Die Anbieter wollen erst warnen und spaeter klagen Neues Urheberrechtsgesetz: Die Prozesswelle bleibt vorerst aus Von Ralf Gruber*

01.10.1993

Seit dem 24. Juni 1993 gilt in der Bundesrepublik ein Urheberrechtsgesetz, das die Position von Softwareherstellern staerkt und Raubkopierer im Maximalfall mit mehrjaehrigen Freiheitsstrafen bedroht. Bislang betrachten die grossen Anbieter den Klageweg jedoch nur als Ultima ratio, und der Polizei mangelt es an qualifiziertem Personal, um jeden Kleinkopierer zu verfolgen.

Das neue Urheberrechtsgesetz hat seine Wurzeln in der EG- Richtlinie zum Rechtsschutz von Computerprogrammen, die bereits am 14. Mai 1991 beschlossen wurde. Sie haette eigentlich bis spaetestens 31. Dezember 1992 in deutsches Recht umgesetzt sein muessen, aber der Gesetzgeber war erst mit halbjaehriger Verspaetung in der Lage, die EG-Beschluesse zu adaptieren.

Die Gesetzesaenderung - vom Verband der Softwareindustrie Deutschlands (VSI) als Ende der seit Jahren bestehenden Rechtsunsicherheit begruesst - bringt der Anbieterseite wichtige Verbesserungen. So ist im Abschnitt "Besondere Bestimmungen fuer Computerprogramme" nun festgelegt, dass jedes individuell geschaffene Programm Urheberrechtsschutz geniesst. Allein die eigene geistige Urheberschaft zaehlt beim Beurteilen der Schutzwuerdigkeit; aesthetische oder qualitative Kriterien bleiben unberuecksichtigt.

Eine Sicherungskopie ist ausdruecklich erlaubt

Die in der Vergangenheit vom Bundesgerichtshof versuchte Differenzierung nach besonderer geistiger Individualitaet ist damit passe. Werden im Auftrag des Arbeitgebers oder Dienstherren Programme entwickelt, so besitzt der Auftraggeber jetzt automatisch alle vermoegensrechtlichen Befugnisse am Endprodukt. Bislang musste der Uebergang der Verwertungsrechte per Vertrag geregelt werden.

Prinzipiell darf nur der Rechtsinhaber das jeweilige Programm kopieren, uebersetzen, modifizieren und verbreiten oder anderen gestatten, dies zu tun. Gleichzeitig erhalten Anwender aber ausdruecklich das Recht, eine Sicherungskopie ihrer Software anzulegen. Vertraglich festgelegte Backup-Verbote sind demnach unzulaessig. Unter bestimmten Bedingungen ist darueber hinaus das Dekompilieren eines Programms erlaubt, um Schnittstellen fuer die Zusammenarbeit mit anderen Applikationen einzurichten.

Illegale Kopien sind auf Verlangen des Rechtsinhabers zu vernichten. Auch gegen Werkzeuge, die ausschliesslich zum Ueberwinden eines Kopierschutzes dienen (beispielsweise die sogenannten Crack-Programme), lassen sich Rechtsmittel anwenden. Obwohl das neue Urheberrechtsgesetz rueckwirkend auch fuer Software gilt, die vor dem Stichtag 24. Juni 1993 entstanden ist, macht es in puncto Vermietung eine Ausnahme: Programme, die vor dem 1. Januar 1993 speziell zu diesem Zweck angeschafft wurden, duerfen weiterhin gegen Gebuehr verliehen werden.

Wie sich die neue Rechtslage auf gewerbliche und private Anwender auswirken wird, haengt nun vor allem vom Verhalten der Software- Anbieter ab. Sie beklagen horrende Umsatzverluste durch Raubkopierer und stuetzen sich dabei auf Studien des Marktforschungsinstituts IDC sowie der Herstellervereinigungen Business Software Alliance (BSA) und Software Publishers Association (SPA).

Laut IDC sind den Herstellern in Deutschland durch unberechtigtes Kopieren allein 1992 rund 1,3 Milliarden Mark entgangen. Die SPA beziffert den Schaden durch Raubkopierer sogar auf 1,8 Milliarden Mark. Anstatt wie IDC von durchschnittlich 1,37 verkauften und mindestens drei tatsaechlich benutzten Programmen pro neu erworbenem PC auszugehen, kalkuliert die SPA mit 3,32 Applikationen pro Rechner. Auch den Softwarestueckpreis setzt sie hoeher an als die IDC-Forscher, die zirka 500 Mark veranschlagen.

Waehrend VSI-Geschaeftsfuehrer Johannes Krueger erklaert, viele Hersteller wuerden es sich jetzt nicht mehr nehmen lassen, gegen das illegale Kopieren ihrer Produkte vorzugehen, daempft die Polizei uebertriebene Anbieterhoffnungen und Anwenderaengste: "Das neue Urheberrechtsgesetz wird ueberhaupt nichts verbessern, nur die Unsicherheit beseitigen", prognostiziert Werner Paul, Sachgebietsleiter Computerkriminalitaet beim Bayerischen Landeskriminalamt.(Siehe auch Seite 94)

Zahl der Raubkopien geht deutlich zurueck

Ohne DV-technische Kompetenz der Polizei sei das neue Urheberrecht nicht durchzusetzen, und da gebe es noch Schwachstellen. Als Handicaps nennt der Erste Kriminalhauptkommissar besonders die fehlende Personal- und Sachausstattung sowie mangelnde Fortbildungsmoeglichkeiten. Einer moeglichen Prozesswelle waere die Polizei nach Ansicht Pauls schon allein deshalb nicht gewachsen, weil nur die Landeskriminalaemter und das Bundeskriminalamt ueber Dienststellen mit DV-qualifizierten Polizeisachverstaendigen verfuegen.

Dass es zu einer Flut von Klagen kommt, haelt Paul aus mehreren Gruenden fuer unwahrscheinlich. Gegen eine grossangelegte Hatz auf Raubkopierer spricht nach Darstellung des Beamten bereits die Statistik, denn waehrend die Computerkriminalitaet 1992 in Teilbereichen wie dem Scheckkartendiebstahl um 42 Prozent gestiegen ist, zeigt sich bei Raubkopierdelikten der umgekehrte Trend: Ihre Zahl ging 1992 um 47,7 Prozent auf insgesamt 542 Ermittlungsfaelle zurueck.

Auch das alte Urheberrecht habe also bereits gegriffen, konstatiert Paul. Die Angst, sich durch Prozesse gegen unrechtmaessige Programmbenutzer Imageverluste und Negativ-Publicity einzuhandeln, hielte Software-Anbieter jedoch bislang davon ab, massiv gegen gewerbliche Anwender vorzugehen. Ob das auch unter dem neuen Urheberrechtsgesetz so bleiben wird, haengt nach Ansicht des Kommissars nicht zuletzt von der wirtschaftlichen Lage der einzelnen Anbieter ab.

Prozesse laufen gegen drei Haendler

Die Hersteller reagieren vorlaeufig zurueckhaltend. Sowohl Branchenprimus Microsoft als auch Mitbewerber wie Lotus und Borland sehen erst einmal von Rundumschlaegen ab. Waehrend die meisten Firmen bekunden, sie wuerden weiterhin vor allem auf Aufklaerung setzen, um die Softwarepiraterie einzudaemmen, sind sie sich der neuen Rechtsmoeglichkeiten aber durchaus bewusst.

Werden beispielsweise Borland unrechtmaessig handelnde Anwender bekannt, fordert das Unternehmen sie auf, ihre Kopien zu legalisieren. Bleibt die Aufforderung unbeachtet und erwerben die Betroffenen keine Lizenzen fuer die jeweilige Software, leitet Borland rechtliche Schritte ein. Gegen drei Haendler wuerde bereits prozessiert, berichtet eine Unternehmenssprecherin.

Besondere Prioritaeten setzt die Kahn-Company bei ihren Lizenzierungsbemuehungen nicht: Die Frage, auf welche Anwendergruppen sich Borlands Hauptaugenmerk richte, beantwortet Geschaeftsfuehrer Leo Merkel mit einem schlichten "auf alle".

Deutlich differenzierter geht Microsoft zur Sache. Geschaeftsfuehrer Rudolf Gallist erklaert zwar, das Unternehmen werde auch unter der neuen Rechtslage sein Vorgehen in puncto Aufklaerung und Problemsensibilisierung von privaten und gewerblichen Anwendern nicht aendern. Zwei Kategorien von Programmpiraten hat der Softwareriese aus Redmond jedoch besonders im Visier: "Bei Anbietern raubkopierter Programme - beispielsweise Haendlern, die illegal Software auf die Hardware kopieren - und bei professionellen Faelschern werden wir die rechtlichen Moeglichkeiten voll ausschoepfen", droht Gallist. "In Zusammenarbeit mit den Verbaenden und Behoerden werden wir unsere Recherchen intensivieren und mit aller Haerte rechtliche Schritte durchsetzen."

Nach den Raubkopierprofis rangieren die gewerblichen Anwender auf Platz zwei der Microsoft-Prioritaetenliste. Private Nutzer stehen hintan, denn die hauseigenen Applikationen wuerden in erster Linie im gewerblichen Umfeld eingesetzt, erklaert der Microsoft-Mann.

Konkurrent Lotus will sich ebenfalls auf gewerbliche Anwender und Verkaeufer von Raubkopien konzentrieren. Wie das geschehen soll, ist allerdings noch unklar. Es sei noch zu frueh, um Konsequenzen aus der geaenderten Rechtslage zu ziehen, laesst Lotus verlauten. Detaillierte Plaene gebe es bislang nicht.

Anwender reagieren schneller als Anbieter

Kriterien fuer eine Klage wegen Verstosses gegen das Urheberrecht will die Firma erst nach internen Diskussionen aufstellen. Einzig konkretes Vorhaben: Aufgrund seiner engen Kooperation mit dem VSI und durch Zusammenarbeit mit den Medien hofft der "1-2-3"- Hersteller, die oeffentliche Meinung zu beeinflussen.

Noch weniger vorbereitet ist offensichtlich Wordperfect, denn trotz mehrfacher Anfragen sah sich die Firma nicht in der Lage, eine Strategie aufzuzeigen.

Schneller als mancher Anbieter reagieren die Anwender auf die geaenderte Rechtslage. Microsoft verzeichnet eigenen Angaben zufolge zunehmend Anfragen von Kunden zum Software-Management und -Lizenzierungsverfahren. Lotus und Borland haben hingegen noch keine Aenderungen im Kaufverhalten und beim Lizenzerwerb feststellen koennen.

Wenn sich bis dato auch noch keine Umsatzexplosion abzeichnet, so sind jedoch alle Softwarehaeuser gleichermassen optimistisch, was ihre Absatzentwicklung betrifft. Borland hat zwei Trends ausgemacht, die fuer volle Kassen sorgen sollen: Zum einen wuerden die Verkaufszahlen durch gesunkene Preise ohnehin bereits steigen, zum anderen duerfte der groessere rechtliche Druck den Absatz ankurbeln.

Prognose der deutschen Firmenzentrale in Langen: Kleinanwender kaufen mehr und kopieren weniger. Im kommerziellen Bereich wird die Zahl der Lizenzvertraege zunehmen. Konkrete Zahlen bleibt Borland schuldig. Damit koennen auch Microsoft und Lotus nicht aufwarten, doch die neue Rechtslage werde "sicherlich einen positiven Einfluss auf den Verkauf haben", umschreibt Geschaeftsfuehrer Gallist die Erwartungen von Microsoft.

Der Muenchner Rechtswissenschaftler Michael Lehmann kommt zum gleichen, naheliegenden Schluss. In einem Gesetzeskommentar spricht er von einer "ganz erheblichen Erleichterung der Geschaeftstaetigkeit" und resuemiert: "Im Ergebnis koennen die neuen Regelungen dem Handel mit Computerprogrammen sehr foerderlich sein."

Die zu erwartende Umsatzsteigerung moechten die Unternehmen moeglichst ohne Abstriche kassieren. Das frueher in Industriekreisen gern benutzte Argument, die Softwarepreise wuerden nicht zuletzt durch die grosse Zahl der Raubkopien in die Hoehe getrieben, gilt offenbar nur einseitig: Microsoft beispielsweise plant nicht, steigende Absatzzahlen zum Anlass fuer Preissenkungen zu nehmen. Gallist: "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun." Lotus hingegen konstatiert, immer auf "konkrete Marktgegebenheiten" zu reagieren. Unverbindlich gibt sich Borland: "Wenn die Produktions- und Entwicklungskosten sich schneller amortisieren, werden auch die Preise sinken", heisst es.

Die Idee, den Kauf- oder Registrierungswillen bislang illegaler Benutzer durch gezielte Sonderaktionen zu foerdern, stoesst bei allen Softwerkern auf wenig Gegenliebe. "Borland wird keine Amnestie fuer Raubkopierer ausrufen", lehnt Geschaeftsfuehrer Merkel solche Vorstellungen kategorisch ab. Microsoft und Lotus wollen ihre Aufklaerungsarbeit fortsetzen - mehr jedoch nicht. "Amnestieprogramme sind aus Gruenden der Fairness gegenueber legalen Anwendern nicht geplant", rechtfertigt Microsoft-Chef Gallist die Position seines Hauses.

Ob mit dem allseits erwarteten Absatzplus auch ein Rueckgang der Raubkopierdelikte einhergeht, ist fraglich. Denn trotz geaenderter Rechtslage bleibt das Schwarzkopieren von Software ein Antragsdelikt, erlaeutert Computer-Kriminalist Paul. Die Polizei ermittelt also nur dann, wenn ein urheberrechtlich Geschaedigter dies beantragt.

Aus eigenen Stuecken werden die Beamten lediglich dann aktiv, wenn es um gewerbliche Urheberrechtsverletzungen geht. Sie gelten naemlich als Offizialdelikte, bei denen ein staatliches Verfolgungsinteresse besteht, so Paul.

Mit Schwarzkopien arbeitende Privatanwender koennen sich also nach wie vor in relativer Sicherheit wiegen. Denn das Interesse von Polizei und Programmanbietern konzentriert sich weiterhin auf den betrieblichen Software-Einsatz und auf professionelle Raubkopierer.

Waehrend selbst viele grosse Namen der Softwarebranche die Aenderungen noch nicht in ihre Geschaeftspraxis umgesetzt haben, hapert es in diesem Punkt bei kleinen Anbietern ohne Hausjuristen erst recht. Bis diese Firmen ihre Moeglichkeiten erkennen und von ihnen Gebrauch machen, duerfte es noch einige Zeit dauern, schaetzt Paul.

Wegen der Reaktionszeit von Anbietern und Anwendern wird sich das neue Softwarerecht nach Ansicht des Hauptkommissars erst im kommenden Jahr auswirken. Genaue Zahlen ueber die Entwicklung erwartet er nicht vor 1995.