Die 90er Jahre: Eine Chronologie der Fehlschlaege Nicht allein die Altlasten machenb der GMO zu schaffen CW-Bericht Heinrich Vaske

23.07.1993

MUENCHEN - Die "unkontrollierte Akquisitionspolitik" der vergangenen Jahre ist verantwortlich fuer die Schwierigkeiten der GMO-Gruppe - soviel steht fuer Firmengruender Hasso Wien fest. Marktbeobachter meinen dagegen: Das Softwarehaus krankt mindestens ebenso an der traditionellen IBM-Bindung und am fehlenden Branchen-Know-how.

"Unsere Akquisitionen der letzten Jahre, insbesondere die der Soba AG, haben uns sehr viel Geld gekostet", nennt GMO- Geschaeftsfuehrer Karl-Heinz Gaeding eine Ursache fuer den Niedergang seines Unternehmens. Der Konkurs des Softwarehauses und die Umgruppierung zur Holding GmbH (siehe auch CW Nr. 29 vom 16. Juli 1993, Seite 1: "Die GMO AG meldet Konkurs an...") sei erfolgt, weil mit dem operativen Geschaeft nicht genuegend Geld erwirtschaftet werden konnte, um die durch Altlasten verursachten Kosten aufzufangen.

Diese Altlastenprobleme schreibt die GMO heute der Expansionspolitik ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Niklaus Dobler zu. Wachstum um jeden Preis und Einstieg in das Mittelstandsgeschaeft lautete dessen Devise zu Beginn der 90er Jahre - ein schwerer Fehler, wie Wien heute einraeumt. Er hatte sich damals in den Aufsichtsrat zurueckgezogen und Dobler voellig freie Hand gelassen.

Vor allem die Uebernahme des AS/400-Softwarehauses Soba AG Ende 1990 raechte sich bitter. Nachdem sich die Firmenkulturen - fuer Branchenkenner wenig ueberraschend - nicht in Einklang bringen liessen, gab die GMO das Unternehmen an die Gruenderfamilie Solzbacher zurueck. "Dieses Engagement hat uns grosse Summen gekostet", aergert sich Gaeding. Ein zweistelliger Millionenbetrag sei insgesamt verlorengegangen, bis zu ihrem Konkurs habe die GMO AG diese Verluste "zinsmaessig bedienen" muessen.

Waehrend Insider immer wieder kritisierten, die GMO habe sich beim Kauf des mittelstaendischen Softwarehauses ueber den Tisch ziehen lassen, ist sich Soba-Vorstandsmitglied Ferdinand Solzbacher, Bruder des Firmengruenders Franz-Ludwig Solzbacher, keiner Schuld bewusst. Der Uebernahmepreis sei keineswegs ueberzogen gewesen. Ausserdem sei die GMO zum Zeitpunkt der Akquisition durch die soeben wirksam gewordene Beteiligung des New Yorker Weltkonzerns Nynex Corp. ausserordentlich liquide gewesen.

Man duerfe nicht vergessen: Die Soba habe zum Zeitpunkt des Verkaufs schwarze Zahlen geschrieben. Ungluecklich sei das Engagement der GMO aus heutiger Sicht nur deswegen verlaufen, weil die Hamburger

vom Geschaeft mit Mittelstaendlern nichts verstanden haetten. Die Norddeutschen haetten das AS/400-Softwarehaus binnen kuerzester Zeit heruntergewirtschaftet.

"Ihre Verluste hat die GMO nun einmal selbst zu verantworten", erklaert Solzbacher. Die Hanseaten haetten leichtsinnigerweise versucht, ihre Geschaeftspraktiken aus der IBM-Mainframe-Welt auf den Mittelstand zu uebertragen. "Hochpreispolitik, Exklusivvertraege, ewig lange Schulungen - das geht im Mittelstand nicht", ereifert sich Solzbacher. Ausserdem gehoere die Rueckabwicklung der Soba-Uebernahme laengst der Vergangenheit an: "Dass die GMO heute Konkurs geht, zeigt nur, dass sie auch in anderen Bereichen nicht erfolgreich gewirtschaftet hat!"

Tatsaechlich verliefen die letzten Jahre aus Sicht des Hamburger Softwarehauses alles andere als gluecklich. Zeitgleich mit dem Scheitern des Midrange-Engagements traf die GMO Ende 1991 ein weiterer schwerer Schlag. Aufgrund der aggressiven Expansionspolitik 1989 und 1990 musste das Aktienkapital deutlich erhoeht werden. Entgegen allen Erwartungen zog sich jedoch der damalige "starke" Partner Nynex zurueck, mit dem die GMO eigentlich neue Geschaeftsfelder erschliessen wollte. Dieser Schritt kam aus Sicht der Hamburger ueberraschend, denn Nynex selbst hatte zuvor eine Kapitalerhoehung befuerwortet.

Die New Yorker hatten zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht erkannt, wie tief sie selbst in der Krise steckten. Gegenwaertig ist der Konzern dabei, sich von saemtlichen europaeischen Software- und Servcieaktivitaeten zu trennen. So wurde vor wenigen Wochen die britische Tochtergesellschaft BIS Group, das englische Pendant zur GMO, fuer rund 140 Millionen Dollar an die ACT Group Plc. verkauft.

GMO-Gruender Wien und sein Management zahlten nach dem Rueckzieher der angeschlagenen Nynex die etwa dreifache Eigenkapitalerhoehung aus eigener Tasche. Damit sank der Nynex-Anteil am deutschen Softwarehaus von 42 auf 18 Prozent. Wien, der von diesem Zeitpunkt an nicht nur die Aktienmehrheit besass, sondern auch in die Position des Vorstandsvorsitzenden zurueckkehrte, fahndet seither erfolglos nach einem geeigneten "internationalen Partner".

Ob nach dem Konkurs, durch den die GMO einigen Ballast abwerfen konnte, die Partnersuche leichter faellt, ist ungewiss. Wenig erfolgreich verliefen nach Informationen der COMPUTERWOCHE Gespraeche mit der Computer Science Corp. (CSC) in Muenchen, die erst vor kurzem ergebnislos beendet wurden. Trotzdem gibt sich GMO-Chef Gaeding zuversichtlich: "In den naechsten drei Monaten wird sich etwas tun!"

Die Nachwehen der gescheiterten Soba-Uebernahme und der Ausstieg des "starken Partners" sind nur zwei finstere Episoden in der juengeren GMO-Geschichte. Schwer getroffen wurde das Haus auch durch den Zusammenbruch des gemeinsam mit der IBM gegruendeten Consulting-Unternehmens AD/Vice GmbH. Grosse Kunden von Big Blue, die sich fuer das Mainframe-orientierte Software- Entwicklungskonzept AD/Cycle interessierten, sollten sich von dieser Gesellschaft beraten lassen.

AD/Vice, an dem die GMO zu 51 Prozent beteiligt war, geriet zu einem Flop. IBM schanzte dem Unternehmen, in dem ueberwiegend CASE- Spezialisten der GMO beschaeftigt waren, entgegen allen Erwartungen nicht die dringend benoetigten Auftraege zu. Hinzu kam die langsam sinkende Popularitaet und schliesslich das - von der IBM nie eingestandene - Scheitern der AD/Cycle-Idee. Die Verluste von AD/Vice kletterten so schnell in die Hoehe, dass das

Joint-venture nach nur anderthalb Jahren beerdigt wurde.

"CASE ohne Beratungsleistung kann keinen Erfolg haben" - so hatten die Partner ihr gemeinsames Engagement begruendet. Heute korrigiert GMO-Geschaeftsfuehrer Gaeding seine Meinung: "Mit der AD/Vice-Geschichte damals haben wir eine reine Beratung aufgebaut - da war eben kein Markt da." CASE-Konzepte muessten im Rahmen von Projekten nahegebracht und eingefuehrt werden, das habe die GMO inzwischen erkannt.

Den naechsten Schlag musste das Softwarehaus im Juni letzten Jahres einstecken; wieder stand die IBM im Mittelpunkt des Geschehens. Mit Ploenzke und der GMO wollte Big Blue urspruenglich das Software- und Serviceunternehmen Sercon gruenden. Als dann die GMO erstmals Ende 1991 ins Trudeln geriet, aenderten die Stuttgarter kurzerhand ihre Plaene. Softlab war nun der neue Partner im Sercon- Bund.

Trotz dieser Pannen bringen namhafte Vertreter der deutschen Softwarebranche dem Hamburger Traditionshaus und besonders Hasso Wien grosse Sympathien entgegen. Allerdings zweifeln sie entschieden daran, dass sich das Unternehmen als Holding mit Konzentration auf die Kerngeschaeftszweige Professional Services und Management Consulting wieder aufrappeln kann.

"Das Know-how der GMO ist ersetzbar", nennt der Geschaeftsfuehrer eines grossen deutschen Softwarehauses das aus seiner Sicht zentrale Problem des Wettbewerbers. Es handele sich in erster Linie um technische Faehigkeiten der Mitarbeiter, um Programmierkenntnisse, die im Notfall auch vom Kunden selbst beigebracht werden koennten. "Die Leute, die bei uns ausschliesslich DV-Know-how haben, wurden schon vor fuenf Jahren umgeschichtet", berichtet der Software-Unternehmer. Wichtig sei vor allem die Branchenorientierung, es komme darauf an, die zentralen Geschaeftsprozesse zu verstehen und DV-technisch zu begleiten.

"Bei uns gibt es - im Gegensatz zur GMO - keine Anwendungsprogrammierer fuer Mainframe-Loesungen mehr. Wir haben nur noch Architekturspezialisten." Wer sich heute noch ueberwiegend in der IBM-Grossrechner-Welt zu Hause fuehle und erst jetzt damit beginne, sich fuer Client-Server-Loesungen zu interessieren, muesse mit Schwierigkeiten rechnen.

Die GMO habe den Fehler gemacht, ihren Auftrag zu eng an den der IBM zu koppeln, analysiert ein anderer Branchenkenner. In Anspielung auf die engen AD/Cycle-Verbindungen der beiden Unternehmen urteilt er: "Die haben eine Zeit lang voll darauf vertraut, sie koennten durch Entwicklungs-Tools und -Methoden ihr Geschaeft in Ordnung bringen." Man duerfe dem Kunden aber nicht mit Technologiekonzepten "die Ohren vollblasen", es komme heute darauf an, etwas von seinem Geschaeft zu verstehen.

GMO-Geschaeftsfuehrer Gaeding beteuert indessen, gerade hier seien Fortschritte erzielt worden. "Die GMO musste sich wandeln, konnte nicht mehr an ihrer Tradition festhalten, Probleme nur DV- technisch zu loesen. Das haben wir gemacht. Wir werden von unseren Kunden nicht mehr als Bodyshopper gesehen."

Das operative Geschaeft der GMO sei allen Unkenrufen zum Trotz gesund, man habe lediglich mit den Altlasten kaempfen muessen, von denen sich das Unternehmen nun befreit habe. Auch sei das Softwarehaus laengst keine reine Technologieschmiede mehr.

In Nischenmaerkten, etwa Verkehr und Energie, haetten sich die Hanseaten einen guten Namen erarbeitet. Ein weiteres Standbein sei der Bereich Professional Services, wo die Implementierung von Standardsoftware, insbesondere von SAP-Produkten, erfolgreich laufe.