"Bitte nennen Sie Ihre Gehaltsvorstellung"

Die Angst-Frage beim Vorstellungsgespräch

10.03.2015
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Entscheidend ist das Gesamtpaket

Maike Unger von der Allianz berichtet zum Beispiel: "Die Bewerber für unser Trainee- und Vorstandsassistenten-Programm nennen tendenziell eher ein zu hohes Gehalt." Eine Absage erhalten die betreffenden Bewerber deshalb aber nicht. Denn Unger weiß: Gerade Top-Bewerber pokern oft bewusst etwas hoch, um Selbstbewusstsein zu signalisieren und Verhandlungsspielraum zu schaffen. Außerdem: Ob sich ein Bewerber letztlich für die Allianz entscheidet, hängt nicht davon ab, ob das Unternehmen ihm im Monat 200 oder 300 Euro mehr oder weniger bezahlt. "Entscheidend ist das Gesamtpaket, das die Allianz dem Bewerber bietet; des Weiteren die Entwicklungsperspektiven, die er in unserem Unternehmen sieht."

Ähnlich äußern sich Vertreter kleinerer Unternehmen. So zum Beispiel Rudolph Welcker, Geschäftsführer der Weseler Teppich GmbH, die unter dem Markennamen Tretford Teppichböden produziert und vertreibt. Welcker fragt in Stellenanzeigen nie nach der Gehaltsvorstellung der Bewerber. Doch beim ersten persönlichen Treffen stellt er diese Frage. Und dann erwartet er eine Antwort, die zeigt, dass der Bewerber seinen Marktwert realistisch einschätzt. Realistisch heißt: Die Gehaltsvorstellung muss der Qualifikation und inserierten Stelle "angemessen" sein.

Ist dies nicht der Fall, fliegt der Bewerber in der Regel aus dem Rennen. Ist die Vorstellung hingegen einigermaßen realistisch, dann notiert sich Welcker diese zunächst - ohne größeren Kommentar. Das heißt, das Auswahlverfahren wird fortgesetzt. Und nach dem ersten Bewerbungsgespräch folgt meist noch ein zweites und drittes, bis das Unternehmen sicher ist: Das ist der richtige Mann beziehungsweise die richtige Frau. Erst dann unterbreitet Welcker dem Bewerber ein Gehaltsangebot - "und dieses ist zuweilen höher als der Gehaltswunsch, den der Bewerber zunächst formulierte."

Die Gehaltsvorstellung muss "angemessen" sein

"Wenn Unternehmen nach der Gehaltsvorstellung von Bewerbern fragen, geht es ihnen in der Regel nicht um den konkreten Betrag", betont denn auch Personalberater Walz. Sie wollen eine Art ‚Hausnummer’ wissen, aus der hervorgeht: Schätzt der Bewerber seinen Marktwert angemessen ein? Unangemessen wäre es zum Beispiel, wie Uwe Goldschmidt, Key-Account-Manager bei der Werbeagen-tur Creativteam, Hannover, betont, wenn ein Grafiker, der frisch von der Hochschule kommt, ein Jahresgehalt von 50.000 oder 60.000 Euro fordern würde. "Denn dies ist eher das Gehalt eines Art-Directors mit mehrjähriger Berufserfahrung."

Mit der Frage nach dem Gehaltswunsch wollen gerade kleinere Unternehmen oft auch vorab checken: Passt der Bewerber in unser Gehaltsgefüge? Können wir uns ihn überhaupt leisten? Denn speziell bei berufserfahrenen Bewerbern geht dies aus den Bewerbungsunterlagen oft nicht hervor. Hierfür ein Beispiel: Vor einem Jahr suchte der Inhaber einer PR-Agentur in Mittelhessen einen "erfahrenen PR-Journalisten". Auf die Stellenanzeige des Drei-Mann-Betriebs bewarb sich - ohne Angabe der Gehaltsvorstellung - auch der ehemalige Leiter der Presseabteilung eines MDAX-Unternehmens, der zwei Jahre zuvor seine Stelle verlor. Das überraschte den Agenturinhaber. Doch nach Lektüre des Lebenslaufs dachte er: Vielleicht hat der Mann gemerkt, dass er mit 55 Jahren nur noch schwer einen neuen Job findet und ist deshalb zu "gewissen Abstrichen" bereit?

Vielleicht reizt ihn auch, dass sich unsere Agentur in seinem Wohnort befindet, weshalb er für die neue Stelle nicht umziehen müsste? Also rief der Agenturinhaber den Bewerber an und fragte ihn nach seiner Gehaltsvorstellung. Dessen Antwort: 75.000 Euro/Jahr. Damit war für den Agenturinhaber klar: Den Mann brauche ich, unabhängig von seiner Kompetenz, zu einem Vorstellungsgespräch gar nicht einzuladen, denn er will das Gehalt, das er beim MDAX-Konzern erhielt - "ein Gehalt, bei dem ich als Agenturinhaber froh bin, wenn ich es erziele." (oe)

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Der Autor Andreas Lutz ist Wirtschaftsredakteur und Mitarbeiter der Agentur Die PRofilBerater GmbH, Eichbergstraße 1, 64285 Darmstadt, Tel.: 06151 896590, E-Mail: info@die-profilberater.de, Internet: www.die-profilberater.de