen wird, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen und mittelfristig wieder die gewohnten Wachstumsraten zu erzielen?

LANE: Warum nicht? Ich halte nichts von solchen Weltuntergangsszenarien, wie Sie sie jetzt an die Wand gemalt haben. Natürlich hat die IT-Branche, vor allem aber auch auch die TK-Industrie, die Euphorie um das Internet entfacht und geschürt. Aber einzelne Schuldzuweisungen - möglicherweise auch an die Investmentbanken und Wagniskapitalgeber - bringen uns jetzt nicht weiter. Und man kann erst recht nicht so tun, als hätte das Internet die Welt nicht verändert.

CW: Was ist dann bei vielen E-Business-Projekten schief gelaufen, die nicht zu Ende gedacht wurden?

LANE: Ich denke, dass man bis vor kurzem noch die Tragweite beziehungsweise die Möglichkeiten von E-Business nicht erkannt hat. Es geht mir jetzt nicht um die banale Erkenntnis, dass eine Website und deren Anbindung ans Backoffice nicht ausreicht. Es geht auch nicht um die Plattitüde, dass wir heute von Pull- und nicht mehr von Push-Märkten reden. Aber wenn wir das Thema Vernetzung mit Kunden und Partnern ernst nehmen, setzt das einen völlig anderen Typus von Unternehmen voraus.

CW: Was bedeutet das konkret?

LANE: Firmen traditioneller Herkunft waren, wie man im IT-Jargon sagt, "Batch-driven", eine Company von heute und morgen muss Echtzeitbetrieb rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche gewährleisten. Statt Abschottung von Informationen, langer Entscheidungswege und hoher Prozesskosten sind Transparenz, ständiges Monitoring und die Fähigkeit zur Interaktion gefragt. Es kann heute nicht mehr angehen, dass ein CEO nicht binnen Sekunden auf alle Daten Zugriff hat, die er für eine Entscheidung benötigt. Das wird übrigens auch nicht mehr in die Landschaft künftiger Management-Prinzipien passen. Wenn ich vorhin gesagt habe, dass das Internet die Menschheit verändert hat, dann auch deshalb, weil die heute 30-Jährigen, die in die Management-Verantwortung hineinwachsen, zwangsläufig einen anderen Führungsstil praktizieren werden.

Die Automatisierung einzelner Geschäftsprozesse wie Finanzbuchhaltung und Produktion ist Schnee von gestern. Und wer als Hersteller glaubt, dass er sein ERP-System oder seine Datenbank nur mit einem intelligenten Portal und einer CRM-Anwendung verknüpfen muss, wird auf Dauer im Markt Schwierigkeiten bekommen. Man muss sich endlich eingestehen, dass der Best-of-Breed-Ansatz in fast jedem Unternehmen gewollte Realität ist, und daraus die Konsequenz ziehen. Die lautet, dass in den nächsten Jahren vor allem die Softwareanbieter überdurschnittlich wachsen werden, die eine Integrationsplattform für sämtliche Datenbanken, Applikationen und Systeme liefern können.

CW: Wenn dies so eintrifft, steht der Softwaremarkt vor gewaltigen Umbrüchen.

LANE: Wenn es um neue Produktkategorien geht, würde ich dem zustimmen. Auf der Anbieterseite muss man abwarten. Vieles, was heute en vogue ist, dürfte morgen commodity sein. Aber man sollte SAP, Oracle und vor allem IBM, Sun Microsystems und Microsoft im Bereich Web-Services und Application-Server nicht unterschätzen. Insgesamt dürfte der Wettbewerb noch härter werden.

CW: Microsoft ist ein gutes Stichwort. Vieles von der von Ihnen eben skizzierten Zukunft im Software-Business könnte auf einen Erfolg von .NET hinauslaufen. Hätten Sie damit als ehemaliger Oracle-Manager keine Probleme?

LANE: Wenn es Microsoft gelänge, seine .NET-Architektur zu einer skalierbaren Enterprise-Umgebung im eben beschriebenen Sinne zu entwickeln, würde ich den Erfolg der Wintel-Plattform neidlos anerkennen. Das setzt aber voraus, dass sich Microsoft anderen Herstellern wie Tibco oder Bea Systems öffnet - und das wollen wir einmal in Ruhe abwarten.

CW: Welchen Weg wird Ihre frühere Company Oracle einschlagen?

LANE: Das wüsste ich selber gerne. Ich hoffe, einen guten. Das Unternehmen hat nach wie vor alle Chancen.

CW: Das sehen einige Experten anders.

LANE: Mag sein, aber das sind vorschnelle Urteile. Oracle hat zwei Probleme.Wenn die in absehbarer Zeit gelöst werden, habe ich keine Bedenken.

CW: Eines der Probleme ist Ihrer Auffassung nach sicher Larry Ellison.

LANE: Richtig. Aber primär geht es um die Produktstrategie. Oracle ist quasi von seiner DNA her immer noch eine Datenbankfirma. Man glaubt dort wie eh und je, dass am Anfang einer jeden Geschäftsbeziehung die Installation einer relationalen Datenbank stehen muss und man dann im Zweifel auch noch über Applikationen reden kann. So lange man sich aber nicht eingesteht, dass der Datenbankmarkt trotz der nach wie vor starken eigenen Position nicht mehr strategisch sein kann, wird man Schwierigkeiten bekommen. Oracle hätte mit seinen Produkten und dem Know-how seiner Entwickler aber das Zeug dazu, ein führender Anbieter von Applikationen zu werden. Nur dazu müsste man die Produktstrategie und das Marketing vom Kopf auf die Beine stellen. Es reicht schon, dass man es - zusammen mit IBM - zugelassen hat, dass sich ein Unternehmen wie Bea Systems

im Markt etablieren konnte. Dieser Fehler hätte nie passieren dürfen!

CW: Die Firma Bea Systems gab es aber auch schon, als Sie bei Oracle noch Verantwortung hatten. Ist das Verschlafen des Application-Server-Trends eines der Versäumnisse, die Sie Larry Ellison ankreiden?

LANE: Ich will jetzt nicht auf Details alter Auseinandersetzungen eingehen. Larry ist ohne Zweifel eine der großen Persönlichkeiten der IT-Industrie. Doch ich denke, dass man auch objektiv feststellen kann, dass er sich - wie viele Firmengründer - mit Veränderungen schwer tut. Er ist einfach mit dem Datenbankgeschäft groß geworden. Hinzu kommt, dass er mit mittlerweile 58 Jahren die gesamte Struktur bei Oracle so auf sich zugeschnitten hat, dass er so viel arbeiten muss wie noch nie. Ich kenne aber einige Firmenchefs im Silicon Valley, die es genau umgekehrt gemacht haben - und der Erfolg gibt ihnen Recht. Sie müssen einfach bedenken: Ohne Larry geht bei Oracle nichts. Der Abgang fast des gesamten Senior Managements in den vergangenen beiden Jahren spricht doch Bände.

Hinweis: Wir geben das Interview aufgrund seiner Länge an dieser Stelle nur auszugsweise wieder. Das vollständige Gespräch lesen Sie in der COMPUTERWOCHE Nr. 27 vom 5. Juli 2002.