Gute Erfahrungen mit Eigenentwicklungen

Die Anwender machen es den meisten Herstellern vor

07.12.1990

*Susane Müller-Zantop ist Beraterin für PC-basierte Büroanwendungen in München.

PC-Anwenderfirmen investieren große Summen in die Entwicklung eigener PC-Trainingsmittel, obwohl der freie Markt von solchen Mitteln überschwemmt wird. Hauptmotiv ist die schlechte Qualität der angebotenen Produkte. Susanne Müller-Zantop* zeigt, wie Anwenderfirmen auf diese Misere reagieren.

Die BMW AG gab in den letzten beiden Jahren eine sechsstellige Summe für die Produktion von eigenen PC-Handbüchern aus. BASF schätzt allein die Produktionskosten eines trainingsbegleitenden Buches auf 40 000 Mark. Die Lufthansa AG kann keine genauen Angaben zu ihren Kosten in diesem Bereich machen, aber auch hier hat man eigene Computerhandbücher geschrieben.

Gemeinsam ist all diesen Firmen, daß die Zahl ihrer PC-Anwender seit einigen Jahren gut über Tausend liegt und daß der PC-Trainingsbedarf ungebrochen hoch ist. Die Art der "Bedürftigkeit" gibt erste Hinweise.

Ständig benötigt werden:

-Übersichtskurse für Neueinsteiger in die PC-Technologie,

-Auffrischungskurse für Personen, deren Wissen unbenutzt verkümmert,

-Umsteigerkurse für Personen, die von einem Release-Wechsel der Software betroffen sind, und

-Spezialistenkurse für Personen, deren Aufgabe es ist, die Endbenutzer zu beraten.

Das Problem der Bildungsplaner

Die Bildungsplaner, die vor diesen Anforderungen stehen wissen natürlich, daß PC-Kenntnisse für das Gesamtunternehmen wichtig sind. Da Gelder für das PC-Training in der Regel weniger leicht freigemacht werden können als für den Kauf neuer Hardware, sind Trainingsmaßnahmen gefragt, die

-flächendeckend eingesetzt werden können,

-leicht zu administrieren sind,

-preiswert erscheinen und

-Erfolg versprechen also die notwendigen Kenntnisse vermitteln.

So gut wie alle befragten Firmen haben daher Experimente mit verschiedenen Medien durchgeführt, um über Alternativen zum klassischen Schulunterricht zu verfügen. Einige setzen auf Computer Based Training (CBT), andere auf Computerliteratur. Es gibt aber auch Video-Versuche und Selbstlern-Zentren mit beratenden Instruktoren. Dabei haben sich die Bedingungen, unter denen Training sinnvoll stattfinden kann, sehr verändert. Heute fragen Mitarbeiter gezielter nach einem Tabellenkalkulationsprogramm für ihre Kostenrechnung. Das hätte es 1985 kaum gegeben. Bei BMW, BASF und bei der Lufthansa ist man auf das klassische Handbuch zurückgekommen. Man fragt sich was eine Firma dazu bewegt, im Bereich PCs eigene Handbücher zu entwickeln, die dick wie Telefonbücher sind und von denen man annehmen sollte, daß sie als Medium völlig "out" sind. Der Zugang per Hand und das sinnliche Erfassenkönnen spielt eine Rolle. Die Handbücher erinnern an das eigene Schulbuch. Darin macht man sich Notizen und Anmerkungen.

Die Bildungsreferentin in der zentralen Personalentwicklung der BMW AG, Patricia von Papstein, schildert den Auslöser für dieses Selbstlernprojekt: "Wir waren es satt von Softwareherstellern zu hören:" Das geht nicht", und von Lernsoftware-Herstellern 08/15-Lösungen angeboten zu bekommen. Wir sollen zeigen, was machbar ist."

Das individuelle Lernen mit dafür gedachten Medien am Arbeitsplatz bringt heute noch viele Probleme mit sich. Mancher ist sehr enttäuscht über die Produkte, die es im Bereich des Computer Based Training (CBT) gibt. Bei BASF wird CBT nur als ein Lernmedium unter vielen angesehen: "Wir setzen CBT nur sequentiell ein, die Lernsoftware wird bei uns zusammen mit den Kursunterlagen ausgegeben. Für unser selbstentwickeltes Kommunikationspaket haben wir eine CBT-Möglichkeit zum Selbststudium entwickelt", heißt es dort.

Problematisch sind alle Selbstlern-Medien

Die BMW-Bildungsreferentin meint dazu: "Vom methodischen her haben wir uns entschieden, CBT nicht im Masseneinkauf an den Arbeitsplätzen zur Verfügung zu stellen. Der Stand von CBT heute entspricht dem Stand der PC-Sofware-Entwicklung von vor fünf Jahren. Die wichtigsten Dinge werden nicht berücksichtigt, etwa die Fragen: Wie vermittelt man Handlungsstrategien? In welchen unterschiedlichen Situationen können Fehler auftreten? Das Repertoire eines CBT-Programmes könnte nach wie vor in einem Buch oder auf einer Liste stehen. Daß es auf dem Bildschirm zu sehen ist, erhöht die Qualität für uns nicht."

Im Erfahrungsaustausch mit Siemens und IBM, die sich viel leichter tun weil sie selbst Software herstellen, hat BMW festgestellt daß sich bei der Überprüfung des Lerntransfers von CBT, das heißt bei der Frage, ob sich aus dieser Ausbildungsmaßnahme wirklich eine produktive Anwendung ergibt, in allen Firmen nur ein geringer Effekt zeigt. CBT sei höchstens eine interessante Zusatzstrategie im Training oder eine Zwischenlösung bei Kapazitätsproblemen.

Das Münchner Unternehmen hat sein zentrales CBT-Selbstlernzentrum außerhalb der Arbeitszeit angeboten, um erst einmal zu schauen, wie es die Anwender nutzen.

Der Pilotversuch ist jetzt angeschlossen. Man kann feststellen, daß nach anfänglicher Neugier auch Ermüdungserscheinungen auftreten.

Dies, sagt von Papstein zuversichtlich, liege nicht am Medium, sondern daran, daß immer interessante und aktuelle Themen im Angebot sein müßten und so Mitarbeiter das Gelernte in ihre tägliche Arbeit übertragen könnten.

Der Automobilhersteller geht heute immer direkter auf den Arbeitsplatz zu. Für eine neue Verschmelzung von lernen und Arbeiten sind gerade neue Pilotprojekte in der Erprobung.

Die auf dem Markt vorhandene Computerliteratur kommt nicht besonders gut weg. Das ist verständlich, wenn man in einige Bücher hineinsieht. BASF setzt Bücher, die auf dem Markt erhältlich sind, nur in Auszügen ein. Die selbstgeschriebenen Bücher seien viel mehr an der täglichen Arbeit orientiert. Für den Bayerischen Automobilhersteller gelte ähnliches. Von Papstein: "Die Handbücher, die wir auf dem Markt gefunden haben, erfüllen unsere Kriterien ,Mentales Modell', ,Fehlermanagement' und ,direkte Übungsmöglichkeiten' nicht sie sind nur eine Art programmierte Unterweisung und haben eine lnformationsfülle, die erschlagend ist." Die Lufthansa handhabt die Handbücher unterschiedlich: Entweder werden ganze Schulungspakete gekauft oder "wir erstellen unsere eigenen Unterlagen, wenn zum Beispiel spezielle Applikationen geschult werden". Ein weiterer Grund zur Erstellung von Handbüchern sei dann gegeben, wenn ein sehr großer Bedarf für eine bestimmte Schulung bestehe.

"Qualimobil" für die Qualitatsförderung

Im Bereich der Ausbildung mit Video hat VW ein Joint-venture mit Digital Equipment für den Bereich der Qualitätssicherung vereinbart. Dort gibt es ein "Qualimobil", wo Mitarbeiter mit Hilfe von PCs ein Videosystem anschauen können, das zeigt, wie man Qualität fördern kann. Das sind allerdings Ansätze, die eher auf lnformationspolitik hinweisen, also Mitarbeiter mit Informationen versorgen. Die Video-Technik - und auch Multimedia - sind noch nicht ausgereift genug, um damit Lernprozesse zu realisieren.

Bei BMW verstehen sich die Personalentwickler als Cost-Center, die zentral auf Zuruf Lernmethoden entwickeln, für die im Unternehmen besonderer Bedarf besteht. Wie werden jedoch die Handbücher entwickelt? Die Benutzerservice-Stellen liefern das systemtechnische Wissen.

Die Fachberater, ein Vor-Ort-Beratungsnetz geübter Anwender, liefern die Information, welche Themen für ihre speziellen Tätigkeiten wichtig sind. Die Aufmerksamkeit wird also auf die Erfahrungswerte der Anwender gelenkt.

Zu 80 Prozent wird ein Handbuch als Nachschlagewerk genutzt. In 20 Prozent der Fälle nutzt der Anwender das Handbuch auch als fortlaufendes Trainingsprogramm. Da Grund- und Aufbauwissen in einem Buch zusammengefaßt sind, kann man schnell praktisch arbeiten und sich gezielt Informationen heraussuchen.

Die Hotline-Anfragen konnten um 20 Prozent reduziert werden. Das zeigt eine hohe Effizienzsteigerung, wenn man bedenkt, daß ein Benutzerservice sich auf Anwendungsberatung statt auf Hard- und Softwarehandling konzentrieren soll. Es wurde auch erreicht, daß Nachschulungen nicht mehr nötig sind.

Handbücher auch für andere interessant

Was müßten andere Firmen tun, wenn sie diese Erkenntnisse übernehmen wollten? Sie müßten erst einmal recherchieren, welche Art von Fehlern ihre Anwender am PC, machen. Denn jede spezifische Arbeitssituation führt auch zu spezifischen Arten des Umgangs mit dem PC. Doch bei BASF meint man, daß die selbstgeschriebenen Handbücher auch für andere Firmen interessant sein könnten.

Bleibt die Frage an die Hersteller, warum sie sich das Know-how der Anwender nicht zunutze machen.