Thesen zur Akzeptanz neuer Technologien:

Dialog über Innovation ist notwendige Aufgabe

25.09.1987

Einem bemerkenswerten Buch hat Günter Ropohl den Titel gegeben F e unvollkommene Technik". Technik, als Folge menschlicher Erfindung ist unvollkommen und wird es auch bleiben. Darin eingeschlossen ist Risiko und Chance zugleich. Das Risiko besteht im Umstand. daß wir die geplanten positiven Effekte technologischer Entwicklung besser im Griff haben als die oft unübersehbaren - leider oft auch übersehenen - Folgen auf menschliches Verhalten und Gesellschaft.

Der Mensch hat die Technik entwickelt, weil er sie brauchte. Nur dank ihr ist es ihm gelungen, sich in der Natur zu behaupten. Daß sich mittlerweile der Mensch gegen die Natur richtet, ist weniger der Technik als vielmehr ihrem unbedachten Einsatz zuzuschreiben. Es ist das "Immer mehr", das nicht nur Wohlstand, sondern - zumindest in den Industrienationen - Überfluß produziert, wohl zum Schaden des vernetzten Ökosystems.

Ablehnung der Technik bedeutet in vielen Fällen Ablehnung der Symptome und nicht eigentlich der Technik selbst. Im Grunde wäre Protest gegen die Technik vielfach ungehört und ungesehen, würde er nicht durch die Technik selbst, nämlich durch elektronische Medien verbreitet, wäre nicht der Großaufmarsch zu Kundgebungen möglich dank moderner Transportlogistik.

Zu fürchten wäre in der Tat eine vollkommene Technik. Was vielen Angst macht, sind die uneinsichtigen Risiken. Was vielen Angst macht, sind die unerwarteten, wenn nicht gar ungewollten Folgen technologischer Entwicklung. Wir erfahren, daß Großtechnologie nicht mit einem Apparat zu vergleichen ist, den man nach Belieben ein- und ausschalten kann, sondern daß Technologie unser ganzes Leben, unsere ganze Gesellschaft verändert. Es ist vor allem das Ausmaß der Veränderung, das Unbehagen bereitet.

Da hilft wenig, wenn wir beispielsweise zu Tschernobyl hören, nicht die Technik habe versagt, wohl aber die Techniker. Angst entsteht, wenn menschliches Versagen unmenschliche Dimensionen von Katastrophen herbeiführt. Das Friedliche an der Atomkraft - das Militärische sei dabei noch unerwähnt allein ist offensichtlich schon in der Lage, zumindest beinahe unsteuerbare Aggressivität in der Argumentation hervorzurufen.

Stammt die Angst aus dem Mangel an Kenntnis, kann sie überwunden werden mit mehr und besserer Information? Muß darüber hinaus das Ziel sein, Technik immer vollkommener zu machen?

Eine vollkommene Technik anzustreben, würde bedeuten, daß technischer Fortschritt irreversibel wird. Die ihr innewohnende Rationalität würde vom Erreichen der einen zur anderen Optimalität führen. Menschliche Entscheidungen waren lediglich Folgen von Strukturen.

Unser zukünftiges Verhalten wäre unabwendbare Folge früherer Entscheidungen. Daraus folgt: Die Innovation moderner Technik ist ohne Dialog undenkbar. Gesellschaftlicher Dialog bestimmt über die Anwendbarkeit des technisch Möglichen.

Es muß untersucht werden, warum eine sachliche Diskussion über das Sachlichste dieser Welt, technologische Innovation, heute kaum mehr möglich scheint. Nicht erst seit Tschernobyl, seitdem aber mit besonderer Intensität, scheinen sich Befürworter und Gegner unversöhnlich gegenüberzustehen.

Eine sich ständig ausweitende Polarisierung muß unter allen Umständen gebremst werden. Die Dialogfähigkeit zwischen jenen, die Innovation produzieren, und den anderen, die sie konsumieren, wird darüber entscheiden, ob die Gesellschaft überhaupt fähig sein wird, jene Innovationen in Gebrauch zu nehmen die sie im Grunde für die Regelung ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben benötigt.

Unreflektierte Kritik an der Technik führt ebensowenig weiter wie der Irrglaube, eine immer perfektere Technologie würde gesellschaftliche Probleme von alleine lösen. Wem soll man in polarisierten Situationen, bei sich verfestigt widerstreitenden Meinungen glauben? Die Entwicklung moderner Technologie ist immer stärker von der allgemeinen Akzeptanz in der Bevölkerung abhängig - dies trotz der Tatsache, daß ein wesentlicher Anteil der Entscheidungen aus dem militärischen Bereich stammt, der der demokratischen Einwirkungsmöglichkeit weit gehend entzogen ist.

Für mich interessant und aufschlußreich ist die Sprache, die dann verwendet wird, wenn es heißt, eine "Strategie" gegen die Unvernunft zu entwickeln, die "Hürden der Akzeptanz" zu nehmen, den "Markt zu erobern" oder "freizuhalten": Die Militanz ist unüberhörbar.

Jede Gesellschaft hat Konflikte, die sie austragen muß. Ergeben sich aber Konflikte aus mangelnder oder polarisierter Information, wird ein bestimmter Grad an Dialogunfähigkeit erreicht, ist Demokratie selbst in Gefahr. Sie beruht auf der steten Ermöglichung eines Konsensus, von Kompromissen, die nicht in der Auseinandersetzung scheinbar unversöhnlicher Ziele gewonnen werden können.

Diese Probleme werden in jüngster Zeit oft mit dem Etikett "Akzeptanz" versehen. Darunter ist die Bereitschaft zu verstellen, mit der eine Gesellschaft neue Technologie fördert, zuläßt und schließlich anwendet. Wer läßt zu, wer verhindert? Akzeptanz hängt von der Einstellung der Menschen ab. Ein Großteil des wachsenden Widerstandes gegen technologische Innovation hat im Grunde nicht mit der Sache an sich, nämlich der Technik, zu tun. Es hängt vielmehr mit der rasanten Beschleunigung ihres Auftretens, mit der Unüberschaubarkeit von Möglichkeiten und Auswirkungen zusammen.

Ich gehe davon aus, daß wir ohne moderne Information- und Kommunikationstechnologie die bestehenden und noch auf uns zukommenden gesellschaftlichen Probleme gar nicht zu lösen vermögen. Eine aus Unkenntnis und Vorurteilen sich ausbreitende Ablehnung der Technologie ist deshalb in meinen Augen äußerst gefährlich. Dabei ist allerdings auf das Mißverhältnis zwischen dem Aufwand, den wir bislang für die technologische Entwicklung getrieben haben, und dem geringen Anteil, den wir zur Verfügung stellen, um gesellschaftliche Wirkungen moderner Technologie zu erfassen, hinzuweisen: Es sind für die Zukunft besondere Anstrengungen notwendig um den Dialog über Ziele der Innovationen in Gang zu setzen.

Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die technologische Entwicklung unausweichlich von Paradoxien begleitet wird. Das durchaus Rationale und Vernünftige dem Überleben eines wirtschaftlichen Unternehmens Dienende, kann dann irrational und unvernünftig wirken, wenn dadurch den Bedürfnissen der von Arbeit freigesetzten Menschen zuwider gehandelt wird.

Selbst der Nichtbetroffene wird reflexhaft Widerstand leisten, aus Angst, daß er morgen vielleicht Opfer sein könnte. Gerade das scheinbar Perfekte am Funktionieren moderner Technologie, die ungeheuren Effizienzsteigerungen, lassen im Grund Gefühle des Unvermeidbaren und Unveränderlichen entstehen die bei näherer Betrachtung oft gar nicht zutreffen, nicht zutreffen dürfen.

Gerade bei der Diskussion um Akzeptanz wird die alte, durch Sozialforschung erhärtete Tatsache wichtig, daß soziales Verhalten nicht durch objektiv Wahres geleitet wird, sondern durch das, was Menschen für wahr halten. Der Dialog über technologische Innovation ist aus den angezeigten Gründen eine langwierige, komplizierte aber um so notwendigere Aufgabe.

Menschliches Verhalten ist grundsätzlich langfristig angelegt. Aufnahme- und Anpassungskapazität sind begrenzt. Wir stehen vor immensen "Verdauungsstörungen". Gerade am Beispiel der Telekommunikation zeigt sich die auseinanderdriftende Entwicklung zwischen technisch Möglichem und sinnvoller Anwendung. Nur ein Teil dieser Technologie ermöglicht tatsächlich Kommunikation, und diese wird nicht einmal in ausreichendem Maße genutzt.

Mehr Information heißt noch lange nicht bessere Information. Wirkungsvoll werden Informationen nur dann, wenn sie durch einzelne Menschen auch zu ihrem Vorteil genutzt werden können. Ein blindes Vorantreiben von informationstechnologischen Möglichkeiten in der Erwartung, daß vernünftige Nutzung von alleine folgen werde, läßt sich bislang durch keine Erfahrung stützen.

Es ist zwar durchaus legitim, wenn Hersteller von Technologie durch Erkundung von Akzeptanzbarrieren mehr Produkte auf dem Markt durchzusetzen versuchen. Begreifen sie aber Akzeptanz lediglich als Störungen, die mit der üblichen Marktforschung zunächst zu erheben, mit darauffolgenden Werbe- und Öffentlichkeitsmaßnahmen zu mindern seien, werden Erfolge meistens ausbleiben oder höchstens von kurzer Dauer sein Akzeptanz ist nicht Symptom, sondern Bedingung.

Unsere soziale Phantasie hinkt der technischen Gestaltungs- und Durchsetzungskraft jämmerlich hinterher. Wir produzieren immer mehr Verfügungskenntnis bei immer weniger Orientierungswissen. Es gebricht uns aber nicht nur an Vorstellungskraft, sondern ganz schlicht auch an Ausgewogenheit: Wenn nur ein Bruchteil der Mittel, die in die Forschung und Entwicklung immer neuerer Technologien gesetzt wird, in die Abklärung sozialer Folgen ihrer Anwendung fließe n könnte, wenn begleitende Evaluation gewollter, aber auch ungewollter Folgen üblich würden, ergäben sich in der Tat geringere Akzeptanzprobleme.

Ein neues, fächerübergreifendes Gebiet muß rasch und zügig mit Personal und Mitteln ausgestattet werden. Der heute üblichen Produktionsrationalität muß eine allgemein einsichtige Evaluationsrationalität beigesellt werden. Der mit Mitteln unvergleichlich gut ausgestatteten Befassung mit dem Wie müssen sehr rasch vergleichsweise Möglichkeiten der Erforschung und des Dialoges über das Wozu folgen.

Technologische Innovation ist angewandte wissenschaftliche Erkenntnis. Darüber hinaus aber hat sie ein Übermaß an Verfügungswissen produziert bei einem gleichzeitig stets wachsenden Mangel an Orientierungswissen. Die Zielfindung ist gerade durch dieses Ungleichgewicht erschwert. Vermehrtes Orientierungswissen ist deshalb Grundlage übergeordneter Zielsetzungen, die schließlich entscheiden darüber, wozu, in welchem Maß und in welcher Geschwindigkeit Innovation in der Gesellschaft praktiziert werden kann und soll.

Dialog ist erst möglich, möglicherweise sogar erst sinnvoll, wenn Verfügungswissen - wie etwas besser, rascher, effizienter geleistet werden kann, - mit der Frage des Wozu gekoppelt wird. Der Mensch ist gerade angesichts der rasanten technologischen Entwicklung zu einem "Orientierungswaisen" geworden, um den Titel eines Buches von Hermann Lübbe zu erwähnen.

Verschiedene Autoren gehen darin der Frage nach, woher es kommt, daß wir immer mehr Verfügungswissen produzieren - die rasante Entwicklung der Mikroelektronik ist nur das augenfälligste Beispiel -, daß es uns aber immer schwerer fällt, uns zu orientieren. Unter Orientierungswissen verstehe ich die Fähigkeit, von der Masse verfügbarer Informationen jene zu nutzen, die für unser Handeln wichtig sind: -Wozu muß ich etwas tun oder unterlassen? Wir sind wahrlich Weltmeister im Produzieren von immer mehr Detailinformationen, sind dabei finsterste Amateurliga, wenn wir unsere Fähigkeiten betrachten, wesentliche zukunftsgerichtete Zusammenhänge zu erfassen.

Begründungen für diesen Zustand gibt es viele. Das Stichwort "Wertewandel" oder "Wertezerfall" wird allzu oft verwendet, ohne zu belegen, was damit gemeint sei. Es ist richtig, daß die bis zum Exzeß getriebene Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft nicht nur unsere sozialen Lebensbereiche aufsplittet, sondern in der Tat ein Pluralismus von gleichzeitigen und oft gegensätzlichen Werten zumindest eine theoretische Beliebigkeit menschlichen Verhaltens ermöglicht. Daß allerdings unsere Freiheit nicht grenzenlos ist, ist Alltagserfahrung. Vielfältige Normen und Anpassungszwänge engen uns ein.

Neu, im Vergleich zu früheren Zeiten, ist also nicht das Normierte an unserem Leben, sondern daß wir wie nie zuvor unter verschiedenen Möglichkeiten auswählen können. Die mit der Arbeitsteilung verbundenen Standardisierungen und Monotonisierungen, die uhrzeithafte Einteilung unseres Lebensalltags, die gegenseitige Abhängigkeit und Verknüpfung, hat nicht nur einen ungeheuren materiellen Wohlstand hervorgebracht, sondern auch die immer deutlicher werdenden Bedürfnisse nach immateriellen Orientierungen.

Die Kirche als gesamtgesellschaftliche Institution bietet umfassend seit langem keine Orientierung mehr. Sekten und ein sich anbahnendes Schisma sind Symptome dafür. Für viele Menschen entsteht selbst hl der Religiosität ein scheinbar unstillbares Orientierungsbedürfnis. Die Wissenschaft als andere Einrichtung, die ursprünglich mit dem Ziel allgemeiner Orientierung aufbrach, die selbst am Ursprung der Arbeitsteilung und Technologie steht, vermag ebenfalls Orientierungsbedürfnisse nicht mehr zu befriedigen. Sie selber ist in so einem Maße Arbeitsteilung geworden, daß die Diskrepanz zwischen Verfügungswissen und Orientierung, zwischen Können und Leiten wohl am dramatischsten ausgeprägt ist.

Verlust von Orientierungswissen bedeutet für die Wissenschaft wachsende Ohnmacht. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß hat in seinem Buch "Wissenschaft als Lebensform" belegt, daß die Wissenschaft, insbesondere die Universität, ihre ursprüngliche Aufgabe, Instanz für gesellschaftliche Orientierung zu sein kaum mehr wahrnehmen kann: "Die modernen Industriegesellschaften bieten als technische Kulturen zunehmend, mit der Konsequenz wachsender individueller Glücklosigkeit, nur noch ein (partielles) Verfügungswissen über Natur und Gesellschaft, kein (universales) Orientierungswissen in Natur und Gesellschaft mehr an; Wissenschaft läßt unter dem gesellschaftlich über sie verhängeten Paradigma technischer Rationalität kritische und Orientierungspotentiale degenerieren. Das gilt auch für deren institutionelle Verfassung: Die Universitäten bilden über die Preisgabe der Idee wissenschaftlicher Universalität, die einmal zu ihren "idealistischen" Grundlagen gehörte, keine identifikationsfähigen Strukturen mehr aus. '

Das Stichwort "Identifikation" weist auf den unmittelbaren Lebensbezug unseres Problems: Wie und womit kann sich der Einzelne identifizieren? Je schwieriger es wird, sich mit Institutionen zu identifizieren, desto bedeutungsvoller werden in unserer von Massenmedien geprägten Informationkultur Identifikationen mit Personen, die für, tatsächlich oder vermeintlich, orientierende Werte stehen.

Selbst wenn nur der pragmatische Aspekt menschlicher Orientierung in heutiger Zeit besprochen werden soll, ergeben sich zahlreiche Ebenen. Wie kann ich mich orientieren, wenn zwar ein Wegweiser vorhanden ist, ich aber unentschlossen bin, welchem Weg ich folgen soll? Was, wenn ich vor einer Weggabelung stehe ohne Wegweiser? Schließlich: Was, wenn ich mich in einer "terra incognita" befinde? Orientierung also, die auf Zusammenhangwissen oder seinem Fehlen beruht, zeigt auf, daß das Wissen mit höchst unterschiedlichen Graden an Sicherheit verbunden sein kann, daß Zusammenhangwissen ohne Fähigkeit des einzelnen, Stellung zu nehmen, ja seine Einstellung allenfalls zu ändern, wenig hilft. Möglicherweise ist unsere Phanatasie in einem Maße gefordert wie nie zuvor, nachdem sie durch unserere rationale Schulung in Opposition zum Herstellen von Verfügungswissen geraten ist.

Nicht Mangel an Information ist also unser Problem, sondern unsere Orientierungskrise entsteht aus einem immer größer werdenden Defizit an handlungsweisenden Informationen. Es steigt die Komplexität bei gleichzeitiger Minderung der Kapazität, Informationen sinngemäß und sinnvoll, das heißt für den Lebenssinn des einzelnen zu verwenden Dazu Lübbe: "In unserer zivilisatorischen Gegenwart ist die Menge des insgesamt verfügbaren, handlungsrelevanten Wissens historisch beispiellos groß. Gleichwohl waren zu jeder früheren Zeit die in Handlungsabsichten unterstellten Zukunftsannahmen zuverlässiger - einfach deswegen, weil die Menge der den zivilisatorischen Gesamtzustand strukturell verändernden Ereignisse pro Zeiteinheit zu jeder früheren Zeit ungleich geringer als heute war. Nicht der simple Mangel an Orientierungsmitteln ist insofern unser Orientierungsproblem, sondern das Tempo ihres Veraltens."

Ein Überleben der Individuen als psycho-soziale Wesen und auch das ganzer Gesellschaften hängt davon ab, ob es gelingt, völlig neuartige Strukturen des Lernens zu entwickeln. Einige Aspekte erscheinen mir dabei besonders wesentlich: Das Verakademisieren des Lernens wird nicht weiterführen. Unter Akademisierung verstehe ich die gegenwärtig in den Bildungssystemen parallel mit der Produktionssystemen verlaufende weitere Spezialisierung und Arbeitsteilung. Die Arbeitsteilung führte nicht nur zu Vereinzelung der Menschen, sondern auch ganzer Wissensgebiete .

Mit der Absage an eine weitere Akademisierung ist allerdings nicht die Absage an Verwissenschaftlichung gemeint: Wissenschaftlichkeit ergänzt Spezialisierung durch Systematisierung, das heißt, es wird nicht nur methodische Genauigkeit verlangt, sondern auch - und dies ist höchst wichtig - das Erfassen wesentlicher Zusammenhänge.

Es nimmt allgemein und rasch die Unfähigkeit zu, mit akademisch Gelerntem umzugehen, es zur Realität überhaupt in Beziehung zu setzen. "Und dies", wie Vester sagt, zu einer Zeit, in der sich die unumgänglichen Entwicklungen in Richtung auf ein kybernetisches Zeitalter eigentlich nur in einem großen, immer weiter um sich greifenden Erziehungsprozeß verwirklichen lassen. Denn anders handeln kann der Mensch nur durch anders sein." Wir könnten ergänzen, daß der Mensch nur anders wird handeln können, wenn er lernt, anders zu lernen

Als ich vor Jahren an der Cornell University arbeitete, pflegten die Großfirmen wie General Electric, Bell Telephone Company u.a. junge Absolventen der Ingenieurschule kurz vor dem Examen zu rekrutieren. Sie unterhielten firmeneigene Ausbildungstätten und der Spruch war üblich, daß sie zunächst vergessen sollten, was ihnen an der Universität gelehrt wurde, um sich noch ein bis zwei Jahre auf die Anfordernisse der Unternehmen einzuüben, bevor sie in Forschung und Produktion Arbeit erhielten. Diese Zeiten sind vorbei.

Völlig neuartige Strukturen der Zusammenarbeit in Forschung und Ausbildung sind im Entwickeln begriffen. Weder können wir uns den Luxus leisten, an Universitäten sozusagen "Spielforschung" zu treiben, noch können die Unternehmen - insbesondere mittelständische Unternehmen - auf die unabdingbare Gundlagenforschung verzichten, die zunächst zweckfrei und langfristig im Freiraum der Universitäten geschehen muß. Freiraum ist leider ein Programm und keine Tatsache. Es ist ebenso schwierig, dem Druck kurz -und mittelfristiger Produktions- und Marktzwänge zu begegnen als der gegenwärtig überbordenden Bürokratie in der staatlich finanzierten Forschung.

Ich halte einen Dialog über neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Universitäten für vordringlich. Das Alibi gegenseitiger Vorurteile muß, je rascher desto besser, durchbrochen werden. Bürokratische Barrieren sind wohl erkannt, aber kaum Lösungen in Sicht. Durch die ungeheuren Aufwendungen an Geld, aber auch an menschlicher Intelligenz, die heute schon geleistet und in Zukunft noch steigen werden, müßten Zwänge veralteter Strukturen überwunden werden.

Wir können es uns nicht mehr erlauben, nur das zu forschen, wozu universitäre und unternehmerische Forschungseinrichtungen heute aus gewachsenen Strukturen zu forschen und lehren in der Lage sind: Vereinzelung, Segmentierung haben zu einer Zerstückelung der Kapazitäten geführt, die eine effiziente Anwendung der durchaus vorhandenen technologischen und sozialen Intelligenz nahezu verunmöglicht.

Wir können nicht nur Probleme erforschen und regeln, die den Kapazitäten bestehender Einrichtungen entsprechen, sondern wir müssen vor den bereits erkannten und noch auf uns zukommenden Aufgaben Organisationen schaffen; die in der Lage sind, Zusammenhänge zu erkunden, Segmentierung aufzuheben, problem- und systemorientiert zu arbeiten.

Gerade für mittelständische Unternehmen darf eine weitere nationale und internationale Bürokratisierung im Zusammenhang mit Forschungsförderung nicht weiter geduldet werden. Ich darf auf ein deutliches - vielleicht sogar befreiendes - Wort des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Otto Wolff von Amerongen, hinweisen, das er kürzlich im Forum Alpbach äußerte: Mit dem Forschungsaktionismus der EG-Kommission würde seiner Meinung nach das "Tor für mehr Subventionen" weiter geöffnet und der Subventionsmentalität Vorschub geleistet. "Da muß doch einmal ein gestandener Politiker aufstehen und den Brüsseler Programmakrobaten sagen, daß es so nicht weitergeht", sagte Wolff wörtlich. Bundesfinanzminister Dr. Gehard Stoltenberg, der den "Programmrausch" der EG gerügt habe, habe seine volle Unterstützung.

Die europäischen Forschungssubventionen würden meistens auf nationale Maßnahmen aufgepfropft, verwirren die Geister und verunsicherten die Unternehmen, kritisierte er. Keiner solle glauben, daß dies investitionsförderlich sei; ganz im Gegenteil: Ein einzelner Unternehmer könne gar nicht mehr unbefangen planen und investieren, denn ihn plage ständig die innere Not, irgendeine Subventionsmöglichkeit aus den vielen Töpfen zu verpassen. Die Absicht der EG-Kommission, europaweit hundert "Subventionsschalter" einzurichten, bei denen sich mittelständische Unternehmen künftig wie früher die Bürger bei der Zuteilung von Lebensmittelkarten, Beihilfen und Subventionen aus der Gemeinschaftskasse abholen könnten, nannte Wolff absurd. "Ich habe bestimmt nichts gegen mehr Transparenz bei den vielen Beihilfen, die inzwischen offeriert werden, aber welche Subventionsmentalität hat sich da schon festgesetzt?"

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas hat nach Darstellung Wolffs keine organisatorischen, keine technologischen und keine innovativen Probleme - sie hat nur wirtschaftspolitische Probleme. Wachstum hänge davon ab, wieviel Freiräume der Staat dem privaten Sektor lasse.

Zusammenfassend: Die technologische Entwicklung hat den Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zunehmend erschwert. Damit aber erhöhte sich der Bedarf für Dialog. Aus der Sicht mittelständischer Unternehmen müssen wir Dialoge auf folgenden Ebenen anstreben:

1. Dialog zwischen Umwelt und Unternehmen. Bisherige Marktforschung wird nicht mehr ausreichen. Systematische Erkundung von Markt- und Meinungsstrukturen wird notwendig sein. Anstelle punktueller Marktforschung wird kontinuierliche und umfangreiche Umweltanalyse treten müssen. Bevor mittelständische Unternehmen mit der Umwelt in Dialog treten können steht auch der Dialog mit Konkurrenten. Was kann ein Unternehmen allein an dieser Analyse noch leisten was ist Gemeinschaftsaufgabe?

2. Dialog ist notwendig, um für mittelständische Unternehmen adäquate Forschungspolitik zu erreichen Dialog zwischen Verantwortlichen von Ausbildungs- und Forschungsorganisationen muß direkt geführt werden. Neuartige Organisationsformen müssen ausprobiert werden und können zumindest kurzfristig als Experimentierbeispiel betrachtet werden, unter Aussetzung heute geltender bürokratischer Sachzwänge. Es ist zu vermeiden, daß dabei der Vorrang der Naturwissenschaften weiter ausgebaut wird: Dialog ist vor allem auch mit Forschungsinstitutionen geisteswissenschaftlicher Ausrichtung notwendig.

3. Dialog wird auch zwischen den Sozialpartnern notwendig. Es sind heute schon Informationskonflikte absehbar, die dadurch entstehen, daß technologische Innovationen gleichsam automatisch zu einer Informationslücke bei Betroffenen und Anwendern führen.

Nicht nur Strukturen zukünftigen Dialoges sind zu diskutieren, sondern auch Optimierungen tatsächlicher Dialoge: Wann ist für einen mittelständischen Unternehmer der Zeitpunkt gekommen, über Neuerungen öffentlich zu sprechen? Inwiefern ist nicht der gerade für mittelständische Unternehmen ausgeprägte Wettbewerb zumindest ein partielles und zeitweises Hindernis für Dialog? Altbekannte Fragen der Menschenführung, des Umgangs mit dem Sozialpartner stellen sich in vehementer Form neu und umfassender. Es geht auch nicht nur darum, wann Dialog legalerweise geführt werden muß, sondern auch, wann es möglicherweise legitim ist, ihn nicht zu führen.

Grundsätzliche Bereitschaft zum Dialog setzt Kenntnisse über das Wie und Wann und Mit-wem des Dialoges voraus. Langfristige Strategien sollten durchaus taktische Freiheiten des einzelnen Unternehmens beinhalten.

Technologische Innovation ist dann für Dialog hinderlich, wenn sie lediglich in ihrer Wirkung unter eingeschränkter Akzeptanz-Perspektive behandelt wird. Die Dialogfähigkeit des Unternehmens wird zum Prüfstein zukunftsorientierter Unternehmens- und Menschenführung. Insgesamt sind neue Dimensionen des Dialoges Unternehmen-Umwelt abzuklären. In diesem Sinne ist gerade die Unvollkommenheit der Technologie Chance für deren menschgerechte Anwendung.