Digitaler Bündelfunk

Diadochenkämpfe um einen Markt ohne Potential

14.08.1998

Das Anwendungsspektrum ist weitgefächert. Der Betriebsfunk eines Fuhrparks, die Kommunikation zwischen einigen verteilten Mitarbeitern, die Verständigung auf Großbaustellen, Flughäfen oder bei Polizei, Feuerwehr und im öffentlichen Nahverkehr - das alles sind potentielle Einsatzfelder des Bündelfunks. Laut Nokia gibt es derzeit in Deutschland rund 1,5 Millionen Nutzer. Motorola, Hersteller von Bündelfunkequipment, hat herausgefunden, daß 75 Prozent aller europäischer Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sowie Unternehmen künftig auf den digitalen Bündelfunk umsatteln wollen. Das klingt nach einem Nachfrage-Boom. Vor allem die rasante Entwicklung im am Standard Global System for Mobile Communications (GSM) orientierten Mobilfunkmarkt macht den Anbietern von Bündelfunksystemen Hoffnung. Sie setzen ähnlich wie die Betreiber der Handy-Netze auf die Digitalisierung ihrer Installationen, die dem Markt einen vergleichbaren Schwung verleihen soll.

Doch die aktuelle Lage sieht anders aus. Vor allem die Größe der Endgeräte betrachten Anwender als Zumutung. Außerdem treibt eine verstaubte Technik und unzureichende Verschlüsselung - wer technisch kundig ist, kann den Polizeifunk leicht abhören - die Nutzer in die Hände von Netzanbietern mit GSM-Systemen. Dies veranlaßte die Marktforscher der Gartner Group zu folgender Schlußfolgerung: Selbst bei wohlwollender Betrachtung des Entwicklungspotentials ist der Bündelfunk weit vom Massenmarkt entfernt.

Dabei stellt das potentielle Leistungsspektrum des neuen digitalen Bündelfunks das der GSM-Netze in den Schatten. Sei es der Direct Mode, der den Betrieb zwischen Endge- räten ohne Netzinfrastruktur erlaubt, oder die vielfältigen Arten des Gruppenrufs - GSM kann nichts Ebenbürtiges bieten.

Doch wofür das alles? Die Brandkatastrophe auf dem Düsseldorfer Flughafen vor zwei Jahren verdeutlicht, was auf dem Spiel steht: Die herbeigeeilten Retter piepsten und funkten aneinander vorbei. Obwohl ein Beschluß der Innenministerkonferenz einen einheitlichen Funkverkehr vorschreibt, konnten sich die Düsseldorfer Werks- und Berufsfeuerwehren mit ihren unterschiedlichen Kommunikationssystemen nicht verständigen.

Um solchen Extremsituationen vorzubeugen, wäre ein einheitliches, länderübergreifendes Verfahren vonnöten.

Den Rückhalt des Standardgremiums European Telecommunications Standards Institute (ETSI) hat das Verfahren Trans European Trunked Radio (Tetra). Es wird von gut 60 internationalen IT- und TK-Anbietern unterstützt, ist jedoch vom ETSI noch nicht standardisiert.

Auch das Schengener Abkommen, das grenzübergreifende Funksysteme vorsieht, legt eine Unterstützung für Tetra nahe. Beispielsweise überprüft eine dem Berliner Senat unterstehende Projektgruppe aktuell die Tauglichkeit von Tetra in einem Testversuch, der später in einem großangelegten Piloten in der Aachener Grenzregion weitergeführt wird. "Viele Applikationen funktionieren nicht richtig", bemängelt Projektleiter Matthias Traube. Weder gebe es eine Schnittstelle für den Datenaustausch zum Laptop noch eine funktionsfähige Ladestation im Kraftwagen. Das anspruchsvolle Regelwerk ist demnach noch nicht umgesetzt. Darüber können auch einige Testinstallationen wie zum Beispiel auf der Kanalinsel Jersey oder in skandinavischen Ländern nicht hinwegtäuschen.

Die Alternative zu Tetra heißt Tetrapol, eine seit zehn Jahren erprobte Technologie der französischen Matra-Gruppe. Tetrapol ist jedoch proprietär, und die Standardisierungsbemühungen des Herstellerkonsortiums erscheinen halbherzig. Verwirrung stifteten die Tetrapol-Anbieter, als sie 1996 zunächst einen Antrag beim ETSI einreichten, ihn jedoch noch im selben Jahr wieder zurückzogen. Es ist zu vermuten, daß die Erfolgsaussichten eines neuerlichen Tetrapol-Vorstoßes auf Zuteilung der ETSI-Qualifizierung "Europäischer Standard" (ES) alles andere als rosig sind.

Zu verstecken braucht sich Tetrapol indes nicht. Über die digitalen Bündelfunksysteme verständigen sich Polizei- und Sicherheitsdienste in Frankreich, Spanien, der Schweiz, Tschechien und Fernost; in Deutschland haben sich die Berliner Verkehrsbetriebe, BMW in München, der Flughafen Frankfurt am Main sowie Eurokai in Hamburg für Tetrapol-Technologie entschieden.

Weltweite Aufmerksamkeit wurde Matra-Nortel anläßlich der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich zuteil. Acropol (Automatisation des Communications Radio Opérationnelles de la Police), so der Name des übergreifenden Sicherheitssystems, untermauerte die Leistungsfähigkeit der Tetrapol-Technologie. Die französische Bereitschaftspolizei und lokale Sicherheitskräfte nutzten das System, um Einsatzpläne und -aktionen in zehn Stadien und Spielorten zu koordinieren.

Seit 1993, als das französische Innenministerium der Firma Matra Communication (heute: Matra Nortel Communications) den Auftrag zur Entwicklung des Sicherheitsfunknetzes Acropol erteilte, hat sich das System in mehreren Etappen über das Land verbreitet. Bis zum Jahr 2002 sollen alle Ballungszentren und Hauptverkehrsachsen zwischen Marseille und der französisch-belgischen Grenze erschlossen sein. Damit schafft Frankreich Fakten, die einem europäischen ETSI-Standard auf Tetra-Basis zuwiderlaufen.

Die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern von Tetra und Tetrapol haben bisher niemandem gedient, am wenigsten den Anwendern. Der Standardisierungsstillstand kann auch der Marktentwicklung des digitalen Bündelfunks kaum förderlich sein. Zwar rechnen Marktbeobachter wie Frost & Sullivan für 2003 mit einem Umsatz von rund 100 Millionen Dollar. Doch die tatsächlichen Umsatzzahlen dürften angesichts der unverändert ausbleibenden Impulse weit dahinter zurückbleiben.

Tetra-Projekt

Was 1996 mit einer Testinstallation begann, soll nun in den Regelbetrieb gehen. Laut Trevor Garrett, Polizeichef der Kanalinsel Jersey, soll der digitale Bündelfunk bald für alle Sicherheitskräfte zur Verfügung stehen. Derzeit verständigen sich bis zu 240 Polizeikräfte im Direct Mode oder per Gruppenruf. Auf einzelnen Terminals können die Beamten gezielte Datenbankabfragen steuern und sogar Bilder und Videos übertragen. Das von Motorola installierte Funknetz besteht aus fünf Standorten, neun Steuerungssystemen und rund 500 Endgeräten. In der Endausbaustufe sollen neben der Polizei auch Feuerwehr, Rettungsdienste sowie Zoll- und Einreisebehörden das digitale Bündelfunksystem nutzen.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.